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Armin Steuernagel will das Konzept des Eigentums neu definieren. Sein Plan: eine neue Rechtsform schaffen, die mehr auf Verantwortung und weniger auf Profite setzt.
Armin Steuernagel war erst 16 Jahre alt, als er erstmals um sein Eigentum kämpfen musste. Damals stand der Deutsche vor dem Vormundschaftsgericht, um sich als noch Minderjähriger die Eigentumsrechte an seinem neu gegründeten Unternehmen zu erkämpfen. Heute, 14 Jahre und einige weitere Unternehmensgründungen später, bleibt das Konzept von Eigentum für den „Under 30“-Listmaker weiterhin ein zentrales Anliegen. Denn Steuernagel glaubt, dass der Finanzkapitalismus zu weit gegangen ist – Unternehmen werden zu oft als reine Spekulationsobjekte gesehen und Entscheidungen von distanzierten Managern getroffen, die eher Gewinne als das Beste für Mitarbeiter und Umwelt im Sinn haben. Steuernagel: „Ich wollte das bei meinen Unternehmen anders machen. Da habe ich mich umgeschaut und gesehen, dass es auch andere Modelle gibt.“
Steuernagel orientiert sich am Beispiel von Familienunternehmen, die seiner Ansicht nach ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein in sich tragen als Großkonzerne. Mit der von ihm gegründeten Purpose-Gruppe will er dieses auf Langfristigkeit ausgelegte Konzept jedoch erweitern – statt Blutsverwandtschaft soll dabei vielmehr eine Wertegemeinschaft im Zentrum stehen. Steuernagel: „Für mich ist das ein faszinierendes Konzept. Es orientiert sich an Familienunternehmen – aber unabhängig von einer genetischen Verwandtschaft. Wenn ausgeschlossen wird, dass man sich persönlich bereichern kann, entsteht ein ganz anderes Verständnis für den Unternehmenszweck.“
So revolutionär das klingen mag, Steuernagel war bei Weitem nicht der Erste, der diese Gedanken hatte. Das vielleicht prominenteste Beispiel eines Konzerns, in dem Eigentum schon früh eng mit Verantwortung verknüpft wurde, ist Bosch: Der deutsche Industriekonzern muss seine Gewinne für gemeinnützige Zwecke verwenden – bemerkenswert für ein Unternehmen, das 2020 71,5 Milliarden € Umsatz und 749 Millionen € an Gewinn erzielte. Boschs Aufsichtsratsvorsitzender hat zwar Stimmrechte, kann aber auf die Gewinne selbst nicht zugreifen.
Bereits 2015 gründete Armin Steuernagel zusammen mit Achim und Adrian Hensen sowie Alexander Kühl die Purpose-Stiftung. Ihre zentrale Frage lautet, wie man die DNA eines Unternehmens verändern kann. Steuernagel: „Wenn man an die DNA will, dann bedeutet das, ans Eigentum zu gehen.“ 2015 war das noch ein völliges Nischenthema, erzählt er: „Wir wurden schon als Kommunisten und Linksradikale bezeichnet. Das ist vollkommen absurd. Ich würde uns im Gegenteil als Eigentumsverfechter bezeichnen. Uns geht es vor allem um Selbstbestimmung. Das bedeutet beispielsweise, dass Unternehmen nicht von anonymen Aktionären aus der Ferne gesteuert werden – aber ganz sicher auch nicht von Staaten,“ so Steuernagel. Mit der Purpose-Stiftung stellten die Gründer ein Werkzeug für jene Unternehmen zur Verfügung, die ihre Organisation verantwortungsbewusst aufstellen wollen. Das Interesse war groß – gleichermaßen von Start-ups wie von größeren Unternehmen. Ein Beispiel ist die ökologische Suchmaschine Ecosia, die ihren Gewinn heute verwendet, um Bäume zu pflanzen.
Armin Steuernagel
... studierte Politikwissenschaft an der Oxford University und der Columbia University und ist Mitgründer der Purpose-Gruppe.
