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Michael Preetz ist kein gewöhnlicher Fußballfunktionär. Er hat 220.000 Twitter-Follower und will Hertha BSC wie ein Start-up führen.
Es ist ein ungewöhnlicher Ort für diesen Titel. Denn fernab von Berlin-Mitte und dem von digitalen Nomaden übervölkerten Sankt Oberholz, abseits von Rocket Internet und dem Soho House liegt es: das älteste Start-up Berlins. Ist der Titel der 1892 gegründeten Hertha BSC zwar ein Paradoxon, wird dieses Image von allen Mitarbeitern mitgetragen und gepflegt, die eigene Marke poliert, der Ruf überdacht und bearbeitet.
Der Titel „ältestes Start-ups der Stadt“ ist logischerweise keine offizielle Ehrung, sondern eine etwas ironische Selbstbeschreibung. Ironisch deshalb, da man diese Organisation auf den ersten Blick so gar nicht mit dem Begriff Start-up in Verbindung bringen würde. Genau das will Hertha BSC verändern – und zwar, indem man das Unternehmen hinter dem Berliner Traditionsklub neu erfindet. An diesem neuen Image arbeitet der auch als „Alte Dame“ bezeichnete Fußballverein nun bereits seit einigen Jahren. Die Berliner wollen weg vom alten, verstaubten Ruf des Hauptstadtklubs hin zu einem modernen, wettbewerbsfähigen Betrieb, der die Herausforderungen der digitalen Zukunft durch Wendigkeit und Anpassungsfähigkeit meistert.
Als Kapitän dieses Richtungswandels fungiert der „Geschäftsführer Sport“ von Hertha BSC, Michael Preetz. Und obwohl der Wandel des von ihm verantworteten Klubs spannend genug wäre, sind wir aus einem anderen Grund hier. Denn in unserem Forbes-Ranking der CEOs mit den meisten Twitter-Followern im deutschsprachigen Raum (DACH) belegt Preetz den 4. Rang. Über 222.000 Menschen folgen dem ehemaligen Fußballprofi auf der Social-Media-Plattform. Der offizielle Account des Klubs kommt nur auf unweit mehr Follower – 344.000. Die Frage, die uns in dieser Sache treibt, ist eigentlich eine simple: Müssen CEOs in Zeiten digitaler Transformation selbst auf digitalen Kanälen aktiv sein? Muss die Speerspitze von Veränderungsprozessen aus erster Hand wissen, wie die digitale Welt funktioniert, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können?
Antwort: Kommt darauf an. Denn ein Blick auf die CEOs der größten börsennotierten Unternehmen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zeigt, dass Twitter dort nicht so hoch im Kurs steht. In Deutschland ist mit Ausnahme von Siemens-Boss Joe Kaeser (7.972 Follower) und dem US-amerikanischen SAP-CEO Bill McDermott (41.000 Follower) kein einziger DAX-CEO auf Twitter zu finden. Obwohl, pardon, das stimmt so nicht – Aldo Belloni von der Linde Group hat auch ein Profil. Followerzahl? 14. Die Situation in der Schweiz und Österreich ist wenig anders, hier haben 20 Prozent der CEOs (Schweiz) bzw. 5 Prozent (Österreich) überhaupt einen Account. Dabei ist die unmittelbare Sendung von Informationen vor allem auch bei Politikern beliebt: Donald Trump hat fast 53 Millionen Follower, sein Vorgänger Barack Obama 103 Millionen. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz steht bei 304.000, Angela Merkel hat 35.000 Follower.
Und auch für Michael Preetz spielt die Plattform – im Gegensatz zu anderen CEOs – eine wichtige Rolle: „Für mich ist Twitter Informations- und Kommunikationstool. Wir befinden uns aktuell in einem großen Veränderungsprozess. Dabei spielt auch eine große Rolle, wie wir Informationen generieren und transportieren. Da macht es einfach Sinn, dass derjenige, der diesen Prozess am Ende verantwortet, auch digital aktiv ist.“ Als wir Michael Preetz zum Interview treffen, kommt dieser jedoch nicht alleine. Dabei ist auch Paul Keuter, der in der Geschäftsleitung für die Digitalisierung – also eben den von Preetz angesprochenen Veränderungsprozess – zuständig ist. Er verfügt über 11.000 Twitter-Follower und war vor seiner Zeit bei Hertha sogar für Twitter tätig. Keuter verantwortete die globale Sportstrategie des US-Unternehmens, bevor er nach Berlin kam.
