Der Hip-Hop-Pionier

Als ehemaliger Chefredakteur von Deutschlands größtem Musikmagazin hiphop.de und jetziger „Head of Hip-Hop“ für Apple im DACH-Raum gilt Aria Nejati als einer der ­Hip-Hop-Experten im deutsch­sprachigen Raum und darüber hinaus. Im Gespräch mit Forbes sprach der Under 30-Listmaker über die großen und kleinen Künstler der Szene, blickte auf die MTV-Zeiten zurück und erklärt, warum Apple überhaupt einen „Head of Hip-Hop“ braucht.

Seit 2013, als Aria Nejati sein Prak­tikum beim deutschen Hip-Hop-Magazin hiphop.de startete, ist der Moderator, Journalist und nunmehrige „Head of Hip-Hop“ bei Apple nicht mehr aus der deutsch­sprachigen Szene wegzudenken. Mit Sido sprach er über seinen Drogen­entzug, mit Eminem über die Kritik an seinen Alben, mit Nina Chuba über ihre ehemalige Schauspiel­karriere und mit Cro über den Erfolgsdruck – der Stoff für seine Geschichten sei ihm nie ausgegangen; das zeige auch die ungebrochene Faszination, die von der Hip-Hop-Szene ausgeht. „Hip-Hop hat eine ganz eigene Ästhetik und Power. Es geht viel um soziale Aufstiegsgeschichten – ‚against all odds‘. Das hat mich schon als Kind fasziniert“, so Nejati und fügt hinzu: „Vieles passiert zwischen den Zeilen, ist ungreifbar und unerklärlich. Style spielt eine große Rolle im Hip-Hop – in allem, was man macht, ob Musik, Mode oder Medien.“

Nejati wuchs als Kind ­iranischer Einwanderer im Ruhr­gebiet auf und kam das erste Mal über den Musiksender MTV in Kontakt mit Hip-Hop. Während andere ­Kinder Videospiele spielten oder die ­neuesten Popsongs aus dem ­Radio hörten, entdeckte der junge ­Neja­ti seine damaligen Hip-Hop-Vor­bilder auf MTV. „Heute wird man mit Musik oft nur berieselt. Es ist mittlerweile schwierig, die krassen Sub­kulturen und den Ultra-Fan-Charakter zu finden, die es in den 90er-Jahren mit unterschiedlichen Genres gab“, so Nejati. Dass er später seine Hip-Hop-Leidenschaft zum Beruf machen und viele seiner Kindheitsvorbilder selbst vor das Mikrofon holen würde, hätte er sich damals wohl nicht einmal zu träumen gewagt. „Ich war ein ­großer Fan von Jay-Z, 50 Cent und Kanye West, nicht nur, weil mir ihre Musik gefallen hat, sondern weil sie den sozialen Aufstieg mit Kunst und Style verkörpert haben“, so der ­Under 30-Listmaker.

2020 verließ Nejati hiphop.de und wechselte zu Apple, wo er 2021 die Position des „Head of Hip-Hop“ für die DACH-Region übernahm. (Foto: Memo Filiz)

Nejati studierte Popmusik und Medien in Paderborn, während er sein Praktikum bei hiphop.de absolvierte. Seine Bachelorarbeit schrieb er über rassistische Polizeigewalt im amerikanischen Hip-Hop. „Das Studium war aber für meine Karriere nicht maßgeblich prägend, obwohl es super war, um meinen musikalischen Horizont zu erweitern. Ich denke aber, die beste Art, über Hip-Hop zu lernen, ist immer noch das aktive Musikhören“, erklärt er. Vier Jahre nach Beginn seines Praktikums stieg Nejati zum Chefredakteur bei hiphop.de auf. „Ich war jung, aber ich war auch Teil einer frischen Generation von Hip-Hop-Medienmachern. Die bisherige ‚Elite‘ hat damals nicht so viel von dem neuen Sound verstanden oder verstehen wollen. Es hat neuen Wind in der Szene gebraucht“, so Nejati. Tatsächlich hat sich die Hip-Hop-Musik in den letzten ­Jahren laut Nejati stark verändert. „Durch neue Einflüsse und die Symbiose mit anderen Genres lässt sich der heutige Hip-Hop nicht mehr wirklich mit dem Sound des ursprünglichen Hip-Hop aus den 80er-Jahren vergleichen“, sagt er.