Im Zuge dieser Arbeit merkten die Gründer der Purpose-Stiftung, dass es zwei Probleme gibt: erstens die fehlende Rechtsform. Die laut Steuernagel aus der Kaiserzeit stammenden traditionellen Gesellschaften wie GmbHs oder Aktiengesellschaften haben keine Möglichkeiten, Eigentümern den Zugriff auf das Unternehmensvermögen zu verweigern. Während es mit bestehenden rechtlichen Werkzeugen zwar möglich wäre, eine solche Struktur ins Leben zu rufen – am ehesten eignete sich dafür noch die Stiftung –, zahlt sich das für kleine Unternehmen oft nicht aus. Es brauche eine Erneuerung der Gesellschaftsformen, um die Umsetzung zu erleichtern. Steuernagel: „Wir sind eine neue Generation, die auch neue Rechtsformen braucht.“ Diese neue Rechtsform nennt Steuernagel Verantwortungseigentum (VE). Sie würde bedeuten, dass Eigentümer zwar Stimmrechte hätten, jedoch nicht am Gewinn teilhaben können.
Das zweite Problem ist das Geld. „Wenn niemand in diese Unternehmen investieren würde, dann hilft auch die passende Rechtsform nicht. Es braucht daher auch ein Umdenken beim Investieren.“ 2017 gründete die Purpose-Gruppe daher zwei Beteiligungsgesellschaften, die insgesamt 50 Millionen € verwalten und in Unternehmen investieren, die verantwortungsbewusst aufgestellt sind.
Schon als Kind war Armin Steuernagel von einem starken Verantwortungsbewusstsein geprägt. Sein erstes Unternehmen – jenes, das er als Minderjähriger gründete – war Universnatur, ein Hersteller von Holzspielzeugen und Schulbedarf. Es existiert bis heute. „Schon damals wollte ich unbedingt Eigentümer des Unternehmens sein und habe mir das am Vormundschaftsgericht auch erkämpft. Mit 17 Jahren hatte ich dann schon 20 Mitarbeiter, viele waren meine Mitschüler, die mir nachmittags aushalfen“, erzählt Steuernagel. Bereits als Schulkind lernte er also unternehmerischen Erfolg kennen. Mit 22 startete Steuernagel dann sein nächstes Projekt: Zusammen mit einem Geschäftspartner gründete er Mogli, ein Unternehmen mit dem Ziel, gesunde Lebensmittel für Kinder herzustellen. Parallel zu seiner unternehmerischen Tätigkeit studierte Steuernagel Politikwissenschaft an den Universitäten Oxford und Columbia.
Seine Chancen, eine eigene Rechtsform zu etablieren, stünden nicht schlecht, sagt Steuernagel – die Wahrscheinlichkeit, dass eine entsprechende Reform nach der deutschen Bundestagswahl 2021 kommt, läge laut dem Unternehmer bei „mehr als 50 %“. Steuernagel: „Dann wäre unsere Mission in Deutschland erledigt. Wir sind aber auch weltweit aktiv – in Großbritannien, Finnland, Chile, Brasilien: Überall dort gibt es noch keine entsprechende Rechtsform.“ Es geht dabei in gewisser Weise auch um einen Überlebenskampf für kleine, mittelständische und Familienunternehmen. Steuernagel will verhindern, dass Europa den „amerikanischen Weg“ geht: Dort sei in den letzten Jahren die Anzahl der Großkonzerne gewachsen, während Kleinunternehmen es immer schwerer haben. Dieses rasante Wachstum der Großkonzerne auf Kosten der KMU wird laut Steuernagel „eine Gefahr für die ganze dezentrale Marktwirtschaft, wenn wir nicht gegensteuern. Und das heißt, wir müssen das Konzept der Familie erweitern – denn eine Familie kann auch eine Wertefamilie sein.“
Text: Sophie Spiegelberger
Fotos: beigestellt
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 4–21 zum Thema „Geld“.