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Kaum ein anderer verkörpert Unternehmertum in Deutschland wie Wolfgang Grupp. In über 50 Jahren machte der Geschäftsführer und Alleineigentümer von Trigema aus einem maroden Unternehmen einen Vorzeigebetrieb mit über 100 Mio. € Umsatz. Doch die wohl schwerste Übung steht ihm nun bevor: Grupp bereitet die Übergabe an die nächste Generation vor.
Um aus seiner Villa zu seinem Schreibtisch zu kommen, muss Wolfgang Grupp nur die Straße überqueren und anschließend eine Treppe hinaufsteigen. Vom Hintereingang des Büros sind es nur wenige Schritte zu seinem großen Schreibtisch. Hier steht eine Telefonanlage, jedoch kein Computer; einige Mails liegen ausgedruckt auf dem Tisch.
Von hier aus leitet Grupp Trigema seit 53 Jahren. Es ist ein Großraumbüro, Grupp hat den Überblick über die gesamte Verwaltung des Unternehmens, das dieses Jahr rund 115 Mio. € Umsatz erzielen wird. Von seiner Frau Elisabeth, die schräg gegenüber sitzt, trennt Grupp nur ein langer Besprechungstisch, hinter dem Porträts der Familie hängen. Im anderen Eck ist sein Sohn Wolfgang junior „stationiert“, seine Tochter Bonita sitzt ebenfalls nur wenige Meter entfernt.
„Jeder Mitarbeiter kann jederzeit zu mir kommen, wenn er etwas braucht oder eine Frage hat“, so Grupp, dessen Tisch tatsächlich völlig frei zugänglich ist – keine Tür, keine Wand, kein Sichtschutz trennen den Alleineigentümer und Geschäftsführer vom Rest des Betriebs. Wer hinter dem Set-up Ansätze von New Work vermutet – sprich: Open Spaces und fehlende Hierarchien – liegt aber falsch. Grupp ist nämlich ein Unternehmer der alten Schule: „Ich will Geld verdienen“, so der 80-Jährige, „und dafür möglichst wenig arbeiten müssen – also muss ich effizient sein.“ Und weil es eben effizient ist, auf einen Blick sehen zu können, welcher Mitarbeiter gerade am Platz und somit auch erreichbar ist, hat Grupp wenige Jahre nach der Übernahme des Unternehmens die Führungs- und Verwaltungsebene so eingerichtet.
Überhaupt ist die Logik von Wolfgang Grupp eigentlich simpel. Grupp, ein gebürtiger Schwabe, führt sein Unternehmen äußerst konservativ. Fremdkapital oder Bankkredite sind dem Unternehmer fremd, ein negatives Jahresergebnis hat er in 53 Jahren kein einziges Mal abgegeben, wie Grupp nicht ohne Stolz betont. Seine Maschinen – seien sie noch so teuer – werden bei dem gebürtigen Schwaben schnellstmöglich abgeschrieben, um stille Reserven zu bilden; dazu zählt übrigens auch der unternehmenseigene Hubschrauber. Im gesamten Unternehmen steckt kein Euro Bankkredit, denn Grupp will von niemandem abhängig sein; die Produktion findet zu 100 % in Deutschland statt, um die Qualität gewährleisten zu können; und die Mitarbeiter haben eine Garantie für ihre Arbeitsplätze. Doch der Erfolg gibt Grupp recht: Als er das Unternehmen 1969 übernahm, gab es in Burladingen 26 Unternehmen im Textilbereich – heute ist Trigema als einziges übrig.
Grupp, der in der Öffentlichkeit vor allem aufgrund seiner meinungsstarken Auftritte im deutschen Fernsehen bekannt ist, hat in einem halben Jahrhundert Unternehmertum gelernt, dass Probleme da sind, um gelöst zu werden. Entscheidungen müssen schnell gefällt werden. Das bedeutet aber auch, dass der Unternehmer für komplexere Situationen abseits seines eigenen Wirkungsbereichs eher wenig Verständnis aufweist. Ein Beispiel: der Krieg in der Ukraine. Dieser sei für ihn nicht nachvollziehbar, so Grupp, der wie viele andere naturgemäß unter den Auswirkungen leidet. Warum Deutschland und der Westen, die Wladimir Putin jahrelang freundschaftlich verbunden waren, nun mit Waffenlieferungen die Ukraine unterstützen, will der Unternehmer nicht verstehen: „Wenn sich zwei auf der Straße streiten, kann ich nicht einem ein Messer und dem anderen eine Axt geben. Ich muss sie auseinanderbringen und schlichten.“ Und: „Man kann nicht jahrelang Geschäfte machen und plötzlich Todfeind sein.“ Dass die internationale Diplomatie vielleicht mehr Feingefühl erfordert, interessiert Grupp wenig. Auch das Zaudern der deutschen Regierung ist ihm fremd; obwohl Grupp mehrmals betont, weder ein Politik-Insider noch ein Putin-Freund zu sein.
