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Isabella Weber hat die Gaspreisbremse erfunden – auf dem Weg dorthin hat die Ökonomin viel Häme abbekommen. Ihre Forschung könnte Antworten darauf geben, wie unsere Wirtschaft sicherer werden könnte. Ihre Ansätze testen die Grenzen im Establishment ihrer Disziplin. Sind die Wirtschaftswissenschaften bereit dafür?
„Inflation kann sich wie ein Feuer ausbreiten“, sagt Isabella Weber. Das ist ein schwer verdauliches Faktum über die Welt, in der wir leben – bei der Ökonomin klingt es jedoch auch wie ein Glaubenssatz, der sie in ihrer Arbeit antreibt.
Weber ist eine deutsche Ökonomin, 36 Jahre alt und lebt und arbeitet derzeit in den USA. In ihrem Alltag beschäftigt sie sich mit den großen ökonomischen Themen der Gegenwart, konkret: „mit den systemisch relevanten wirtschaftlichen Aktivitäten und Gütern“, wie sie es zusammenfasst. Webers Welt offenbart einen neuen Ansatz für die moderne Ökonomie, über Preisstabilität nachzudenken. Die Inflation ist dabei ein wichtiger Aspekt, aber es gehe auch nicht „nur“ um Inflationsforschung, sagt Weber. Vielmehr stehen grundlegendere Fragen der Organisation wirtschaftlicher Systeme im Vordergrund ihrer Arbeit.
Ihre – in den traditionellen Wirtschaftswissenschaften eher unkonventionelle – Art, zu denken, brachte ihr im vergangenen Jahr viel Kritik und Häme ein. Sie brachte sie aber auch bis in die Expertenkommission der deutschen Bundesregierung, die schließlich die Gaspreisbremse entwickelte, für die Weber sich monatelang eingesetzt hatte.
Weber hat bereits Bücher veröffentlicht, darunter „Das Gespenst der Inflation: Wie China der Schocktherapie entkam“. Ihr Lebenslauf klingt nach einer Musterkarriere im akademischen Betrieb – und dennoch ist sie Außenseiterin. Webers Ideen weichen oftmals vom ökonomischen Mainstream ab. In einem Artikel im Guardian dachte Weber Ende 2021 laut darüber nach, ob selektive Preiskontrollen dazu beitragen könnten, die Preise stabiler zu machen.
„Auf Twitter wurde das dann verkürzt zu: ,Frau will totale Preiskontrollen‘. Im sozialen Netzwerk bricht ein Hasssturm gegen die Ökonomin aus, teils auch mit persönlichen Beleidigungen gegen ihre Person – ein enormer Schock, sagt Weber, zumal der Hass zunächst von Internet-Trollen gekommen sei, später jedoch auch in den eigenen professionellen Kontext überging. Weber: „Das war schon verstörend.“ Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und Kolumnist Paul Krugman bezeichnete Webers Ideen gar als „dumm“ – und entschuldigte sich später in einem Tweet für seinen Ton. Für Weber zeigt der Vorgang auch „einen Moment von: Da ist eine Außenseiterin, eine junge, neue Frau, die etwas sagt, das außerhalb des gesetzten Diskurses ist. Sie ist nicht die Person, die jetzt die Grenzen der Debatte pushen kann!“, so die Wissenschaftlerin.
Doch genau das hat Weber getan. Ein Kritikpunkt war damals, dass Weber zwar einen Gedanken in den Raum stellte, aber nichts Konkretes vorschlug. Statt einen weiteren Artikel zu schreiben, um ihre Arbeit zu verteidigen, steckte sie ihre Energie in einen ausgearbeiteten Vorschlag. Das Ergebnis war eine Skizze für einen Gaspreisdeckel, auf der die Lösung basiert, die die deutsche Bundesregierung im Herbst des vergangenen Jahres eingeführt hat.
Die Pandemie, die Klimakrise und die geopolitischen Spannungen stören Liefer- und Wertschöpfungsketten überall. Im Ergebnis stehen teils zweistellige Inflationsraten in Europa und den USA, drohende Rezessionen, mit Steuergeldern gerettete Unternehmen und immer neue Unterstützungsmaßnahmen der Regierungen.
