Der Mann für die Zeitenwende

Florian Seibel, Chef von Quantum Systems, liefert Drohnen an die Ukraine. Nun investiert Silicon-Valley-Legende Peter Thiel in das Münchner Start-up. Die Firma will ein Unicorn der Luft- und Raumfahrtindustrie werden – und bei der Disruption der Bundeswehr helfen.

Wenige Tage vor Weihnachten sitzt Florian Seibel in einem Luxusanwesen in Beverly Hills und macht den Pitch seines Lebens. Der Gründer aus dem bayerischen Gilching ist nach Kalifor­nien gereist, um seinen wichtigsten Investor zu treffen. Die Stimmung ist ausgelassen, denn es gibt Erfreuliches zu berichten.

Seibel zeigt Charts von steigenden Um­sätzen. Sein Drohnen-Start-up Quantum Systems profitiert vom weltweiten Aufrüsten nach Russ­lands Angriff auf die Ukraine – und der Ingenieur blickt noch weiter in die Zukunft, beschreibt seine Vision von autonomen Flugrobotern, die Kriegsgebiete, Grenzen und Metropolen observieren und überwachen, natürlich vollautomatisch, verschlüsselt und in HD. Seibels Gast­geber hört gespannt zu, macht Notizen – und scheint hochzufrieden. Dann lässt er den Gästen den Lunch servieren, es gibt Salat mit Streifen vom Rinderfilet und Wasser; zuvor hat der Investor bereits 17,5 Mio. US-$ an Risiko­kapital spendiert. Und er gibt den Gründern noch einen Rat mit auf die Heimreise: Double down! Geht euren Weg, geht ins Risiko – und macht, was ihr am besten könnt.

Es sind ermutigende Worte, die für Seibel und seine Mitstreiter wie ein Ritterschlag klingen. Denn der Rat- und Geldgeber an diesem Tag ist eine Silicon-Valley-Legende. Sein Name: Peter Thiel. Der deutschstämmige Milliardär und Paypal-Gründer ist gleichermaßen berühmt wie umstritten: Nicht nur seine ultralibertären Ansichten, auch seine Geschäftsfreunde bringen ihm negative Schlagzeilen – Thiel heuerte Sebas­tian Kurz als Global Strategist für seine Investmentfirma Thiel Capital an, nachdem Österreichs Ex-Kanzler wegen Korruptions­vorwürfen aus dem Amt geschieden war. Außerdem ist er ein treuer Unterstützer und Berater des 45. US-Präsidenten, Donald Trump.

Doch offenbar haben nur wenige ein besseres Gespür für Ideen, die Dollars und Disruption bringen, und für die Menschen, die jene Ideen umsetzen können. Beides traut Thiel offenbar auch dem deutschen Ingenieur Florian Seibel und dessen Drohnen-Start-up zu. Knapp sechs Wochen nach dem Besuch an der West Coast ist Seibel zurück im Hauptquartier von Quantum Systems, einem Bürokomplex an der A96 westlich von München. Hier werden Drohnen gefertigt, die derzeit immer mehr westliche Militärs begeistern.

Zum Gespräch mit Forbes erscheint Seibel mit einer Stunde Verspätung. Der 43-Jährige wirkt dennoch entspannt und eloquent. Er ist ein guter Erzähler – enthusiastisch, aber nicht großspurig. Dass er auch abgebrühte Investoren für sich gewinnen kann, wirkt nicht über­raschend. 2015 gründete Seibel mit drei Mit­streitern sein Start-up und schaffte damit eine Besonderheit: ein innovatives deutsches Technologieunternehmen, das aus der Bundeswehr-­Universität in München hervorging und nun einen Markt aufmischt, der bislang vor allem von Großkonzernen beherrscht wird.

„Wir sind stolz, dass wir Hochtechnologie in Deutschland entwickeln“, erklärt Seibel. Er sieht sich als Tüftler und Innovator, der ein hochwertiges Produkt herstellt, das es zum Weltmarktführer schaffen soll. Zudem sei es ein Erzeugnis, das auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen habe. Er sagt: Im Gegensatz zu gehypten und mit Milliarden an Kapital gepamperten Fast-Food-Lieferdiensten leisten seine Produkte auch einen Beitrag zur Sicherung von Hoch- und Schlüsseltechnologie in Deutschland.

Quantum Systems beschäftigt inzwischen 150 Mitarbeiter, hat Standorte in den USA und in Australien. Für das Jahr 2023 erwartet man einen mittleren zweistelligen Millionenumsatz. Ins­gesamt hat die Firma 50 Mio. € an Kapital eingesammelt, zu den Investoren gehören auch europäische und bayerische Banken.

