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Eine Folge unseres Reichtums ist eindeutig: Wohlhabende Gesellschaften strengen sich bei der Arbeit körperlich nicht mehr so an wie vor 100 Jahren. Um sich physisch auszulasten, geht man heute ins Fitnesscenter – oder hat Geräte zu Hause: Der Markt für Hometrainer und Co wächst rasant. Melanie Lauer, neue CEO von Kettler/Trisport, will ihn genauso erobern wie den europäischen Fitnessmarkt insgesamt. Für das Realisieren ihrer Vision hinterfragt sie so gut wie alles.
Coronabedingt findet das Interview mit Melanie Lauer über Zoom statt. Ihr Zimmer ist simpel, aber elegant eingerichtet; dass einem hier die Chefin einer Fitnessgerätemarke entgegenlächelt, würde man an Lauers adretter Kleidung aber nicht unbedingt erkennen. Doch wenn auch nicht zwingend wie aus der Fitnessbranche stammend, so wirkt Lauer doch definitiv wie eine Führungskraft – als wäre sie schon immer CEO und nicht erst seit ein paar Monaten. Dabei war der Weg dorthin kein selbstverständlicher, denn Lauer studierte Philosophie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Eine Philosophin als CEO? Das ist im deutschsprachigen Raum eine Seltenheit. Gleichwohl habe das Erlernen dieser Disziplin Vorteile gegenüber den klassischen Studienrichtungen wie BWL, Jura oder technischen Studien, so die Deutsche. „Vor mir liegt eine große Menge an Informationen. Diese muss ich schnell erfassen, gliedern, strukturieren und dann die Probleme systematisch lösen. Da ist das Handwerk, das man in einem geisteswissenschaftlichen Studium lernt, als CEO sehr hilfreich.“ Dass sie im Gegensatz zu ihren Kollegen aus den Wirtschaftswissenschaften unzählige Praktika machen musste, um als wirtschaftlich kompetent wahrgenommen zu werden, fügt sie schmunzelnd hinzu. „Man muss sich einfach mehr beweisen, das ist so“, beendet die neue CEO von Kettler/Trisport den kurzen intellektuellen Ausflug über die Vor- und Nachteile ihrer Ausbildung.
Hört man Lauer zu, hat man schnell das Gefühl, vor einer Frau zu sitzen, der ein Job in der Vorstandsetage nicht in die Wiege gelegt wurde. „Ich habe schon während meiner Hochschulausbildung immer gearbeitet, um mir mein Studium zu finanzieren und mir betriebswirtschaftliche Kenntnisse anzueignen; sei es nun in einer Bank, im Vertrieb eines Modelabels oder bei einem Elektronikgroßhändler. Als Frau war es in Männerdomänen oft so, dass man als Erstes gefragt wurde, ob man einen Kaffee bringen kann. Das hat sich nach den ersten drei Sätzen aber relativ schnell geändert, wenn das Gegenüber gemerkt hat, dass Expertise vorhanden ist und man auf einer Ebene spricht“, schildert Lauer. Besondere Freude hatte Lauer stets an der Kommunikation, dem Marketing und dem Vertrieb. Das zeigt sich auch in ihrem Werdegang: Rund fünf Jahre war sie in München als PR-, Marketing- und Salesmanagerin tätig, bevor sie 2013 Marketingdirektorin bei der deutschen Elektrohandelskette Conrad wurde. Vier Jahre später wurde sie zur Vice President international B2B befördert – eine Stufe unter dem C-Level. „Als ich dort angefangen habe, war Conrad ein reines B2C-Unternehmen mit einigen Ansätzen im B2B-Bereich. Als ich gegangen bin, kamen über 50 % der Umsätze aus dem B2B-Geschäft. Ich habe das Kind von Anfang an wachsen sehen.“ Doch Lauer fühlte sich durch ihre Arbeit bei Conrad zu höheren Weihen berufen.
Melanie Lauer
...studierte Philosophie an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Vor ihrer Zeit als CEO bei Kettler – sie trat den Posten vor 6 Monaten an – war Lauer sieben Jahre beim Elektrogroßhändler Conrad tätig, unter anderem als Vice-President international B2B.
Die Chance begann, als die bekannte Kettler-Holding einige ihrer Töchter zur Insolvenz anmeldete, darunter die namhafte Fitnesssparte. Der Schweizer Sportartikelfachhändler Trisport sah eine günstige Möglichkeit, neben seinem Fundament als Händler durch den Erwerb der Markenrechte von Kettler selbst zum Produzenten zu werden. Denn das wirtschaftliche Potenzial ist riesig: Alleine der Heimfitnessmarkt in Europa ist rund eine Milliarde € schwer; wenn man die gesamte Sparte ansieht, steigt das Volumen laut Lauer auf drei bis vier Milliarden €.