Einigkeit herrscht in der Sache: Da, wo wir jetzt sind, wollen wir nie wieder sein. Somit stellt sich die Frage, wie die Wirtschaft gegen solche Eskalationen abgesichert werden kann. Weber hat Antworten, zumindest theoretisch. Ihr jüngstes Working Paper trägt den Titel „Inflation in Times of Overlapping Emergencies“ und enthält Denkansätze für den wirtschaftspolitischen Katastrophenschutz in ungemütlichen Zeiten. Konkret blicken Weber und ihre Co-Autoren auf die Auswirkungen von Preisschocks in den verschiedenen Sektoren der Wirtschaft. In der wirtschaftswissenschaftlichen Praxis bedeutete dies, Preisschocks auf der Grundlage eines Input-Output-Modells zu modellieren. „Das hilft dabei, nachzuvollziehen, wie sich so ein Schock durch die Wirtschaft bewegt“, sagt Weber. Denn ein Input-Output-Modell sieht die Wirtschaft als einen großen Kreislauf, in dem der Output des einen Sektors der Input des nächsten ist.
Tatsächlich stammt die Grundidee eines solchen Modells aus Kriegszeiten. In den USA wurden Input-Output-Modelle des Ökonomen Wassily Leontief verwendet, um Schwachpunkte der Wirtschaft anderer Länder zu identifizieren. „Was wir jetzt machen, ist, diese Debatte in die Preisstabilitätsdebatte zu übersetzen, um Schwachpunkte für Preisstabilität zu finden“, so Weber.
Weber und ihre Co-Autoren identifizieren in ihrem Paper also kritische Sektoren – „kritisch in dem Sinn, dass deren Preisbewegungen die größten Inflationsbewegungen hervorrufen“, erklärt Weber. In Webers Simulation sind diese Benzin- und Kohleprodukte, Öl- und Gasgewinnung, Landwirtschaft, Nahrungsmittel und Tabak, Chemieprodukte, Wohnungen, Utilities (also zum Beispiel die Strom- und Wasserversorgung) und der Großhandel.
Im Ergebnis führt das zu der Erkenntnis, dass es Sektoren gibt, die volatilere Preise haben und aufgrund ihrer Wichtigkeit für andere Sektoren gesamtwirtschaftliche Veränderungen auslösen und insbesondere die Preisstabilität gefährden können. „Die Idee ist: Wenn wir wissen, wo unsere Schwachpunkte sind, dann müssen wir neu darüber nachdenken, wie wir die Schwachpunkte stärken können, damit wir gegenüber solchen Schocks weniger anfällig sind“, erklärt Weber.
Stärken, darüber nachdenken, Anfälligkeiten minimieren – aber wie? An diesem Punkt stößt die ökonomische Theorie an ihre Grenzen. „Wenn wir über Sektoren wie Housing, Chemie oder Energie sprechen, dann schauen wir auf qualitativ sehr unterschiedliche Sektoren“, so Weber. Welche spezifischen Mechanismen am besten geeignet seien, um dort mögliche Schocks abzufedern, das könne sie alleine als „Allgemein-Draufschauende“ nicht aufschlüsseln. „Das muss im Austausch mit Leuten kommen, die Experten und Stakeholder in diesen Sektoren sind“, sagt die Ökonomin.
Aktuell haben Notenbanken quasi die alleinige Hoheit über die Inflationsbekämpfung in ihren Volkswirtschaften; Preisstabilität ist ihr oberstes Ziel. Doch ihre Strategie birgt immer auch das Risiko, eine Rezession auszulösen – oder den Aufschwung, dem viele Ökonomien nach der Pandemie entgegengefiebert haben, abzuwürgen.
