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Elisabeth Stadler, CEO der VIG und die einzige Frau an der Spitze eines ATX-Unternehmens, steuert ihr Unternehmen zu neuen Ufern. Der strategische Plan ist streng getaktet – das gibt in Zeiten des Wandels Halt.
Als Elisabeth Stadler 2016 die Nachfolge des kurz davor überraschend ausgeschiedenen CEOs der Vienna Insurance Group (VIG) Peter Hagen antreten sollte, war das für Branchenkenner eher logische Konsequenz als große Überraschung. Bereits zwei Jahre zuvor war die Versicherungsmathematikerin angetreten, um die zur VIG gehörige Donau Versicherung, die nicht zuletzt durch eine negative Geschäftsentwicklung in Italien in Not geraten war, wieder in die Spur zu bringen – angesichts der 2013 anhaltend bescheidenen allgemeinen Wachstumsprognosen, so im damaligen Geschäftsbericht zu lesen, „eine Herausforderung“. Im Nachhinein betrachtet: machbar.
Agenda 2020
2016 trat Stadler bei der VIG mit einem strategischen Arbeitsprogramm, der „Agenda 2020“, an, die – der Name verrät es – bis ins Jahr 2020 drei Ziele umfasst: ein Ergebnis vor Steuern in der Höhe zwischen 500 und 520 Millionen €, Prämieneinnahmen von mehr als zehn Milliarden € und eine Combined Ratio (Schaden-Kosten-Quote) in Richtung 95 Prozent. „Wenn wir diese Ziele bis 2020 erreichen“, so Stadler, „ergibt das ein rundes Bild.“ Es gilt, sich dem Wandel in der Versicherungsbranche zu stellen, seine Rolle und Möglichkeiten als Dienstleister zu prüfen, dabei den Regularien zu folgen und das laufende Geschäft zu verbessern. Genug zu tun also. Die entsprechenden Maßnahmen und Arbeitsbereiche fasst Stadler so zusammen: „Der kleinere Teil ist ein interner, nämlich die Zusammenarbeit der operativen Holding mit den Gesellschaften. Das haben wir gut abgehandelt und umgesetzt. Dann gibt es zwei weitere größere Themenblöcke. Der eine Block dient der Prozessoptimierung, sprich: Wir versuchen, Synergien und Kosteneinsparungsmöglichkeiten in der Gruppe zu nutzen, um das bestehende Geschäftsmodell sowohl in den Prozessen und Abläufen als auch im Ergebnis zu verbessern. Und der dritte Block dient der Sicherung der Zukunftsfähigkeit. In einer sich ständig verändernden Welt müssen wir uns auch permanent auf neue Dinge einstellen, neue Risiken identifizieren und dabei auch darauf schauen, wie sich unser Geschäftsmodell dadurch verändern wird – Themen wie Digitalisierung, IT, neue Technologien und auch Fragen, wie das Kundenverhalten besser nutzbar gemacht werden kann“, so Stadler. Für Digitalisierung und die IT hat die VIG ein jährliches Budget von 100 Millionen € eingeplant. Die neuen Themen- und Geschäftsfelder spannen sich auf der einen Seite vom Smart Home über Cyberkriminalität bis hin zu Drohnen, auf der anderen Seite liegt ein Fokus auf Produkt- und Serviceverbesserungen durch Nutzung von künstlicher Intelligenz sowie Assistance-Leistungen aus einer Hand. Nicht zu vergessen die interne Aufrüstung für bereits bestehende und noch kommende rechtliche bis buchhalterische Vorgaben wie die IFRS 9 bzw. 17. In Summe ein ordentlicher Investitionsaufwand.
Wachstumspotential in Osteuropa
Der Zwischenbericht zeigt (erstes bis drittes Quartal 2018), dass man sich dem Ziel gut annähert: So wurden in den ersten drei Quartalen 2018 Konzernprämien in Höhe von 7,4 Milliarden € erreicht – ein Plus von 2,9 Prozent zur Vorjahresperiode. Das Ergebnis vor Steuern konnte auf 352,3 Millionen € (plus 6,4 Prozent) erhöht werden; die Combined Ratio liegt aktuell bei 96,3 Prozent. „Wir können mit diesem Zwischenergebnis recht zufrieden sein“, lehnt sich Stadler kurz in ihrem Sessel zurück. „Auch, wenn ich sagen muss“ – ein kurzes Lächeln blitzt auf – „von selber kommt’s nicht.“ Man müsse sich laufend selbst prüfen und sich schon sehr disziplinieren, so die VIG-CEO.