Der Raum, in dem wir die beiden treffen, spiegelt diese Veränderung deutlich wider. Mehr Wohnzimmer als Büro, sitzen wir auf einer ausgedehnten Eckcouch, neben uns ein Fernseher mit Playstation, hinter uns ein Kühlschrank mit Getränken. Es fehlt nur noch Tischfußball, um das klassische Start-up-Feeling perfekt zu machen. Preetz trat den Posten 2009 an, leitet also schon fast ein Jahrzehnt die Geschicke der Hertha. Keuter wurde „erst“ 2016 an Bord geholt – und zwar, um den Wandel hin zum ältesten Start-up federführend zu gestalten. Keuter ist also seit zwei Jahren damit beschäftigt, den „Laden“ umzukrempeln, die Mitarbeiter für die gemeinsame Reise zu motivieren und in dem deutschen Betrieb einige amerikanische Prinzipien einzuführen. Damit machten sich Keuter und Preetz jedoch nicht nur Freunde, insbesondere die Fans stemmen sich hartnäckig gegen die Modernisierung des Klubs.
Doch erstmals müssen wir einen Schritt zurückgehen. Hertha BSC wurde 1892 als einer der ersten reinen Fußballklubs des Landes gegründet. Der Verein spielte im deutschen Fußball stets eine tragende Rolle, stand jedoch nur ganz selten tatsächlich an der Spitze. Meister wurde die Alte Dame zuletzt 1931. Ähnlich dem über weite Strecken überschaubaren sportlichen Erfolg schaffte es die Hertha auch nie so ganz, das eigene Image aufzupolieren. Als graue Maus der Liga steht man auch heute noch im Schatten des schicken Weltklubs Bayern München, auch Marken wie Borussia Dortmund oder Schalke 04 überstrahlen den Klub. So schrieb das Fußballmagazin 11 Freunde 2016 etwa vom „als chronisch unattraktiv verschrienen Hauptstadtklub“.
Preetz selbst kam ursprünglich 1996 als Spieler zur Hertha. Er streifte das Trikot der Berliner bis 2003 insgesamt 227-mal über und erzielte 93 Tore. Um den Klub nun also neben der Stabilisierung im sportlichen Bereich – zuletzt belegte Hertha BSC in der Bundesliga die Plätze sieben, sechs und zehn – auch eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft zu sichern, verordneten Preetz und Co. der Alten Dame 2016 eine Imagekur. 250.000 € wurden zur Verfügung gestellt, um das Image vom ältesten Start-up Berlins zu kultivieren. Und da kommt Paul Keuter ins Spiel. Denn der Manager soll den Weg prägen, den das hinter dem Klub agierende Unternehmen jetzt einschlägt: „Wir positionieren uns als Berlins ältestes Start-up. Diese Positionierung und deren Bedeutung ging unter anderem mit dem Saison-Motto 16/17 ‚We try. We fail. We win.‘ einher. Dieses Motto ist heute ein wichtiger Teil unserer Club-Kultur.“
Doch die Fans des Berliner Klubs halten von solchen Slogans eben herzlich wenig. Während Keuter und Preetz – und die gesamte Hertha-Geschäftsleitung, wie Preetz stets betont – voll hinter der Strategie stehen wollen, sperren sich insbesondere die aktiveren Fangruppen (die Ultras) vehement gegen die Veränderung. Denn die wollen nicht das ältestes Start-up der Stadt sein, sondern vielmehr eine charmante, aber traditionelle Currybude bleiben. Die Wut der Anhänger entlädt sich dabei vor allem auf jenen Menschen, der für diesen Modernisierungskurs geholt und daher von den Fans dafür verantwortlich gemacht wird: Paul Keuter. Und die Gangart wird härter: Zuletzt hielten die Ultras ein Plakat in die Luft, auf dem folgende Zeilen standen: „Wer zu viele Smileys postet, dem vergeht irgendwann das Lachen. Keuter, dein Ende naht.“ Dass solche „subtilen“ Gewaltandrohungen nicht gehen, ist allen Beteiligten – mit Ausnahme der Fans – klar. Doch während die Fans die Gespräche abgebrochen haben, streckt Preetz weiterhin die Hand aus: „Das Angebot, alle Einzelheiten gemeinsam zu erläutern, steht. Wir wollen den Dialog suchen.“
Dass sich der Zorn der Fans an Kleinigkeiten entzündet, die mit dem großen Ganzen eher wenig zu tun haben dürften, erschwert die Situation. So sorgten etwa ein pinkes Auswärtstrikot und orange Trainingskleidung für Vorwürfe, da man sich von den traditionellen Vereinsfarben blau-weiß entfernen würde. Preetz: „Einige Dinge wurden bereits zwei Jahre zuvor festgelegt. Deshalb haben sie mit dem später eingeleiteten Veränderungsprozess nicht wirklich etwas zu tun.“
Doch der ehemalige Stürmerstar gibt sich durchaus auch selbstkritisch: „Ein solcher Veränderungsprozess ist immer eine schwere Geburt. Das war auch bei uns so. Wir haben uns anfänglich schwergetan, alle Stakeholder im Verein abzuholen. Bezüglich des Verständnisses und der Bedeutung unseres Prozesses haben wir aber intern schnell Fortschritte gemacht.“ Doch mit ihren Schwierigkeiten ist die Hertha kein Einzelfall im Fußball. Während der Sport zunehmend kommerzialisiert wird – Deutschland ist in dieser Hinsicht noch deutlich weniger stark betroffen als etwa die englische Liga – leisten Anhänger in Europa Widerstand gegen die Veränderung „ihres“ Sports.
