DEN PARADIGMENWECHSEL BEFEUERN

Als Head der New Approaches to Eco­nomic Challenges Unit der OECD beschäftigt sich William Hynes mit der Zukunft des globalen Wirtschaftssystems. Doch die Erfahrung zeigt: An bestehenden Paradigmen wird eisern festgehalten. Wie kann ein Wandel erfolgreich gelingen?

Dreht sich die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne? Wie hartnäckig an bestehenden Paradigmen festgehalten wird, zeigten bereits die Anhänger des geozentrischen Weltbildes: Sie „stellten immer komplexere Modelle auf, um zu beweisen, dass sich die Sonne eindeutig um die Erde dreht“, sagt William Hynes, Head der New Approaches to Eco­nomic Challenges (NAEC) Unit der OECD. „Diese Position war über viele Jahrhunderte bestimmend. Man sieht daran: Es ist sehr schwierig, ein Paradigma zu verdrängen.“

Für Hynes geht es ebenso um die Frage eines Paradigmenwechsels  – jedoch in einem ganz anderen Bereich: der Zukunft des globalen Wirtschaftssystems – wie es funktioniert, mit anderen Systemen interagiert und letztendlich resilienter gegen Schocks ausgestaltet werden kann. Dafür arbeitet Hynes daran, traditionelle wirtschaftliche Ideen infrage zu stellen und neue wirtschaftliche Instrumente, Methoden und Politikansätze herauszuarbeiten. Das Thema hat aktuell hohe Brisanz, denn die Coronakrise hat die Weltwirtschaft in eine Rezession schlittern lassen. Der Internationale Währungsfonds ging jüngst davon aus, dass das globale BIP dieses Jahr um 4,9 % schrumpfen könnte.

Im Rahmen seiner Unit verfolgt Hynes drei Ansätze. „Unser erster Ansatz besteht darin, die Wirtschaft und die verschiedenen Systeme zu verstehen, damit wir den politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit dieses neue Narrativ vermitteln können. Im 20. Jahrhundert ging es in der Wirtschaftspolitik nur um Effizienz, den Marktmechanismus besser funktionieren zu lassen sowie um Wettbewerb und Flexibilität. Im 21. Jahrhundert wird es darum gehen, Widerstandsfähigkeit zu gewährleisten und sicherzustellen, dass das System so funktioniert, dass wir nicht anfällig für Schocks sind“, erklärt Hynes. Im zweiten Ansatz geht es speziell um Resilienz und Antizipation. „Zum Beispiel kann das Sozialsystem nicht widerstandsfähig sein, wenn es nicht integrativ und nachhaltig ausgestaltet ist.“ Mit Antizipation meint Hynes, dass man verstehen müsse, dass wir heutzutage in einem sehr komplexen System leben. Deshalb sei es auch wichtig, viele verschiedene Disziplinen an wirtschaftlichen Problemen arbeiten zu lassen. Diese spielen auch im dritten Ansatz eine Rolle: „Wir können nicht weiterhin mit traditionellen Werkzeugen und Tools arbeiten. Wir müssen uns agentenbasierte Modelle ansehen – Modelle, die auf einfachen Verhaltensregeln beruhen, bei denen die Interaktion verschiedener Agenten zu systemischen Eigenschaften führt.“

Hynes gibt jedoch zu, dass es unter politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit nach wie vor großen Widerstand gegen diese neuen Modelle und Narrative gibt. Doch er lässt sich davon nicht aufhalten: „Wir versuchen, den nächsten Schritt zu machen und auf der Grundlage unseres Verständnisses tatsächlich politische Maßnahmen zu ergreifen und politische Ratschläge zu erteilen. Es gibt viele Diskussionen und einen großen Austausch mit politischen Entscheidungs­trägern – und das halte ich für notwendig.“

Text: Niklas Hintermayer
Foto: beigestellt

Der Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2020 „Next“ erschienen.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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