DIE GROSSE STREAMING-WETTE

Das von Jeffrey Katzenberg und Meg Whitman gestartete Unternehmen Quibi sollte der neue Stern am Streaming­himmel werden. Der Coronavirus-Lockdown bot eine riesige Chance – doch Schwierigkeiten nach dem Launch und ein überhitzter Markt erschweren den Weg.

Es waren keine zehn Minuten seit Meg Whitmans Ankündigung, als CEO von Hewlett-Packard zurückzutreten, vergangen, als im November 2017 ihr Telefon klingelte. Jeffrey Katzenberg, ein langjähriger Freund, den sie während ihrer gemeinsamen Zeit bei Disney kennengelernt hatte, war am Apparat. „Was machst du jetzt?“, fragte Katzenberg. „Ich weiß es nicht“, sagte Whitman. „Ich bin ja Vorsitzende von Teach for America (NGO im Bereich der Schulbildung, Anm.), und ich werde wohl Zeit mit meinem Mann verbringen und reisen.“ Die beiden verabredeten sich also zum Abendessen. Katzenberg flog extra ins Silicon Valley, um seine neue Idee zu pitchen: hochkarätiges Entertainment auf Mobiltelefonen. Für Whitman war das perfekt: Der Markt war riesig, die Trends passend und das Konzept in einer Nische. Whitman erkannte, dass in ihrem Leben Platz für ein weiteres Start-up war.

Ihre Karriere hatte bereits mit einem visionären Gründer begonnen: Pierre Omidyar. Als Whitman 1998 zu seinem Unternehmen ­E-Bay kam, zählte dieses gerade 30 Mitarbeiter und vier Millionen US-$ Umsatz – innerhalb eines Jahrzehnts half Whitman, die Zahlen auf über 15.000 Mitarbeiter und acht Milliarden US-$ Umsatz hochzuschrauben. Mehr als zwei ­Jahre nach besagtem Abendessen ist Quibi (ein Kofferwort aus „Quick“ und „Bites“) mit seinem mobilen Streamingdienst gestartet. Angeboten werden eigens produzierte Filme, Reality-Fernsehen, Komödien und News in leicht verdaulichen Happen – höchstens zehn Minuten dauert ein Video, alles ist für das Handy optimiert.

Whitmans Begeisterung teilen nicht alle in Hollywood – viele halten das Konzept für eine schlechte Idee. Wer soll in einer Zeit voller meist kostenloser Unterhaltungsangebote für einen weiteren Dienst bezahlen? „Wenn ich mir ‚Game of Thrones‘ in achtminütigen Happen ansehe – wo ist dann der Unterschied?“, spottet ein Hollywood-Insider unter Bedingung der Anonymität, da seine Kunden Shows an Quibi verkaufen. Trotz kritischer Stimmen sammelte Katzenberg ausreichend Geld – unter anderem eine Milliarde US-$ im ­August 2018 von Unternehmen wie Alibaba, Disney und Sony –, um Quibi ins Leben zu rufen. Im März 2020 wurde eine Folgerunde im Wert von 750 Millionen US-$ gestartet; wenige Tage vor Beginn der Coronakrise. Glücklicherweise hatten Star-Akteure wie Kevin Hart und Jennifer Lopez die Arbeit an ihren Quibi-Shows bereits abgeschlossen, Steven Spielberg übernahm die Dreharbeiten. Immerhin nach zwei Jahren können diese „Quick Bites“ in Spielfilmlänge veröffentlicht werden.

Der Lockdown in den USA hätte die perfekte Chance für Quibi bieten können: „Jetzt ist die Zeit, in der wir die Möglichkeit haben, den Menschen Glück, Freude und Spaß zu geben“, sagte Katzenberg. Doch der Start war holprig: Eine Woche nach dem Launch fiel Quibi aus den Top 50 der heruntergeladenen Gratis-Apps für das iPhone heraus. Nur 3,5 Millionen Kunden hatten die Anwendung Anfang Juni heruntergeladen. Eine der ersten Änderungen, die Quibi vornahm, war der Bruch mit dem Dogma „Smartphone only“: Die Nutzer wollen den Content auch auf ihren TV-Geräten ansehen, was anfangs nicht möglich war.

Gegenüber Netflix und Amazon hat Quibi aktuell einen Vorteil: Während die Produktion von neuen Filmen und TV-Serien aufgrund der Pandemie zum Stehen gekommen ist, hat Quibi brandneuen Content. Beim Debüt am 6. April 2020 gab es 50 „Quibi-Originals“, 120 Reality­shows und Dokumentarfilme sowie Nachrichten, Wetter und Sport. Insgesamt will Quibi im ersten Jahr 8.500 „Quick Bites“ von 175 verschiedenen Sendungen liefern.

Doch die 1,8-Milliarden-US-$-Frage bleibt: Wird jemand dafür bezahlen? „Jeffrey hat in seinem Leben nur wenige große Versuche gestartet, und er hat immer ins Schwarze getroffen“, sagt ein Topmanager einer der wichtigsten Talentagenturen Hollywoods. „Hätten Sie in den letzten 30 Jahren auf Jeffrey Katzenberg gesetzt, wären Sie reich geworden.“

Text: Dawn Chmielewski / Forbes US
Fotos: Ethan Pines / Forbes US

Der Artikel ist in unserer Mai-Ausgabe 2020 „Geld“ erschienen.

Forbes Editors

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