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Die österreichische Einzelhandelsveteranin Nina Müller manövriert das älteste Premiumkaufhaus der Schweiz, Jelmoli, sowohl durch die Krise als auch durch einen grundsätzlichen Wandel. Ihre Mission ist es, das fast zwei Jahrhunderte alte Haus in eine moderne Ära zu führen und dabei das Luxuslabel aufrechtzuerhalten.
Jelmoli ist gewissermaßen ein Mikrokosmos der Karriere von Nina Müller – das sechsstöckige Luxuskaufhaus in der der Zürcher Bahnhofstrasse, beherbergt viele der High-End-Marken, die ihren Lebenslauf schmücken: Wolford, Christ, Swarovski. Da liegt es nahe, dass Müller nach 25 Jahren in der Branche nun an der Spitze eines Unternehmens wie Jelmoli steht.
Über Zürich hinaus ist der Name selten bekannt. Doch was Jelmoli an internationaler Resonanz fehlt, macht es durch seine lange Geschichte und seine starke Bindung an die Stadt wett. 1833 brachte Johann Peter Jelmoli-Ciolina mit seinem Kaufhaus einen Vorgeschmack auf die Pariser Modehäuser nach Zürich. Jelmoli entwickelte sich prächtig, das Haus in der Bahnhofstrasse wurde 1899 mit großem Trubel eröffnet und zog die Einheimischen mit seiner glatten Glasfassade, die sich auch heute noch von den gedämpfteren Nachbarhäusern abhebt, an.
Im „Glaspalast“, wie die Schweizer das Kaufhaus nennen, übernahm Müller am 1. April – inmitten des Corona-Lockdowns – die Geschäfte. „Ich bin immer noch überrascht, dass nicht allzu viele Leute gefragt haben, ob das ein Aprilscherz sei oder ich mich in der Tür geirrt hätte“, sagt sie. Ihr Humor lockert die ansonsten so schwierige Situation, um die es hier geht, auf: Der Ausbruch des Coronavirus zwang Jelmoli, seine Türen von März bis Mai zu schließen (mit Ausnahme des Lebensmittelmarkts). Die Schließung erwies sich als schwierig: Allein in der ersten Jahreshälfte sank der Einzelhandelsumsatz von Jelmoli um 23 % auf 43,7 Millionen CHF – ein Verlust, der in diesem Jahr voraussichtlich nicht mehr aufgeholt werden kann. In dieser Zeit wurden auch die meisten Verkaufsmitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Auf dem Höhepunkt der Situation im April hatten 65 % der rund 580 Mitarbeiter ihre Arbeitszeit reduziert. Zudem eröffnete Jelmoli im Juli einen Laden im Airside Center des Zürcher Flughafens und zwei neue Geschäfte im November im „The Circle“, ebenso am Flughafen. Das Timing war denkbar ungünstig: Nur 536.406 Passagiere nutzten im September den Flughafen – ein Rückgang von mehr als 81 % im Vergleich zu 2019. Müller ist besorgt darüber, dass ein Ende der Krise noch nicht in Sicht ist: „Unsere Mitarbeiter wollen verkaufen, sie wollen für die Kunden da sein – und wenn es zu wenig Kunden gibt, ist es eine Herausforderung, sie zu motivieren“, sagt sie.
Die Zeichen stehen nicht gut für Jelmoli, dessen Verkaufseinnahmen in den letzten Jahren stetig gesunken sind. Die Reisebeschränkungen haben wichtige Kunden zurückgehalten (Touristen machen etwa 10 % des Umsatzes des Unternehmens aus), und derzeit kämpft die Schweiz mit der zweiten Welle der Coronapandemie. Müller bleibt aber im Herzen Optimistin: „Wir können diese Situation mit Schutz, Sicherheit und Regeln sehr gut meistern. Gleichzeitig ist es wichtig, den Überblick zu behalten: Was sagt oder zeigt uns diese Krise?“ Um die Moral unter den Mitarbeitern hoch zu halten, geht es Müller zufolge darum, die kleinen Erfolge zu feiern und auch darum, sich präsent zu zeigen. „Ich liebe es, durchs Haus zu gehen, mit den Mitarbeitern zu reden und auch das Gefühl, gemeinsam im selben Boot zu sitzen und in die gleiche Richtung zu streben“, so Müller.
