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Während sich die Welt mit der Frage auseinandersetzt, wie das Reisen in Zeiten der Coronapandemie sicher umgesetzt werden kann, blickt Private-Equity-Milliardär Wes Edens über den Tellerrand: Mit Brightline setzt der Unternehmer neun Milliarden US-$ darauf, dass die Zukunft des Personenverkehrs in den USA auf Schienen fährt. Seine Devise: Runter von den US-Highways – und hinein in seine Züge.
Es ist nicht so, als wäre ich schon immer ein absoluter Eisenbahnfanatiker gewesen – aber ich liebe es, mit dem Zug zu reisen“, sagt Wes Edens. Der Mitgründer der Fortress Investment Group sitzt im Restaurant eines Casinos in Las Vegas – ausgerechnet also in einer der Städte, die dem Zugfahren am stärksten abgeneigt ist –, um über die Personenbeförderung auf Schienen zu sprechen. Denn Edens hat eine Vision: Ganz nach dem Vorbild des Eurostars möchte er Hochgeschwindigkeitszüge in den USA einsetzen, um den Personenverkehr auf Schienen als echte Konkurrenz zum Autofahren aufsteigen zu lassen.
Es ist eine Vision, von der Edens durchaus überzeugt ist – er investierte selbst bereits mehr als 100 Millionen US-$ seines eigenen Geldes in sein Vorhaben. Wenn sein Plan aufgeht, dann könnten seine Züge im Jahr 2026 fast 20 Millionen Passagiere befördern und einen Jahresumsatz von etwa 1,6 Milliarden US-$ erwirtschaften. „Die größten Vermögen werden in der Regel durch die Lösung der offensichtlichsten Probleme gemacht“, sagt Edens. „Und egal, wohin man fährt, ob mit der Familie von Orlando nach Miami oder von Los Angeles nach Las Vegas – mit dem Auto macht man nur schlechte Erfahrungen.“
Doch bislang konnte der Personenverkehr auf Schienen in den USA nicht für bessere Erfahrungen sorgen: Amtrak, der führende Betreiber des US-Personenfernverkehrs, hat seit seiner Gründung im Jahr 1971 52 Milliarden US-$ an öffentlichen Geldern verbraucht und nie Geld verdient. Sein bestes Jahr war der Betriebsverlust von 30 Millionen US-$ im Jahr 2019.
Wesley Edens
... war 1998 Mitbegründer der Vermögensverwaltung Fortress Investment Group. 2017 wurde Fortress von Softbank übernommen; Edens ist Vorsitzender bei Fortress, das 2007 Henry Flaglers Eisenbahnlinie Florida East Coast Railway in Südflorida übernahm. Seither baut Edens das Express-Intercity-Bahnsystem Brightline aus.
Es ist nicht so, als hätte es keine Versuche gegeben, für mehr Verbindungen, etwa von Küste zu Küste, zu sorgen. Doch in einem Land, das kein sonderliches Interesse an Zugverbindungen dieser Art zeigt, wird die Umsetzung erschwert. „Es ist unfassbar, wie wenig Amerikaner mit dem Zug reisen“, sagt Edens. „Dabei birgt das Zugfahren eine große Chance.“ Diese Chance erkannte vor ihm bereits auch Edens’ großes Vorbild: der Industrielle Henry Flagler. Dieser war gemeinsam mit John D. Rockefeller Mitgründer der Standard Oil Company und initiierte einige Eisenbahnprojekte in Florida – Projekte, an denen Edens Gefallen fand. Im Jahr 2007 übernahm er mit seinem Unternehmen Fortress Flaglers Eisenbahnlinie in Südflorida für 3,5 Milliarden US-$. Von Ehrgeiz gepackt, pitchte er das Potenzial dieser Linie – und Gouverneure an Ost- und Westküste bissen an.
In den letzten zwei Jahren sicherte Edens sich steuerfreie Anleihen, um seine Brightline-Bahnverbindung von Miami Nord nach Orlando zu erweitern, ein Projekt mit Gesamtkosten von 4,2 Milliarden US-$. Und wenn alles läuft wie geplant, dann wird ab 2023 auch ein Wüstenexpress zur Verfügung stehen, der Passagiere in nur 85 Minuten von Las Vegas nach Los Angeles bringt. Diese Linie wiederum ist stolze fünf Milliarden US-$ teuer – und erhielt bereits eine Finanzierung der US-Bundesregierung im Wert von einer Milliarde US-$.