Quantum Systems hat seinen Erfolg einer neuen Ära des Wettrüstens zu verdanken; die Welt bewaffnet sich wieder, vor allem Deutschland und Europa. Dafür sorgt die „Zeitenwende“, die Bundes­kanzler Olaf Scholz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ausrief – und die der Bundeswehr nun ein Sondervermögen von 100 Mrd. € beschert. Schon vor der russischen Invasion stiegen die Militärausgaben weltweit so stark wie zuletzt nur während des Kalten Kriegs. Die europäischen Nato-Staaten inves­tierten 2021 rund 3 % mehr als 2020, insgesamt 342 Mrd. US-$. Mehr als doppelt so viel pumpten die USA allein in die Verteidigung. Neben Russland sehen die Amerikaner vor allem in China eine Bedrohung. Das Säbelrasseln im Indopazifik nimmt zu, ein Angriff Chinas auf Taiwan wird wahrscheinlicher. Auch dieses Szenario befeuert Investitionen in neue Tech­nologien, die dem Militär nutzen. Und davon profitieren letztlich auch die Drohnen aus dem Landkreis Starnberger See.

Der Ukraine lieferte Quantum Systems insgesamt 40 Drohnen, die Flugkörper spähen feindliche Stellungen aus und liefern der Artil­lerie Zieldaten, sind aber unbewaffnet. Seibel betont, dass er niemals Waffen herstellen werde, das widerspreche der Haltung der Firma; zumal einige seiner wichtigsten Geldgeber nicht in Waffenhersteller investieren dürften. Seine vier Drohnenmodelle können zivil und militärisch eingesetzt werden. In der Ukraine kommt Vector zum Einsatz, deren Tragflächen eine Spannweite von fast drei Metern haben. Die Drohne wiegt rund acht Kilo, startet aber senkrecht wie ein Helikopter und braucht keine Startbahn. Das macht sie flexibel und energieeffizient. Ihre HD-Kamera liefert hochauflösende Videobilder und sendet Daten verschlüsselt.

Vor allem ist ihre Handhabung einfach und intuitiv. Eine Ausbildung zum Drohnen­piloten dauert bei der Bundeswehr bis zu sechs Wochen. Die ukrainischen Soldaten mussten nicht länger als zwei Tage an den Geräten von Quantum Systems geschult werden.

Dass der Hersteller aus Bayern zu einem der wichtigsten Unterstützer Kiews für Auf­klärungsmaterial wurde, ist auch ukrainischen Oligarchen zu verdanken. Die Geschäftsmänner reisten kurz nach der Invasion nach München, bestellten mehrere Drohnen mit einem Stückpreis von 180.000 € und spendeten sie den ukrainischen Truppen. Die Soldaten an der Front waren nach ersten Tests begeistert – und wollten mehr. Kämpfer aus der Millionenstadt Dnipro posteten sogar stolz Bilder der Drohne auf Twitter. Auch bewilligte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle den Export der Drohnen in das Kriegsgebiet überraschend schnell und unbürokratisch – in nur zwei Wochen waren die fliegenden Augen an der Front. Für Seibel eine ungewöhnliche Erfahrung: Selbst für den Verkauf seiner zivilen Drohnen nach Indien musste er ein halbes Jahr auf die Freigabe warten. Dabei sind die Geräte nicht nur im Kampfgeschehen oder für die Beweissammlung bei Kriegsverbrechen wertvoll, auch in friedlichen Regionen sind sie im Einsatz, liefern Bilder zum Wildwuchs in Plantagen in Indone­sien, dokumentieren den Schneefall in Skigebieten in Norwegen oder helfen der Deutschen Bahn bei der Wartung der Gleisstrecken. Seibel glaubt, dass seine fliegenden Augen auch ideale Werkzeuge für Polizei- und Grenzschutz oder Feuerwehren sind, die im Zuge des Klimawandels vermehrt mit Waldbränden zu kämpfen haben und diese frühzeitig erkennen müssen.

Der Markt für Überwachungsdrohnen ist umkämpft, die großen Player in Europa sind Delair und Parrot SA aus Frankreich, doch beide Firmen haben mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Seibel sieht weitere europäische Mitbewerber in Threod und Flyeye aus Polen und Wingtra aus der Schweiz. In den USA konkurriert man mit Anduril, der Rüstungsfirma des schillernden VR-Pioniers und Trump-Unterstützers Palmer Luckey. Doch die Produkte von Quantum Systems gelten laut Branchenexperten als die Teslas unter den Drohnen; als Zukunfts­versprechen, in denen die Komponenten scheinbar reibungslos verschmelzen: Anwendung und Technologie, Hard- und Software.