Mit dem Leitzins haben Notenbanken einen einfachen Hebel, der für alle Teile der Wirschaft gleichermaßen wirksam (oder unwirksam) ist, denn der Leitzins macht den Preis des Geldes für alle teurer. Weber gibt jedoch zu bedenken: „Inflation kann sich wie ein Feuer ausbreiten. Aber nur, weil es in der Küche brennt, muss man nicht das ganze Haus unter Wasser setzen.“
Gründe, neu über Inflation nachzudenken, gibt es also viele. Webers Ideen könnten sich eignen, den Werkzeugkasten der Inflationsbekämpfung zu erweitern. Dazu können auch selektive Preisbremsen gehören – als letztes Mittel, wenn alle anderen Maßnahmen, um Schocks abzuwehren, nicht funktioniert haben. „Wenn man die Preisdynamiken nicht frühzeitig beobachtet hat, wenn man den Markt nicht anderweitig stabilisieren konnte, dann könnten temporäre Preisdeckel eine Notfallmaßnahme sein“, sagt die Ökonomin.
Auch Notenbanken könnten potenziell stabilisierend in Preise bestimmter Sektoren eingreifen. So sei mit Blick auf die US-Notenbank Fed zum Beispiel das Eingreifen eines Commodity-Arms denkbar – ähnlich dem Kerngeschäft der US-Notenbank, den Open Market Operations, erklärt Weber. Ein wichtiger Baustein, damit es nicht zum Äußersten kommt, ist also auch die Prävention.
Der Blickwinkel der konventionellen Makroökonomie macht diese jedoch nur teilweise möglich. Die klassische Ökonomie folgt der Idee, dass Inflation immer dann auftritt, wenn eine hohe Nachfrage wenigen Gütern gegenübersteht. Im konkreten Fall: Staatliche Subventionen und Hilfsgelder treffen auf gestörte Lieferketten und somit leere Regale. Doch dieser Erklärungsansatz weist in der Realität Mängel auf. So zeigen deskriptive Studien, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage aktuell nur leicht über dem Vorkrisenniveau liegt, erklärt Weber. Und nach der Finanzkrise 2008, in der die Staaten viel Geld in die Wirtschaft pumpten, kämpften Notenbanker sogar mit einer Deflation. Mit der Rückkehr der Inflation in Europa und den USA haben viele Ökonomen mit dem reinen Blick auf die Nachfrage oder die Geldmenge also auch gar nicht gerechnet. Weber: „Deswegen gab es da eine Riesenverzögerung vom Aufkommen der Inflation hin dazu, dass sie wirklich ernst genommen wurde.“ Angesprochen auf ihre Motivation verweist sie meist auf ihren beruflichen Werdegang: „Was es gebraucht hätte, ist eine andere Sicht auf die Inflation, die ich durch biografische Zufälle habe.“
Mit den biografischen Zufällen meint sie ihr erstes Buch: „How China Escaped Shock Therapy“, das bald auch in Deutschland erscheinen soll. Weber ist damit offensichtlich bestens geeignet, die Grenzen der Debatte in ihrer Disziplin zu pushen, besonders wenn es um die Inflation geht – eine Aufgabe, die sie spürbar gerne annimmt, Shitstorms zum Trotz. Im vergangenen Jahr entbrannte die Inflationsdebatte, und während viele Star-Ökonomen die Inflation ein vorübergehendes Phänomen nannten, sah Weber das anders: „Zu sagen: Inflation comes and goes – damit machen sich die Wirtschaftswissenschaften irrelevant. Dann sind wir irgendwann nur noch Wetterberichterstatter.“
Die gebürtige Nürnbergerin Isabella Weber ist 35 Jahre alt. Sie war an renommierten Universitäten in Deutschland, England, China und den USA. Aktuell absolviert sie in Los Angeles das Berggruen Fellowship – eine einjährige Unterbrechung ihrer Position als Juniorprofessorin an der Universität von Massachusetts, um an neuen Publikationen zu arbeiten. Von diesen gibt es bereits Dutzende, darunter ein Buch, das demnächst auch in Deutschland unter dem Titel „Das Gespenst der Inflation: Wie China der Schocktherapie entkam“ erscheinen soll.
Text: Sarah Sendner
Fotos: Marzena Skubatz