Mit 24.000 Quadratmetern ist das luxuriöse Premiumhaus derzeit das größte seiner Art in der Schweiz. Größe kann manchmal ein Vorteil sein – aber in einer Welt, in der immer mehr Transaktionen online abgewickelt werden, macht es Sinn, den Wert jedes Quadratmeters infrage zu stellen. In den letzten zehn Jahren mussten die Schweizer Warenhäuser den wechselnden Konsumgewohnheiten, den Internetkonzernen wie Zalando und Digitec Galaxus und nicht zuletzt den teuren Immobilien trotzen. Ein Spaziergang durch die Bahnhofstrasse veranschaulicht die Begebenheiten: Die erste Station ist Globus, geführt von Müllers Vorgänger Franco Savastano. Die Performance war mangelhaft, denn die High-End-Abteilung verzeichnete in den letzten Jahren rückläufige Umsätze. Mehrere Schließungen, unter anderem in Genf, führten 2019 zu einem Umsatzrückgang um 5,6 % auf 762,7 Millionen CHF. Die Muttergesellschaft Migros verkaufte die Marke an das Joint Venture der Central Group und Signa.
Nur zwei Minuten entfernt liegt ein leeres Grundstück, auf dem sich einst Manor befand. Der größte Warenhauskonzern der Schweiz gab seinen Platz an der Zürcher Haupteinkaufsstraße samt 480 Mitarbeitern nach einem Mietstreit mit seinem Vermieter Swiss Life auf. Weitere 476 Mitarbeiter wurden aufgrund der jüngsten Umstrukturierung gekündigt. Ziel ist nun, das Onlinegeschäft bis 2024 um das Fünffache zu steigern. All dies zeigt, dass die Kaufhäuser vor der Wahl stehen, sich entweder neu zu erfinden und das Einkaufserlebnis aufzurütteln oder sich von den digitalen Giganten erdrücken zu lassen. Genau auf diesem Scheideweg befindet sich Müller heute: Aufgewachsen ist die gebürtige Österreicherin in Feldkirch. Schon in jungen Jahren hielt die Faszination für Marken und die Kunst des Verkaufens Einzug in Müllers Leben: „Ich liebte es, Werbung im Fernsehen zu sehen und mit meinem Vater zu diskutieren, was gut oder schlecht daran war. Deshalb habe ich mich schon sehr früh für schöne Dinge und Kommunikation und Marketing interessiert“, sagt sie. Später zog Müller nach Wien, wo sie an der Wirtschaftsuniversität ein Masterstudium in International Business Administration absolvierte. Ihre Karriere in Verkauf und Marketing startete sie beim österreichischen Textilhersteller Wolford. Nach einem Abstecher nach London zum Modelabel French Connection und einer ihrer Lieblingsmarken aus der Kindheit, Mandarina Duck, landete Müller wieder in Wien, diesmal in ihrer ersten Rolle in einem Luxuskaufhaus: Braun & Co. Einen Monat später erfuhr sie in der Vorstandssitzung, dass sie den Auftrag erhalten würde, das gesamte Geschäft zu schließen. Für Müller war dies eine Lektion darin, ein Unternehmen durch schwierige Zeiten zu führen: „Ein Unternehmen zu schließen bedeutet, offen für die Ängste der Mitarbeiter und präsenter als sonst zu sein.“
Nina Müller
...absolvierte ein Masterstudium in International Business Administration an der Wirtschaftsuniversität in Wien und startete ihre Karriere bei Wolford im Bereich Marketing und Vertrieb. Nach weiteren Stationen bei French Connection, Mandarina Duck und Braun & Co ist sie nun seit April 2020 CEO des Luxuskaufhauses Jelmoli.
Auf die Frage, wie sie Jelmoli sanieren wolle, taucht Müller direkt in ihren Businessplan ein. Es ist eine Fünfjahresstrategie, die der Verwaltungsrat der größten börsenkotierten Immobiliengesellschaft der Schweiz, Swiss Prime Site, kürzlich verabschiedet hat (Jelmoli befindet sich seit 2009 in deren Händen): Schweizer Labels und lokale Lieferanten, Pop-up-Stores, Podiumsdiskussionen, mehr Cafés, Bars und Restaurants sollen es sein. Im Kern: ein multifunktionaler Raum. „Ich will das Haus öffnen, es transparenter und offener gestalten“, sagt Müller. Das Unternehmen vermeidet es, konkrete Zahlen zu seinen Investitionen zu kommunizieren, aber ein „substanzielles Budget“ wird für die Renovierung der Verkaufsfläche, Nachhaltigkeitsprojekte und den Relaunch von jelmoli.ch bereitgestellt. In der kurzen Zeit, in der Müller das Premium-Warenhaus übernommen hat, ist bereits einiges geschehen: So hat Jelmoli eine Secondhand-Station für Marken wie Chanel und Hermès eingerichtet, verstärkt seine Bemühungen im Omnichannel-Bereich und verpasst dem Onlineshop bis 2021 einen neuen Anstrich. Das Endziel ist für Müller klar: „Mein Traumkaufhaus ist ein Kaufhaus voller Vielfalt, Aktualität und Neuheit, voller Innovation und Unterhaltung.“
Text: Olivia Chang
Fotos: Mara Truog
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 10–20 zum Thema „Handel“.