Doch der Ukrainekrieg ist nicht die einzige Herausforderung, die Trigema lösen muss. Die hohen Energiepreise lassen die Kosten deutlich steigen, die Auswirkungen der Inflation kann Grupp „noch nicht abschätzen“; das größte Problem ist jedoch der Mitarbeitermangel. „Wir bekommen noch vergleichsweise gute Mitarbeiter“, sagt Grupp, „aber es wird immer schwieriger.“ Doch Grupp wird vermutlich nicht mehr derjenige sein, der für diese Probleme langfristige Lösungen finden muss – denn der Trigema-Eigentümer bereitet sich auf die Übergabe an die nächste Generation vor. Und auch dazu hat Grupp klare Vorstellungen.
Dass Trigema im Pandemiejahr 2020 seinen Umsatz gegenüber 2019 deutlich steigerte, war gleichermaßen Glück und Können – denn die Idee, Masken zu produzieren, kam Grupp nicht selbst: Eine Klinik trat an ihn heran. Der Unternehmer erkannte die Chance, schlug der anfragenden Klinik, die Fleecemasken bestellen wollte, Masken aus einem kochfesten Stoff vor – und konnte sich plötzlich vor Aufträgen kaum noch retten. Standen in den Büchern 2019 „nur“ 104 Mio. € Umsatz, waren es 2020 bereits 122,3 Mio. €.
2022 wird Trigema etwa bei 115 Mio. € landen. Diese stammen zu 40 % aus dem Onlinehandel, wo Trigema die Kunden direkt beschickt, zu 40 % aus den unternehmenseigenen 42 Testgeschäften, die vorrangig in Urlaubsdestinationen angesiedelt sind, sowie zu 20 % von Kunden aller Art, worunter Händler fallen, aber auch spezielle Lieferungen an Unternehmen. Grupp: „Kürzlich haben wir einen Auftrag bekommen: Ein Industrieunternehmen braucht 15.000 Fleecepullover mit eigenem Logo. Die Lieferung muss natürlich noch vor Weihnachten kommen, sonst wären sie ja gar nicht zu uns gekommen. Aber das ist unsere Stärke – es ist bekannt, dass Trigema sofort liefern kann.“ Längerfristige Aufträge würden meist im Ausland bestellt, sagt Grupp, doch alles, was schnell passieren müsse, lande bei Trigema.
Das liegt an zwei Dingen: einerseits daran, dass das Unternehmen zu 100 % in Deutschland produziert, was kurze Lieferketten und weniger Komplexität bedeutet. Und: Trigema produziert durchgehend. So wartet das Unternehmen nicht auf Aufträge, sondern fertigt auf Lager. Die genauen Volumen und Kapazitäten kommen bis heute vom Chef höchstpersönlich. Dieser könne mit seiner Erfahrung abschätzen, wie viele Exemplare von welchem Modell gefertigt werden müssten.
Die Tatsache, dass sein Unternehmen vollständig in Deutschland produziert, ist das absolute Markenzeichen von Trigema. „Deutschland ist ein Hochlohnland, wir können nicht über den Preis konkurrieren. Wer aber möchte, dass seine Kleidungsstücke lange halten, wer Qualität sucht, der kommt zu uns“, so Grupp. Viele Kunden legen auch Wert auf die lokale Wertschöpfung, die Trigema bietet.
Doch selbst wenn die Kundschaft fleißig kauft, ist Trigemas Ergebnis für 2022 unter Druck. Zahlte das Unternehmen früher mal 1,2 Mio. € an Energiekosten, rechnet Grupp für 2022 mit sieben bis acht Mio. €. Die Auswirkungen der Inflation sind da noch nicht berechnet, die kann Grupp „noch nicht abschätzen“, wie er sagt. Kürzlich erhöhte Trigema die Preise um 3 %, doch alles weitergeben könne man aktuell nicht. Die größte Herausforderung ist aber wie erwähnt der Mitarbeitermangel: „Wir haben noch mehr Glück als andere, aber auch für uns wird es schwierig“, sagt Grupp. Die Garantie für Arbeitsplätze, die Tatsache, dass auch die Kinder der Trigema-Mitarbeiter oftmals im Unternehmen anheuern, sowie die Integration von Flüchtlingen linderten die Schmerzen ein wenig. Dabei ist Grupp sowieso ein Fan von niedrigen Ergebnissen: Er tue alles, um das Ergebnis zu drücken, denn er verdiene zwar gerne Geld, doch zahle nicht gerne Steuern, sagt Grupp. Sein Maschinenpark wird so schnell wie möglich abgeschrieben. Grupp: „Das sind stille Reserven, die wir dann in schwierigen Zeiten haben.“
Wie hoch das Ergebnis genau ist, will Grupp nicht beantworten. Einige Aussagen von Grupp lassen aber vermuten, dass Trigemas Gewinn im hohen einstelligen Prozentbereich liegen könnte. In jedem Fall muss sich das Unternehmen aber etwas überlegen, denn die genannten Herausforderungen werden eher schwieriger, insbesondere werden die geburtenschwachen Jahrgänge, die gerade den Arbeitsmarkt betreten, den Mitarbeitermangel nicht nachhaltig verbessern.