Wenig überraschend liegt das Wachstumspotenzial in den Ländern des Ostens, wo die Versicherungsdichte in den nächsten Jahren noch deutlich Entwicklungspotenzial habe, so Stadler. „Und auch die wirtschaftliche Situation ist dort in Summe positiver und optimistischer. In diesen Märkten fahren wir auch mehr proaktive Strategien als in den Verdrängungsmärkten.“ Hoch im Kurs: die Kfz-Versicherung als Einstiegsprodukt, die in vielen Ländern zur Pflichtversicherung geworden ist. Dicht dahinter: Kranken- und Unfallversicherung.
Erholung von der Finanzkrise
Ganz allgemein scheint sich die Stimmung für die Branche langsam ins Positive zu drehen. Experten prognostizierten eine schrittweise Erholung von den Folgen der Finanz- und Eurokrise – einer Phase, die von vielen als „verlorene Dekade“ bezeichnet wird. Laut der Studie „Globale Versicherungsmärkte – Aktueller Stand und Ausblick 2027“ von Allianz Economic Research manifestierte sich seit der Zeit nach dem Kollaps von Lehman Brothers nämlich eine globale Versicherungslücke von 350 Milliarden €, die aufgefüllt werden möchte. Die Analyse der Wachstumschancen der globalen Sach- und Lebensversicherungsmärkte sieht dem verhalten optimistisch entgegen: „Rascheres Wachstum von weltweit durchschnittlich 3,1 Prozent pro Jahr seit 2008 auf 5,9 Prozent in den kommenden zehn Jahren“, heißt es da. Die größten Hoffnungen liegen in der Anwendung neuer Technologien – hier steht ein potenzielles Prämienplus bis 2027 von 750 Milliarden € im Raum.
Hoffnung auf Generation Y
Doch nicht nur das Wachstum soll kräftiger ausfallen, auch die Gewichtungen zwischen Sach- und Lebensversicherung sollen sich laut Allianz-Studie wieder verschieben. Stagnierende Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, vor allem anderen aber das Niedrigzinsumfeld dämpften die Nachfrage nach Lebensversicherungen. Auch das soll sich laut Studie ändern. An das Ende der Lebensversicherung hat auch Stadler nie geglaubt. „Diese Kassandrarufe mochte ich nie“, sagt sie. „Ich hoffe, dass sich der Bereich erweitert. Denn es gibt Statistiken darüber, dass sich 80 bis 90 Prozent der Österreicher mit ihrer Sozialversicherungspension jenen Lebensstandard, den sie von ihrem aktiven Leben kennen, später nicht mehr leisten können. Wenn Sie aber sehen, wer heute etwas dagegen tut, dann liegen wir erst bei 50 bis 60 Prozent. Da gibt es eine große Lücke“, so Stadler. Laut Allianz-Studie sollen die Prämieneinnahmen im Bereich Leben in den Jahren bis 2027 um 6,5 Prozent steigen – dem gegenüber stehen 4,9 Prozent in den Sachversicherungen.
Da liegt auch Hoffnung in einem bevorstehenden Generationenwechsel – bis 2024 wird auch rund die Hälfte der VIG-Kunden aus Vertretern der Generation Y bzw. Millennials bestehen, und deren Bewusstsein für das Thema Versicherungen sei groß. „Größer als zu jenen Zeiten, als wir noch jung und die Sozialversicherungen gut ausgestattet waren“, so Stadler. „Etwa bei der Krankenversicherung sind die Jungen viel gesundheitsbewusster und schätzen die Abdeckung von Homöopathie und ambulanten Kostenübernahmen.“ Mit der Kostenübernahme sei es nicht getan, es gehe um die Organisation von Terminen bis hin zur Prävention. Mit Services via App kommt man dem Bedürfnis nach, Dinge schnell und einfach zu organisieren. Derzeit seien entsprechende Services in Ungarn, Bulgarien und Polen in Verwendung. „Wir merken, dass die Menschen eine höhere Affinität zum Digitalen aufweisen, je weiter wir nach Osten gehen. Das muss man ehrlich sagen, da gehören wir nicht zu den Spitzenreitern.“ Daher werden viele dieser Services im Osten entwickelt „und nach dem Motto Best Practice in jene Länder und Gesellschaften gebracht, wo sie gut funktionieren und Sinn machen“, so Stadler weiter. Es sei wichtig, laufend neue Ideen und Gedanken in die Organisation zu bringen. „Vieles ist Try and Error. Das ist einfach notwendig. Bei großen Erfindungen wie der Glühbirne gab es auch viele Fehlversuche.“
Freiraum für Kreativität
Das sei das Schöne an Vielfalt – die 50 Gesellschaften der VIG in 25 Ländern zu lenken, sei aber auch herausfordernd. „Mir ist wichtig, dass wir die Autonomie und Selbstständigkeit fördern, weil ich glaube, dass das ein gutes Umfeld ist, um kreative Ideen zu haben, neue Produkte zu kreieren und neue Projekte anzugehen. Und ich sehe, dass es für das Management, für die Mitarbeiter und für die Kunden motivierender ist, als wenn alles von der Konzernzentrale in Österreich durchdirigiert und vorgegeben wird. Man muss auf die einzelnen Begebenheiten eingehen. Das macht es dann aber auch für die Holding herausfordernd, dieses Konstrukt zu steuern.“
Elisabeth Stadler
wurde 1961 in Langenlois geboren, wo sie auch heute noch lebt. Sie studierte Versicherungsmathematik an der TU Wien und dockte gleich nach dem Studium bei der damaligen Bundesländerversicherung an. Dort wurde sie 2003 zum Vorstand der nunmehr umbenannten Uniqa Personenversicherung sowie der Call Direct Versicherung gewählt. 2005 kamen Vorstandspositionen der Raiffeisen Versicherung und der FinanceLife Lebensversicherung dazu. 2009 schied Stadler aus der Uniqa Gruppe aus, um Vorstandschefin der Ergo Austria International zu werden; 2014 kam dann der Wechsel als Generaldirektorin zur Donau Versicherung. Seit 2016 ist Elisabeth Stadler CEO der Vienna Insurance Group. Sie hält zehn Aufsichtsratsmandate und ist Vizepräsidentin des Österreichischen Roten Kreuzes.
