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Max Hollein ist Direktor des Metropolitan Museum of Art in New York, des größten Kunstmuseums der USA. Der Manager wacht über zwei Millionen archäologische Schätze und Exponate. Nach der Coronakrise soll der Österreicher die „reichste Non-Profit-Organisation der Welt“ profitabler, digitaler und diverser machen. Wie genau sieht sein Plan aus?
Max Hollein schweigt. Er lehnt sich zurück, verschränkt die Arme, schaut nach oben, als könne er an der Decke die Antwort ablesen. Der Direktor des Metropolitan Museum of Art („Met“) grübelt. Stille. Die Sekunden ziehen sich. Die Frage ist offenbar schwieriger als gedacht: Welches Kunstwerk hat Sie besonders berührt?
Es ist ein persönliches Thema, doch Max Hollein, 51 Jahre alt und einer der mächtigsten Männer der Kunstwelt, spricht gerne über die Gefühle, die ein Bild, eine Skulptur oder eine Werkschau auslösen können. Der Wahl-New-Yorker will mit seiner Arbeit Menschen inspirieren und zusammenbringen; er will besondere Erlebnisse schenken. „Tizian“ sagt er schließlich. Und erklärt dann: „Wenn Sie seine ‚Assunta‘ in Venedig sehen, dann ist das eine sehr emotionale Erfahrung.“ Das 24 Quadratmeter große Altargemälde zeigt Marias Himmelfahrt und schmückt die Frari-Kirche. „Das muss man sehen und spüren – diese Wirkung lässt sich digital wahrscheinlich nie einfangen“, sagt Hollein.
Hollein leitet das Met seit drei Jahren, nun muss er die Institution auf eine Zukunft nach der Pandemie vorbereiten. Das Museum soll digitaler und diverser werden, und in einer von Polarisierung und Kulturkriegen geprägten Gegenwart sind das durchaus komplexe Aufgaben. Die Direktion des Met ist für den Wiener der Höhepunkt seiner Karriere – nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung. Was hat Hollein vor? Und was treibt ihn an?
Es ist elf Uhr Vormittag New Yorker Zeit, als wir per Zoom-Video in sein Büro blicken. Holleins Arbeitsplatz liegt im berühmten Neo-Gothic-Gebäude an der Fifth Avenue. Die Machtzentrale verrät nicht viel über ihren Bewohner: Zu sehen sind ein bescheidenes Bücherregal, ein Stapel Dokumente und ein wuchtiger Telefonapparat. Hollein, dessen Arbeitsuniform meist ein marineblauer Anzug von Ermenegildo Zegna ist, trägt heute ein locker sitzendes dunkles Hemd. Sein Deutsch ist wienerisch eingefärbt. Einige Etagen tiefer spazieren wieder Besucher durch die neoklassizistischen Hallen. Vor der Pandemie kamen bis zu 25.000 Kulturinteressierte an einem Tag – nun sind es maximal 10.000. „Man spürt die Freude der Menschen; wir sind ein Ort der Begegnung“, sagt Hollein.
Museen sind Orte des Wissens und der Weisheit. Sie sind Bollwerke gegen Wut und Krawall.
Das Metropolitan Museum of Art ist das größte Museum der USA, eine urbane Kathedrale mit einer treuen Gemeinde. Die Sammlung umfasst rund zwei Millionen archäologische Schätze und Kunstwerke aus fünftausend Jahren. Nach dem Louvre in Paris ist das Met das zweitgrößte Kunstmuseum der Welt. Doch wegen der Coronakrise fehlen 150 Millionen US-$ in der Kasse. Hollein will nicht klagen – andere Museen trafen die Lockdowns härter. Und arm wird das Met nie sein: Die Sammlung alleine ist rund 3,6 Milliarden US-$ wert, im Aufsichtsrat sitzen mehrere Milliardäre, etwa die Philanthropin Nita Ambani, eine der reichsten Frauen Asiens. Hollein und Met-CEO Daniel Weiss, die beide mehr als eine Million US-$ im Jahr verdienen, haben auf 20 % ihres Gehalts verzichtet; von den 2.000 Mitarbeitern wurden mehr als 80 gekündigt.
Neulich kritisierte der in New York lebende Bestsellerautor Malcolm Gladwell in seinem Podcast „Revisionist History“, das Met sei die „reichste Non-Profit-Organisation der Welt“, doch die meisten seiner Kunstschätze bekomme niemand zu sehen. Sie würden nur eingelagert – ungesehen und unbewertet. Das Met sei ein „enzyklopädisches Museum“, entgegnet Hollein: Es wolle Kunstwerke bewahren, der Forschung zugänglich machen oder verleihen. „Fast 90 % unserer Sammlung sind digitalisiert, die Fotos sind für jeden zugänglich“, sagt Hollein. Durch die Pandemie wurde die Digitalisierung beschleunigt: Das Met bietet Online-Lehrkurse und Virtual-Reality-Touren. „Bildung und Entspannung für das Volk“ lautet die Mission des 151 Jahre alten Museums – beides soll es auch in der virtuellen Welt geben.