Gerade wir in Europa sollten Technologien, die auch der Verteidigung dienen, nicht verteufeln.

Florian Seibel

Schon früh entdeckte Seibel eine Leidenschaft für die Luftfahrt. Der aus Freiburg im Breisgau stammende Hobby-Segelflieger wechselte nach dem Abitur zur Bundeswehr. Er wollte Kampfjets fliegen und wurde schließlich zum Helikopterpiloten am Leichthubschrauber BO 105 ausgebildet. Als Hauptmann der Heeresfliegertruppe war er an der Bundeswehr-Universität München für einige Jahre in der Drohnenforschung eingesetzt. Heute sieht er sich als Generalist mit technischer Expertise. Fluggeräte faszinieren ihn genauso wie Unternehmertum.

Ist Seibel ein Kriegsprofiteur? „Ja“, ant­wortet er lapidar. Hat er Blut an den Händen? „Nein!“ Diese Annahme weist er weit von sich. Dass in Europa seit einem Jahr wieder ein Krieg tobt, hat ihn verstört und sprachlos gemacht. Dass er nun der Ukraine effektiv helfen kann, ist ihm moralisch wichtig. Und so sehen das auch neue Mitarbeiter – viele betrachten ihren Job bei Quantum Systems als Beruf mit Purpose, der auch einem höheren Zweck dient. Das hilft beim Recruiting in einer Branche, in der Fachkräfte besonders umworben sind. „Gerade wir in Europa sollten Technologien, die auch der Verteidigung nutzen, nicht verteufeln“, sagt der ehemalige Offizier Seibel. Kriege waren historisch immer auch Chancen für Pioniere; Tod und Zerstörung gingen mit Innovation und Erfindergeist einher, gerade in der Luftfahrt: Durch die Raketen- und Jetantriebe, die im Zweiten Weltkrieg entstanden, entwickelte sich rasch eine moderne zivile Flugzeugindustrie, die stolzen Pionierleistungen in der Raumfahrt wurden durch die Rivalität zwischen Ost und West im Kalten Krieg befeuert. Selbst der Vorläufer des Internets, entwickelt Ende der 60er-Jahre, war lange allein den US-Streitkräften vorbehalten und wurde erst 20 Jahre später privatisiert.

Seibel erkennt in der Gegenwart eine neue Ära des Wettrüstens und wieder eine goldene Zeit für Innovationen und disruptive Technologien. In Quantum Systems sieht er daher auch viel mehr als einen Drohnenhersteller, eher ein Deep­tech-Unternehmen, das Software und Hardware verschmilzt, wie es etwa Apple ge­lungen ist. Dabei waren die Anfänge schwer; vor allem gab es nur wenige Geldgeber. Seibel sagt: „Mich hat geärgert, dass wir als deutsche Tech­nologiefirma lange nur schwer Geld auftreiben konnten.“ Ausgerechnet eine chinesische Firma bot sich als Partner an und versorgte die Bayern anfangs mit Aufträgen im Wert von zwei Mio. €. Doch Seibel vertraute seinen Partnern in Fernost nie: „Ich wurde das Gefühl nie ganz los, dass wir am Ende vielleicht doch über den Tisch gezogen werden“, sagt er. Kopieren gelte dort nicht als Verbrechen, sondern als ehrenvolles Nacheifern. Dieser Umstand und das fremde Wertesystem hätten sich „nicht stimmig“ angefühlt. Nach zwei Jahren beendete Seibel die Kooperation.

Inzwischen hat Quantum Systems nur europäische Zulieferer – und das soll so bleiben. Seibel steht im Kampf der Systeme fest auf der Seite der westlichen Wertegemeinschaft, und er findet trotz aller Kritik an Donald Trump auch positive Worte für den Freund seines neuen Großinvestors. Der Ex-Präsident verlangte lange vor Russlands Angriff mehr Militärausgaben von seinen Verbündeten in Europa. Er sanktionierte Firmen, die mit Gazprom an der Pipeline Nord Stream 2 arbeiteten. Er koppelte beim Handel und bei Investitionen sein Land von China ab, statt den Rivalen weiter zu stärken. Diese Politik setzt sein Nachfolger Joe Biden energisch fort. Das müsse man Trump anrechnen, sagt Seibel. Gleichwohl findet er den Ex-Präsidenten als Staatsmann mehr als „problematisch“.