Und so arbeitet das Unternehmen – insbesondere in der Person von Sohn Wolfgang Grupp junior – auch an Automatisierungslösungen. So wurde unter anderem eine siebenstellige Summe in ein Unternehmen investiert, das an einer automatischen Nähmaschine forscht. Grupp, der viel Wert auf seine Mitarbeiter legt, macht Jobverlust durch Automatisierung nämlich keine Sorgen: „Zeigen Sie mir eine Maschine, die zehn, 20 oder 40 Mitarbeiter ersetzt – die kaufe ich sofort!“
Die Nähe zur Textilbranche wurde Grupp in die Wiege gelegt. Sein Großvater väterlicherseits war Lederwarenfabrikant, der Vater von Grupps Mutter, Josef Mayer, gründete 1919 mit seinem Bruder Eugen die Trikotwarenfabrik Gebrüder Mayer KG (Trigema ist ein Akronym dieses Namens). Josef Mayer führte das Unternehmen, wie Wolfgang Grupp sich das vorstellt: eigenfinanziert, mit hohem Fokus und ohne überzogene Wachstumspläne. Als sein Schwiegersohn, also Grupps Vater, die Leitung übernahm, änderte sich das jedoch. Dieser wollte über Diversifizierung wachsen und gründete mehrere Firmen, etwa in den Bereichen Kunststoff, Jerseystoffe und Flachstrickwaren. „Die Geschäftsführer in diesen Firmen haben Millionenverluste gemacht“, schildert Grupp.
Im Jahr 1969 erzielte das Unternehmen 16 Mio. D-Mark Umsatz (rund 8,7 Mio. €) und hatte Verbindlichkeiten in der Höhe von zehn Mio. D-Mark (rund 5,1 Mio. €). Grupp, der damals Betriebswirtschaft in Köln studierte, merkte, dass es Zeit wurde, aktiv zu werden. Seine Doktorarbeit, die er im Bereich Sozialpolitik im Themenbereich Krankenkassen schrieb, brach er ab: „Mir ist eine Firma ohne Doktor lieber als ein Doktor ohne Firma“, sagte er zu seinem Doktorvater.
Er übernahm die 52,5 % der Anteile, die seine Eltern damals besaßen, und liquidierte die von seinem Vater gegründeten Tochterunternehmen. Grupp fokussierte Trigema wieder auf das Kerngeschäft, steigerte den Umsatz sukzessive und übernahm 1972 auch die restlichen Anteile, die seine Tante hielt. 1975 zahlte er, bei Umsätzen von rund 50 Mio. €, den letzten Bankkredit ab. „Seitdem habe ich nie wieder mit Banken über einen Kredit verhandelt. Wir haben heute 100 % Eigenkapital und sehr viele stille Reserven“, so der Unternehmer.
Grupp führte schrittweise T-Shirts und Sportbekleidung ein. Bekannt wurde Trigema durch Brustwerbung in der Fußball-Bundesliga, wo 13 verschiedene Vereine gesponsert wurden – beginnend mit Schalke 04 im Jahr 1979 und dem Werbespot mit dem Affen, der bis heute als Testimonial genutzt wird. Grupp wusste aber auch sich selbst in Szene zu setzen; insbesondere seine Auftritte in deutschen Talkshows, in denen er mehr Unternehmertum forderte und angestellte Manager sowie auch die Politik oft scharf kritisierte, brachten Trigema viel Aufmerksamkeit. „Ich bin Schwabe, und wenn ich wo eingeladen werde, ist das unbezahlte Werbung. Da sage ich nicht Nein“, so Grupp.
Wolfgang Grupp studierte Betriebswirtschaft in Köln, bevor er 1969 in dritter Generation das Textilunternehmen Trigema übernahm. Heute ist Grupp Alleineigentümer und Geschäftsführer des Unternehmens in Burladingen.
Die vielleicht größte Herausforderung steht Grupp aber noch bevor – denn der Unternehmer, der Trigema über 50 Jahre lang führte, prägte und zu dem machte, was es heute ist, bereitet aktuell die Übergabe vor. Ende 2023, im Alter von 81 Jahren, will Grupp seine gesamten Anteile an seine Frau übergeben. Diese hätte dann wiederum sechs Monate Zeit, um an eines der beiden Kinder zu übergeben. Die kurze Zeit sei notwendig, so Grupp, um nicht doppelt Erbschaftssteuer zahlen zu müssen – und die Entscheidung, dass nur eines der beiden Kinder die Anteile bekommen darf, sei insofern sinnvoll, weil Grupp erlebt hat, was Besitzstreitigkeiten in Familien anrichten können. Welches Kind die Anteile bekomme, so Grupp, dürfe seine Frau entscheiden.
Er selbst möchte jedoch weiterhin arbeiten und sich im Unternehmen einbringen, wo nötig – denn obwohl Grupp dann endlich auch anderes tun könnte, denkt er nicht, dass ihn das glücklich machen würde: „Das Schönste im Leben ist nicht, sein Geld zu zählen, sondern gebraucht zu werden. Und solange man mir noch das Gefühl gibt, dass ich hier gebraucht werde, komme ich gerne her.“
Fotos: Uwe Ditz