Fairerweise muss man dazu sagen, dass die bisher großflächig eingesetzten digitalen Ansätze den Fans nicht wirklich viel Grund zur Freude bieten konnten. Die Torlinientechnologie hatte bei ihren ersten Einsätzen etwa in Deutschland und Frankreich große Schwierigkeiten, der in Russland erstmals bei einer WM getestete Videoassistent führt zu deutlich längeren Unterbrechungen im Spiel.
Doch die Fans stört mehr als nur Digitalisierung und Moderne. Viel eher wollen sie nicht, dass „ihr“ Klub von einem Außenstehenden über finanzielle Mittel kontrolliert und womöglich in eine aus ihrer Sicht falsche Richtung gesteuert wird. So gründeten Fans von Manchester United nach der Übernahme ihres Klubs 2005 durch den Milliardär Malcolm Glazer aus Protest den FC United of Manchester, der heute in der sechsthöchsten Spielklasse in England spielt. Gleiches passierte in Salzburg nach dem Einstieg von Red Bull mit der Gründung von Austria Salzburg. Es ist durchaus nachvollziehbar: Wer jahrzehntelang viel Zeit und Energie in eine Sache steckt, wird panisch, wenn die Veränderungen sich der eigenen Kontrolle entziehen. Doch sollten Fans in Entscheidungen eingebunden werden? Keuter: „Grundsätzlich haben Fans bei wirtschaftlichen und sportlichen Entscheidungen kein Mitspracherecht, da tragen wir ja letztlich auch die Verantwortung. Was bei einem Produkt wie dem Fußball aber der Fall sein sollte, ist, dass wir genau hinhören und die Themen der Fans ernst nehmen.“
Mit der neuen Strategie will die Hertha vor allem auch neue Schichten ansprechen. Die jungen zugezogenen Berliner, ein internationales Publikum. Keuter will dabei das Image des Klubs auch mit dem ganz und gar nicht verstaubten Ruf Berlins als Stadt verschränken: „Ein Imagewandel ist ein Marathon und kein Sprint. Und: Man muss man ihn sehr konsequent durchführen. Berlin ist eine Stadt, die jährlich um 50.000 Menschen wächst. Hertha BSC muss viel stärker Berlin werden und dazu müssen wir uns weiterentwickeln. Sonst können wir Berlin nicht so repräsentieren, wie wir das gerne wollen.“
Wichtig wären neue Zuschauer auf jeden Fall, denn zuletzt waren die Heimspiele so gut wie nie ausverkauft. Das Olympiastadion in Berlin – das einzige nicht reine Fußballstadion der Bundesliga – bietet ein Fassungsvermögen von 74.475 Sitzplätzen. In der Saison 2017/18 lag der Schnitt laut dem Fußballportal „Transfermarkt“ jedoch nur bei 45.319 Zuschauern, in der Saison davor bei 50.267. Das entspricht einer Auslastung von rund 61 bzw. 67 Prozent. Erneut ein Problem, das generell im deutschen Fußball vorhanden ist – bei der Hertha aber erneut stärker ausgeprägt.