Das öffentlich-private Finanzierungsmodell, das Edens einsetzen möchte, funktioniere genauso, wie eine Infrastruktur im großen Stil aufgebaut werden solle, sagt der ehemalige Minister für Wohnungsbau und Stadtentwicklung sowie Bürgermeister von San Antonio Henry Cisneros. Cisneros, Vorstand eines Unternehmens, das sich auf die Sicherung von Geldern für solche Projekte spezialisiert hat, meint gegenüber Forbes: „Es wird Pionierarbeit finanzieller Art geleistet, um privates Kapital freizusetzen. Wenn es genügend Anreize gibt, dafür zu sorgen, dass die (Projekte, Anm.) gebaut werden und Geld einbringen können, gibt es in unserem Kapitalverkehrssystem Investoren und Einrichtungen, die längerfristige Investitionen wünschen.“
Edens große Pläne sind auf den ersten Blick überzeugend: Seine neuen, modernen Zugstrecken in Florida und an der Westküste versprechen Tausende Arbeitsplätze im Baugewerbe – und das zu einer Zeit, in der die Coronapandemie für eine Welle der Arbeitslosigkeit sorgt. Doch Edens’ bisherige Erfolgsbilanz lässt auf anderes schließen – vielleicht ist alles doch einfach zu schön, um wahr zu sein?
Nach beinahe 15 Jahren mit Flaglers Eisenbahnlinie in seinem Besitz bleibt die Rendite für Edens und die Investoren von Fortress ungewiss. Laut Forbes’ Analyse haben Edens und Fortress etwa zwei Milliarden US-$ Eigenkapital in das Ergreifen von Edens großer Chance gesteckt – eine Entscheidung, die am Höhepunkt der Immobilien- und Buy-out-Blase von 2007 getroffen wurde; zur Gänze zurückgeflossen ist dieses Geld noch nicht. Edens, der einen fast vollständigen Verlust seiner Karriere auf dem Tiefpunkt des Marktes hinnehmen musste, hat mehr als ein Jahrzehnt damit verbracht, Investoren auf ein ausgeglichenes Verhältnis zurückzuführen. Nun gilt es, dass sie seine Eisenbahn-Wette auszahlt.
Das in Florida ansässige Unternehmen Brightline ist der Ausgangspunkt. Die einzige private US-Verkehrslinie, die 2017 mit 600 Millionen US-$ in Form von privatem Beteiligungskapital und steuerfreien Anleihen finanziert wurde, nahm im Folgejahr eine 67-Meilen-Strecke zwischen Miami und West Palm Beach in Betrieb. Ein Geldmacher ist Brightline aber noch lange nicht: Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen etwas mehr als eine Million Passagiere befördert, mit einem Umsatz von 22 Millionen US-$ und einem Betriebsverlust von 66 Millionen US-$. Das lässt Edens jedoch kalt – der Brightline-Vorsitzende gibt zu verstehen, dass der aktuelle Betrieb lediglich ein Vorgeschmack auf das ist, was die Zukunft bereithält. Damit könnte er auf das Jahr 2022 anspielen, wenn Brightline seine neue Strecke nördlich von Orlando eröffnet. Züge mit einer Geschwindigkeit von bis zu 125 Meilen pro Stunde (ca. 200 km/h) werden die Passagiere in etwa drei Stunden zwischen dem Flughafen von Orlando und Miami befördern – etwa eine Stunde schneller als mit dem Auto. Befördert werden sollen 2023, im ersten vollen Dienstjahr, gute 6,6 Millionen Menschen. Und auch Richard Bransons Virgin ist in das Projekt eingebunden: Im Zuge eines Markenvertrags hat Brightline seine Miami-Station 2018 in Virgin Miami Central umbenannt. Aktuell ist eine zweite Orlando-Station in Disney World und eine Erweiterung nach Tampa (ebenfalls in Florida) im Gespräch. Investiert hat Virgin allerdings nicht.
Obgleich die Märkte skeptisch geworden sind, sieht Edens großes Potenzial in seiner Zugsidee. Auch an der US-Westküste möchte der Fortress-Vorsitzende seine Ideen verwirklichen und plant eine 180 Meilen (ca. 290 km) lange Strecke, die von der Wüste Nevadas bis Los Angeles reicht. Die Züge dort sollen entlang der Interstate 15 fahren und vollständig elektrisch betrieben werden – ein Punkt, der auch in Richtung Nachhaltigkeit und Vermeidung von Abgasen zielt.
Nach einer turbulenten Karriere und vielen Jahren der Rettung schlechter Investitionen stehen nun das Eisenbahn- und Energiegeschäft im Mittelpunkt von Edens Interesse. „An diesem Punkt in meinem Leben sehe ich mich eher als Bauherr“, meint er und fügt hinzu: „Die Modernisierung der Infrastruktur unserer Nation und der Bau von Hochgeschwindigkeitszügen können der Hoover-Damm und die Tennessee Valley Authority dieser Generation sein.“
Text: Alan Ohnsman und Antoine Gara / Forbes US
Foto: Pete Barrett / Forbes US
Der Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2020 „Next“ erschienen.