Holleins Leben wurde früh durch Kunst geprägt. Sein Vater, der berühmte Wiener Architekt Hans Hollein, war ein enger Freund von Joseph Beuys. Der deutsche Aktionskünstler saß oft im Apartment der Holleins am Esstisch. Während andere Jungs Fußballerautogramme für ihre Panini-Heftchen sammelten, ließ sich Hollein von Andy Warhol Ausstellungskataloge signieren. Die Bekanntschaft mit Stars der Kunstwelt war für ihn so gewöhnlich, dass Max in der Volksschule beim Thema Michelangelo erklärte: „Der war auch schon mal bei uns.“
Holleins Vater hätte sich gewünscht, dass sich der Sohn als Künstler versucht. „Mir fehlte aber die künstlerische Ader“, sagt er, daher studierte er in Wien Kunstgeschichte und Wirtschaft – es war auch seine Art der Rebellion gegen die Erwartungen der Eltern. Mit 21 Jahren holte ihn sein Förderer Thomas Krens, der ehemalige Chef der Guggenheim Foundation, nach New York, danach wechselte Hollein als Direktor der Schirn Kunsthalle nach Frankfurt und leitete später auch die Museen Städel und Liebieghaus.
In den USA wurde Hollein klar, dass Kommerzialisierung und Kreativität keine Widersprüche sind. Museen erhalten dort keine staatliche Förderung – Fundraising ist essenziell. In Frankfurt verantwortete er Blockbuster-Ausstellungen zu Jeff Koons oder zum Thema „Shopping – 100 Jahre Kunst und Konsum“. Gleichzeitig fiel er als gewitzter Spendensammler auf: Für eine Städel-Erweiterung ließ er die Bilder von Schulkindern versteigern und nahm sechs Millionen € ein.
Geld ist für Hollein eine „abstrakte Art der Vergütung und Wertschätzung“. „Ich habe mit sehr vielen reichen Menschen zu tun. Ich will deren Geld einem guten Zweck zuführen und zeigen, welchen Nutzen es haben kann.“ Und damit meint er nicht nur teure Sammlungen: In Museen könne man „ohne Polemik über kulturelle Schnittstellen diskutieren“. Hollein sieht Museen als Orte des Wissens und der Weisheit, als Bollwerke gegen Wut und Krawall.
Hollein beschreibt sich als weltoffen, liberal und „als Gegner von übersteigertem Nationalismus“. Um seine Werte zu verteidigen, nimmt er auch Kontroversen in Kauf: Als Chef des San Francisco Fine Arts Museum – vor seiner Berufung zum Met-Direktor – initiierte er eine Ausstellung über islamische Mode. Rechte Kommentatoren der Plattform Breitbart („Zelebrieren von Unterdrückung“) und strenggläubige Muslime („Gotteslästerung“) heulten auf, das Publikum hingegen feierte den Mut der Schau. „Wie jeder gute Manager bin ich davon getrieben, etwas möglich zu machen – erst recht, wenn ich eine künstlerische Kraft sehe, die ich Menschen zeigen will.“ Doch im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste kam auch das Met in die Kritik: Ein Kurator hatte Anti-Rassismus-Demonstranten mit Fanatikern der Französischen Revolution verglichen. Hollein entschuldigte sich stellvertretend für die Äußerung – und versprach, mehr gegen strukturellen Rassismus im eigenen Haus zu tun. „Unser Publikum ist sehr breit und erwartet von uns, dass wir Werte vertreten und Haltung zeigen“, sagt er. Zehn Millionen US-$ werden nun in Werke von ethnischen Minderheiten investiert; dabei wird das Met nicht sparen. Holleins Anspruch: „Wir sind ein Museum über die Welt und für die Welt.“
Auch für die digitale Welt? Zuletzt haben NFTs, Besitzzertifikate in der Blockchain, einen gigantischen Hype am Kunstmarkt ausgelöst. GIFs, Photoshop-Collagen und digitale Spielereien erzielen bei Auktionen zweistellige Millionenbeträge. Gehört in die Met-Sammlung also auch der erste Tweet von Twitter-Mitgründer Jack Dorsey, der nun drei Millionen US-$ wert sein soll? Das Met werde keine NFT-Kunst sammeln, sagt Hollein entschieden. Man besitze längst rein digitale Kunstwerke, Filme und Fotografien etwa. Für Hollein ist die Blockchain-Kunst ein neuer Weg, der Kunst auf den Markt bringt: „Der Hype um NFTs zeigt vor allem die Sehnsucht des Menschen, ein Unikat oder Original zu besitzen.“
Gerade das spreche für die Bedeutung von Museen. Jeder kann sich Klassiker wie Caravaggios „Verleugnung des Petrus“ auf dem Smartphone ansehen oder sich Jacques Louis Davids „Der Tod des Sokrates“ als Poster an die Wand hängen. Doch es sind die Originale, die Millionen Menschen ins Met locken. „Nur wir machen das Unikat erlebbar“, sagt Hollein. Es ist dasselbe Phänomen wie bei Tizians „Assunta“ in Venedig.
Dass Hollein, Vater von drei erwachsenen Kindern, mit seiner Frau Nina, einer Modedesignerin, nach Wien zurückkehrt, ist nicht ausgeschlossen – dort ist seine Schwester Lilli Generaldirektorin des Museums für angewandte Kunst und sein jüngster Sohn studiert Wirtschaft. „Wir lieben Wien und können uns vorstellen, irgendwann wieder dort zu leben.“ Doch vorerst gebe es in New York „noch sehr viel zu tun. Meine Frau und ich sind hier an einem Ort, an dem wir uns viele unserer Träume erfüllen können.“
Text: Reinhard Keck
Fotos: Eileen Travell
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 5–21 zum Thema „Travel & Tourism“.