Die Lösung? Ein neues Stadion. Die neue Heimat der Hertha soll, wenn alles gut geht, 2025 eröffnet werden. Aktuell stecke man im politischen Prozess, sagt Preetz – und habe aus den Lehren anderer Projekte gelernt. Denn man will das Stadion nicht nur vollständig privat finanzieren, sondern auch mit einer Fertigstellungsgarantie versehen. Das ist zwar derzeit noch Zukunftsmusik, doch wird wichtig sein, um den Anschluss nicht zu verlieren. Denn egal ob Image, digitaler Auftritt oder Umsatz – Hertha BSC muss sich ranhalten, um zu den „Großen“ aufzuschließen. So erzielte Hertha im Geschäftsjahr 2016/17 112,3 Millionen € (die Ausgaben beliefen sich gleichzeitig auf 119,9 Millionen €). Bei Borussia Dortmund liegt der Umsatz hingegen bei rund 333 Millionen €, Bayern München generierte 2016/17 Erlöse von 626,8 Millionen €.
Der Abstand ist also kein kleiner. Und das, obwohl die deutsche Liga (mit Ausnahme von Bayern München) nochmal deutlich hinter den internationalen Konkurrenten liegt. Denn der Spitzenreiter im internationalen Fußball, Manchester United, erwirtschaftete zuletzt laut Deloitte-Schätzung rund 676 Millionen €, Real Madrid und der FC Barcelona kamen auf 674 bzw. 648 Millionen €.
Und auch bei der digitalen Reichweite muss die Hertha ordentlich aufholen. So kommt Real Madrid auf 106 Millionen Facebook-Fans und 28,7 Millionen Twitter-Followern. Hertha BSC? Hat auf Facebook 360.000 Fans und auf Twitter 344.000 Follower. Also: Ist diese Lücke überhaupt zu schließen? Paul Keuter meint ja: „Wir sprechen in England über einen Markt, der auch über Twitter funktioniert. Hinzu kommen die Finanzmittel in der Premier League, zudem wurde auch die Internationalisierung wesentlich früher angegangen. Die Liga hat auch dadurch letztlich mehr Geld, damit mehr Stars und somit mehr Aufmerksamkeit. Natürlich ist es aber möglich, diesen Abstand zu verkleinern. Das geht aber nicht ohne radikale Veränderung in vielen Bereichen.“
Paul Keuter
Nach Anfängen in der Sportbranche – als Marketingleiter einer TV-Produktionsfirma und als Berater des ehemaligen Hertha-Kapitäns Arne Friedrich – wechselte Keuter zu Twitter, wo er als Head of Sports DACH die Sportstrategie mitverantwortete. Seit 2016 ist er als Teil der Geschäftsleitung für die Digitalisierungsstrategie und die Marke des Klubs verantwortlich.
Um diese Aktivitäten finanzieren zu können, sucht Hertha aktuell einen zusätzlichen Investor – neben dem US-Finanzkonzern KKR, der 2014 61,2 Millionen € zur Verfügung stellte. Gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Capital betonte Hertha-Präsident Werner Gegenbauer, man wolle als Investor „keine Einzelperson, die emotional reagiert“. Ein Seitenhieb etwa auf den HSV, wo Kühne + Nagel-Gründer Klaus-Michael Kühne nicht nur das Geld fließen lässt, sondern auch seine Meinung. Die Chancen, die Preetz und Keuter sehen, finden sich wiederum im Veränderungsprozess: „Ein Bereich, in dem wir uns jedenfalls einen Vorteil erarbeiten können, ist der Kulturwandel. Da können wir schneller sein als andere. Diesen Wandel zu begreifen, zu gestalten und zu leben ist das Allerwichtigste.“ Vielleicht ist es ja tatsächlich entscheidend, wie schnell das älteste Start-up Berlins seine Ansichten und Arbeitsweisen verändern und umwälzen kann. Was es dafür aber brauchen wird, ist nicht nur viel harte Arbeit und strategischen Weitblick, sondern auch ein hohes Maß an Kommunikation – nach innen und nach außen – um letztendlich auch die vergrämten Fans an Bord zu holen. Damit das neue Stadion voll ist von alten und neuen Anhängern der (ehemaligen?) grauen Maus der Liga. Nur gut, dass Michael Preetz mit dieser Art der modernen Kommunikation schon etwas Erfahrung hat.
Dieser Artikel ist in unserer Juli-Ausgabe 2018 „Wettbewerb“ erschienen.