Doch dieser Markt muss erst erobert werden. Lauers Profil schien wie geschaffen für diese Herausforderung: Sie wusste genau, was nötig ist, um einem Unternehmen neues Leben einzuhauchen. Und: Für Lauer war die Möglichkeit gekommen, selbst auf dem C-Level zu agieren. „Die Herausforderung bei Kettler hat mich total gereizt. Außerdem hatte ich mit der Marke schon immer eine Verbundenheit. Heute fahren meine Kinder auf dem alten Kettcar im Garten herum, meine Eltern hatten einen Kettler-Trainer. Die Marke hat 74 % Markenbekanntheit in Deutschland, was enorm ist. Zudem gefällt mir der Qualitätsaspekt sehr“, so Lauer, die das Unternehmen seit Anfang Mai als CEO führt. Eine ihrer ersten Maßnahmen war, die Hierarchie im Unternehmen zu verflachen und bei Neueinstellungen die individuelle Qualität entscheiden zu lassen – der physische Standort wurde bei der Auswahl sekundär.
Wir wollen Geräte produzieren, die durch Anmut und Funktionalität zum Training motivieren.
Mit starken Investoren im Rücken – die Namen will Lauer nicht nennen; sie erwähnt nur, dass sie allesamt Business Angels aus der Schweiz sind – und einem neuen Team macht sich Lauer an die Realisierung ihrer Vision. Die Struktur des Betriebs wurde verschlankt, Dinge, die andere besser machen, wurden ausgelagert. Ziel ist es, funktionale Fitnessgeräte mit ästhetischem Design und digitaler Konnektivität zu produzieren, die man sich auch in immer kleiner werdende Zimmer stellen kann. Hierbei hilft der Grazer Julian Hönig, der als Mitglied des Teams des ehemaligen Apple-Designchefs Jony Ive als einer der Väter der Apple Watch gilt – Hönig berät Kettler/Trisport bei der Produktstrategie. Das technische Know-how holt man sich aus Kalifornien vom Designteam NPD, das bereits für andere Fitnessmarken tätig war. Zusätzlich, und um sich die Inspiration nicht ausschließlich aus den USA zu holen, hat Kettler die Kreativagentur Forpeople mit Sitz in London und Amsterdam engagiert. Sie soll dabei helfen, die Produkte ansehnlicher in den Wohnbereich einzufügen. „Wir machen viel Marktforschung, um unsere Produkte nicht im Keller zu sehen, sondern wirklich Geräte zu produzieren, auf die man stolz ist und die durch Anmut und Funktionalität zum Training motivieren“, sagt Lauer. Dennoch sollen die Produkte keine Luxusware werden – Kettler bietet ein Einsteiger- und Premiumsortiment. Die neue Chefin stellt hierbei nicht alles auf den Kopf, sie will die für die Marke bekannte Qualität erhalten: Kettler arbeitet laut Lauer immer noch mit den gleichen Werkzeugen, mit denen man auch in der Vergangenheit produziert hat. In Amerika werde zu viel Plastik verwendet, so Lauer – die Schweizer Firma will nachhaltig produzieren.
KETTLERS ENTWICKLUNG
(Quelle: Kettler)
Die Coronakrise legte aber alles still. Als die Wirtschaft wieder hochgefahren wurde, aber noch niemand reisen durfte, überzeugte sich Lauer per Whatsapp vom Produktionsprozess in der Fabrik. „Wenn man mit Handy und Laptop nachsieht, ob die Spule im Rad rundläuft, ist das eine ungewohnte Situation. Aber letztendlich hat es funktioniert. Wir haben uns tatsächlich viel Zeit und Kosten gespart. Wir hatten fast 24 Stunden pro Tag jemanden in der Fabrik, was ansonsten nicht der Fall ist. Dadurch wurde auch die Produktionszeit massiv beschleunigt, da wir umgehend reagieren und Anpassungen umsetzen konnten“, erzählt Lauer.
Das Gespräch mit ihr zeigt, dass sie ihrer Ausbildung treu geblieben ist. Denn sie denkt und agiert weiterhin wie eine Philosophin – systematisch. Aus ihren Puzzleteilen will sie ein profitables Unternehmen bauen – basierend auf einem exzellenten Produkt, das über die reine Funktionalität hinausgeht. Laut ihr soll auch eine emotionale Verbundenheit beim Kunden entstehen: „Die Heimfitnessbranche ist durch Corona explodiert. Trisport hat als Distributor beispielsweise einen Handelsbestand an Hanteln gekauft, der ursprünglich für 18 Monate gedacht war – während Corona war dieser in sieben Tagen verkauft. Kettler wächst aktuell so schnell in den Markt hinein, dass wir mit der Produktion nicht hinterherkommen. Wir könnten deutlich mehr verkaufen, als wir es tun, und überall laufen wir offene Türen ein, womit wir auch nicht gerechnet hatten.“ Konkrete Umsatzzahlen will Lauer nicht nennen, sie sagt aber, dass in drei Jahren die alte Umsatzgröße von Kettler wieder erreicht werden wird. Das ist eine hohe Messlatte, denn die Sportsparte von Kettler lag vor der Übernahme durch Trisport bei über 100 Millionen € Umsatz pro Jahr. Für die Philosophin läuft alles nach Plan: „Wir sind auf einem extrem guten Weg.“
Text: Muamer Becirovic
Fotos: Fernanda Vilela
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 9–20 zum Thema „Women“.