„Ich hole mir viele Meinungen ein"
Stadlers Führungsstil wird von Branchenkollegen als vorausschauend beschrieben, mit Blick auf die Fakten. Sie selbst beschreibt sich als Chefin so: „Ich bin grundsätzlich ein Typ, der gerne mit Menschen arbeitet, der auch zuhören kann, und ich hole mir schon viele Meinungen ein, auch zu fachlichen Themen von meinen Mitarbeitern. Ich binde viele ein – dann treffe ich eine Entscheidung und erwarte dann aber auch, dass diese von allen mitgetragen und umgesetzt wird.“ Wo sie sich selbst Rat hole, wenn sie welchen brauche, wollen wir noch wissen. „Den hole ich mir größtenteils aus meiner Erfahrung.“ Sie lacht über diese nicht ganz ernst gemeinte Antwort, hängt aber gleich an: Nach Möglichkeit und Zeitressourcen reflektiere sie gerne mit Branchenkollegen, Freunden und Bekannten. Überhaupt macht Stadler eher wenig Aufhebens um ihre eigene Person und ist auch großzügig, wenn es um Karriereratschläge für junge Frauen geht. Ob sie ihr mathematischer Verstand und das tiefe Verständnis von Zahlen zuweilen vor unnötigen Auseinandersetzungen mit männlichen Kollegen bewahrt hätten? „Das könnte schon sein“, schmunzelt die Managerin.
Viele Frauen in VIG-Führungspositionen
Auf die Frage, wie viel Kritik sie einstecken musste, bei gleicher Qualifikation in ihrem Unternehmen Frauen zu bevorzugen, antwortet sie mit einem Lachen: „Die Quote mag ich nicht, auch, wenn es manchmal offensichtlich der einzige Weg ist, etwas zu erreichen. Wir versuchen, Frauen zu unterstützen und zu fördern – aber es sind verschiedene Diversitäten, auf die wir im Konzern schauen, auch Generationen und Kultur. Wir haben 17 Nationen und 23 Sprachen hier im Haus vertreten. Aber es stimmt: Wir haben nicht nur im Vorstand einen 50-prozentigen Frauenanteil, wir haben generell in der VIG wirklich viele Frauen in Führungspositionen und auch im Aufsichtsrat.“ Das System sei einfach: „Je mehr Frauen an der Basis beginnen, umso mehr kommen auch in dieser Pyramide nach oben.“ Ohne Freude am Job sei aber alles nichts wert, so Stadler sinngemäß. Da störe es sie persönlich auch nicht, dass ihr eigenes Salär von 1,06 Millionen € erheblich unter dem durchschnittlichen Gehalt eines ATX-Managers (1,7 Millionen €) liegt; obwohl sie grundsätzlich schon die Ansicht vertritt, dass für gleiche Arbeit gleicher Lohn zu bezahlen sei. Sie selbst sei in der glücklichen Lage, einer Tätigkeit nachzugehen, die ihr nicht nur große Freude bereitet, sondern auch einen wichtigen volkswirtschaftlichen Beitrag leistet, indem sie die Absicherung von Risiken übernehmen kann, die Menschen etwas wert sind. „Ich finde, das ist einfach eine wunderschöne Tätigkeit. Das mache ich seit 35 Jahren und ich habe keinen einzigen Tag bereut.“
Text: Heidi Aichinger
Fotos: Christian Wind
Dieser Artikel ist in unserer Jänner-Ausgabe 2019 „Growth-Innovation-Forschung“ erschienen.