Hip-Hop entstand in den 1970er-Jahren in der New Yorker Bronx als kulturelle Bewegung, bestehend aus Rap, DJing, Breakdance und Beatboxing. In den 1980er-Jahren brachte die in Deutschland stationierte US-Armee die Hip-Hop-Kultur mit, die durch Filme und Musikvideos weitere Verbreitung fand. Deutsche Künstler wie die Fantastischen Vier und Advanced Chemistry adaptierten und entwickelten ihren Stil, was zur Entstehung einer lebendigen Hip-Hop-Szene in Deutschland führte. Allerdings: „Deutsche Hip-Hop-Medien wurden seit Anbeginn der Zeit von weißen Männern geführt. Das ist zwar nicht ihre Schuld – dafür gibt es strukturelle Gründe –, aber es hat dazu geführt, dass bestimmte Zielgruppen vernachlässigt wurden“, so Nejati.

2020 verließ Nejati hiphop.de und wechselte zu Apple, wo er 2021 die Position des „Head of Hip-Hop“ für die DACH-Region übernahm – eine Rolle, die es so im Tech-Unternehmen für keine andere Musikrichtung gibt. „Mittlerweile ist die deutsche Hip-Hop-Szene so stark gewachsen, dass man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Meine Rolle bei Apple ist es, unseren Hörern Orientierung zu ­geben und den Weg zu weisen, in welche Richtung wir mit dem Genre gehen möchten“, so Nejati. Dabei leitet er die wöchentliche Radioshow ­„Hyped Radio“, in der er eine Stunde lang Musik spielt und bekannte ­Gesichter aus der Szene zu Video­interviews vor das Mikrofon holt.

Dass sich Apple auf die Hip-Hop-Szene konzentriert und nicht auf ein anderes Genre, ist keine Überraschung: 2014 zahlte der Konzern drei Mrd. US-$, um das Kopfhörerunternehmen Beats by Dre und den dazugehörigen Streamingdienst zu kaufen. Aus diesem Kauf entstand Apple Music, ein eigener Inhouse-Streamingdienst und das Gegenstück zu Spotify. Um sich von der damals hörerstärkeren Konkurrenz abzuheben, setzt Apple auf Qualität statt Quantität. Hip-Hop spielt nicht nur wegen des Kaufs von Beats by Dre (das Unternehmen wurde vom US-Rapper Dr. Dre mitgegründet) eine zentrale Rolle, sondern auch wegen der Einflüsse des Genres auf andere Musikrichtungen. „Wir haben dieses Jahr bei Apple Music eine Liste der 100 besten Alben aller Zeiten aufgestellt. 22 der Alben kommen aus dem Hip-Hop, er ist damit das stärkste Genre der Liste“, erklärt Nejati und fügt hinzu: „Hip-Hop schafft es, sich immer an die aktuellen gesellschaftlichen Geschehnisse anzupassen, dadurch verliert er nie an Relevanz.“

Tatsächlich war Hip-Hop 2021 das meistgehörte Genre in den USA. Mit einem prognostizierten Marktwert von 50 Mrd. US-$ im Jahr 2025 und einem Marktanteil von 21,7 % sind sowohl das Interesse als auch die Geldsummen, die in diese Musikrichtung fließen, zuletzt stark gestiegen. Hip-Hop wurde zu einem milliardenschweren kulturellen Phänomen, das Wirtschaft, Trends und Mode weltweit prägt. Der bestverdienende Musiker weltweit (mit einem Nettovermögen von 2,5 Mrd. US-$) ist Jay-Z; Rapper, Produzent und Unternehmer. Aber auch Hip-Hop werde sich in den nächsten Jahren an den technologischen Wandel anpassen müssen, insbesondere in Hinblick auf künst­liche Intelligenz, erklärt Nejati: „Hip-Hop lebt von der Authentizität und den persönlichen Erfahrungen der Künstler. Das wird KI nur schwer ersetzen können. Soundtechnisch hingegen kann ich mir gut vorstellen, dass in Zukunft mehr mit KI experimentiert wird, da das Genre sehr offen für neue Klänge ist.“

Dank des sich ständig wandelnden und stets aktuellen Hip-Hop-Genres hat Nejati es geschafft, seine Lieblingsbeschäftigung als Kind – das Entdecken neuer Musiker auf MTV – zum Beruf zu machen. Anstatt dafür im Pyjama vor dem Fernseher zu sitzen, macht er das heute im Apple Studio in Berlin. „Als Kind hätte ich nie geglaubt, dass ich eines Tages Idolen wie Rick Rubin oder Snoop Dogg persönlich begegnen und mit ihnen Interviews führen würde. Es ist unglaublich, dass ich meine Liebe zum Hip-Hop so in meinen Beruf einfließen lassen kann“, sagt Nejati.

Fotos: Nejati

Lela Thun,
Redakteurin

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.