Der Hype um fliegende Taxis und Transportdrohnen hat sich zuletzt abgekühlt. Seibel glaubt nicht, dass sich Drohnenlieferungen in einem Geschäftsfeld mit extrem geringen Margen mittel­fristig lohnen werden – dass sich demnächst automatisierte Lieferdrohnen den Luftraum mit regulären Flugzeugen teilen, hält Seibel für eine Fantasie. Es müssten wohl noch viele Milliarden in der Drohnenwirtschaft „verbrannt“ werden, bis der Stadtverkehr tatsächlich irgendwann in den Himmel verlegt wird – und dort Massen an Menschen und Gütern transportiert. Seibel glaubt eher, dass Drohnen bei Sicherheit und Verteidigung so unersetzbar werden wie heute Helikopter. Die Politik sträubte sich lange dagegen, für die Bundeswehr bewaffnete Drohnen anzuschaffen – das ändert sich nun. Immerhin hat die Truppe ein Gerät von Quantum Systems zu Testzwecken bestellt. Dass nun auch die Bundeswehr, jene lange vernachlässigte und für ihre Trägheit so oft gescholtene Institution, eine Disruption erfährt, auch das hofft Seibel. Und dass mehr Gründergeist in den Bendlerblock einzieht. Der ehemalige Offizier kennt die Probleme genau: Wie die großen deutschen Konzerne anderer Branchen wirkt die Bundeswehr wie ein langsamer und risikoscheuer Apparat. Innovation werde schnell abgewürgt oder erst gar nicht zugelassen. Experten wie Seibel zweifeln daher, dass das revolutionäre 100-Mrd.-€-Budget überhaupt rasch und effektiv investiert werden kann – zumal in den aktuellen Strukturen.

Beispiel Beschaffung und Fehlerkultur: Die Bundeswehr will Rüstungsprojekte keinesfalls scheitern lassen, diese werden dadurch sehr teuer und dauern länger. Es würden lange Anforderungslisten ausgearbeitet, an denen dann mitunter Jahrzehnte entwickelt werde – mit dem Nachteil, dass die Produkte dann bei der Aus­lieferung veraltet sind. Schnell scheitern, Fehler analysieren, neu dazulernen und verbessern – das wäre das richtige Konzept, fordert Seibel. Es wäre auch eine echte Zeitenwende.

Seibel fordert daher, dass ein Teil des 100-Mrd.-€-Budgets in Start-ups fließt statt direkt in die Kassen der großen Rüstungs­konzerne – und dass auch Mittelständler und Start-ups einfacher und direkt Geschäfte mit der Bundeswehr machen können. Die Streitkräfte der Niederlande haben zuletzt 100 Aufklärungs­drohnen bestellt, auch weitere Nato-Armeen werden bei ihm einkaufen.

Quantum Systems fühlt sich gut gerüstet für die Zukunft und könnte ein deutsches Unicorn in der Luft- und Raumfahrt werden. Dank der Finanzspritze aus dem Silicon Valley lässt sich die Produktion rasch steigern. Schon im vergangenen Sommer stellte Seibel von Einzel­manufaktur auf Fließband um. Jene Drohnen­hersteller, die weder Ausdauer noch Mittel für die berüchtigte „Production Hell“ (Elon Musk) haben, also die rasante Steigerung des Outputs, werden verschwinden, glaubt Seibel. Auch das hat Silicon-Valley-Guru Peter Thiel beim Lunch in Beverly Hills den Gründern gesagt: „Free money“ gibt’s nicht mehr. Stattdessen werde nun in Firmen investiert, die schon in wenigen Jahren Geld verdienen – oder idealerweise eben schon heute, wie Quantum Systems. „Ihr könnt stolz sein, dass ihr ein Produkt habt, das profitabel ist“, sagte der Investor.

Wenige Tage nach dem ersten Gespräch meldet sich Seibel erneut. Er ist auf dem Weg in die ukrainische Botschaft in Berlin. Während man in jenen Tagen im Kanzleramt noch dis­kutiert, ob Kiew deutsche Leopard-Panzer bekommt, unterzeichnet Seibel den nächsten Liefervertrag für 100 weitere Drohnen, damit sich die Ukraine gegen eine russische Frühjahrsoffensive wappnen kann. Das sind gute Nachrichten für die Generäle in Kiew – und für den Investor in Beverly Hills.

Florian Seibel wurde in Freiburg im Breisgau geboren und lebt heute bei München. Er ist ehemaliger Offizier der deutschen Luftwaffe und Co-Gründer von Quantum Systems. Das Start-up stellt in Gilching am Starnberger See Überwachungsdrohnen her.

Fotos: Thomas Dashuber

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