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Marlene Engelhorn, Nachfahrin des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn, wird bald einen Millionenbetrag erben. Doch Engelhorn ist damit nicht zufrieden, denn sie möchte besteuert werden – und zwar bald. Um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen, gründete sie nun die Initiative Taxmenow.
Für den Rest ihres Lebens müsste sich Marlene Engelhorn eigentlich keine Sorgen mehr machen, denn mit einem satten Erbe, das sie ihrer Großmutter Traudl Engelhorn zu verdanken hat, hätte sie ausgesorgt. Doch die Wienerin will sich damit nicht zufriedengeben – denn just die Tatsache, dass sie mit einem großen Erbe sorgenfrei leben kann, macht sie wütend: Das Steuersystem sei falsch strukturiert, große Vermögen müssten entsprechende Beiträge leisten, sagt sie – und weil diese Forderung von einer Millionenerbin in spe so revolutionär wirkt, ist die 29-Jährige seit Monaten in den Medien vertreten.
Ein Sprung in die Vergangenheit: 1848 gerät Friedrich Engelhorns Goldwerkstatt in Schwierigkeiten. Er gründet im Alter von 27 Jahren ein Gaswerk, später eine Anilinfarben-Fabrik und 1865 schließlich die Badische Anilin- und Soda-Fabrik, kurz BASF. Heute gilt das Unternehmen als größter Chemiekonzern der Welt; 2020 verzeichnete BASF einen Umsatz von fast 60 Milliarden €. Friedrich Engelhorn tritt 1883 aber aus dem Unternehmen aus und investiert sein Geld in das Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim.Bis 1997 führt sein Enkel Curt das Unternehmen, bevor er die Boehringer-Mannheim-Gruppe um elf Milliarden US-$ an den Schweizer Pharmakonzern Hoffmann-La Roche verkauft. Die Engelhorn-Familie ist reich – und damit auch Marlene Engelhorn.
In Wien wächst Engelhorn in einem „viel zu großen Haus“ auf, wie sie sagt, besucht einen privaten Kindergarten und eine Privatschule. „Privileged Rich Kid, das war meine Kindheit“, erzählt sie. Vor zwei Jahren erfährt die Studentin dann, dass sie von ihrer Großmutter einen zweistelligen Millionenbetrag erben wird, und weiß erst einmal nicht, was sie damit anfangen soll. Traudl Engelhorns Vermögen wird von Forbes auf 4,2 Milliarden US-$ geschätzt. Marlene Engelhorn beginnt, Menschen in ihrem Umfeld um Rat zu fragen, berät sich mit Experten, aber auch mit Menschen, die ihr Erbe auf einer strukturellen Ebene kritisch betrachten. Marlene Engelhorn kommt zu dem Schluss, dass es nicht ihre Entscheidung sein sollte, was sie mit dem Geld ihrer Familie, für das sie nicht gearbeitet hat, anstellen soll – im Februar 2021 gründet Engelhorn gemeinsam mit anderen die AG Steuergerechtigkeit, welche seit Juni unter dem Namen Taxmenow läuft. Mit der Initiative sammelt Engelhorn Unterschriften für eine Petition zum Thema Steuergerechtigkeit. Momentan gibt es 44.000 Unterschriften, davon stammen 50 von Millionären. Die Initiative will dem Thema der ungleichen Vermögensverteilung in der Öffentlichkeit mehr Präsenz verleihen.
Laut Arbeiterkammer besitzt 1 % der Bevölkerung in Österreich 40 % des Vermögens im Land. Österreich liegt laut Household Finance and Consumption Survey an vierter Stelle der Europäischen Union in Sachen ungleiche Vermögensverteilung. Seit 2008 gibt es hierzulande keine Vermögenssteuern mehr, lediglich eine Grundsteuer auf Landbesitz von 0,2 %. Erbschaftssteuern machen in Österreich 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts aus – im internationalen Vergleich liegt man damit weit zurück: In Deutschland machen Vermögenssteuern 1 % des BIP aus, in der Schweiz 2 %, in den USA und im Vereinigten Königreich sogar rund 4 %. Dabei könnten durch einen geringen Steuersatz bereits hohe Summen generiert werden – das zeigt eine Studie der Johannes-Kepler-Universität Linz: Würde man in Österreich einen Steuersatz von 1 % bei einem Freibetrag von einer Million € einführen – das heißt, bei einem Vermögen von 1,2 Millionen € würden 200.000 € zu 1 % besteuert werden –, könnte der Staat jährlich insgesamt vier Milliarden € einnehmen. In ihrem diesjährigen Wahlkampfprogramm schlug auch die SPD ein ähnliches System vor: Ab einem Freibetrag von zwei Millionen € soll ein Steuersatz von 1 % gelten. Das würde in Deutschland 15 bis 25 Milliarden € generieren.
Ein bestimmtes Steuermodell schlägt die Initiative Taxmenow nicht vor. „Dann entscheiden ja wieder die Reichen, wie es läuft. Das haben wir ja bereits jetzt – und es läuft nicht“, sagt Engelhorn. Maßgeblich für eine Reform der Umverteilung wäre Transparenz, so die 29-Jährige. Wer hat wie viel Geld und wer hat wie viel Einfluss auf die Politik durch Parteispenden? Für realistisch hält Engelmann ihre Forderung allemal: Die Strukturen seien da, und auf verstimmte Wähler könne man sich auch nicht ausreden. Laut einer 2020 durchgeführten Studie sprechen sich 64 % der Österreicher für Vermögenssteuern aus, 77 % bereitet die Schere zwischen Arm und Reich Sorgen.
Marlene Engelhorn
ist die Nachfahrin des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn. Bald wird sie einen Millionenbetrag erben und will für diesen besteuert werden. 2021 gründete sie deshalb gemeinsam mit anderen die Initiative Taxmenow, die sich öffentlich für Steuergerechtigkeit einsetzt.
Obwohl Engelhorn von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über den ORF bis zum ZDF mittlerweile in fast jedem deutschsprachigen Medium mit ihren Forderungen auftrat, will sie sich selbst eigentlich in den Hintergrund stellen. Über ihr Privatleben verliert sie ungern ein Wort; jede ihrer Antworten endet mit ihrem Anliegen, soziale Ungleichheit zu bekämpfen und die Vermögensverteilung umkrempeln zu wollen. Dennoch hätte Engelhorn Potenzial für eine öffentliche Rolle: Sie spricht gut – ihre Liebe zur Literatur zeigt sich nicht nur an dem gefüllten Bücherregal hinter ihrem Laptop, sondern auch in ihrer Wortwahl. In die Politik will die Studentin aber nicht gehen: „Wen würde ich denn dort repräsentieren? Noch mehr Rich Kids im Parlament? Wir sind ja ohnehin schon überrepräsentiert“, sagt Engelhorn.
Falls nicht rechtzeitig eine Vermögenssteuer eingeführt wird, will Engelhorn ihr Erbe umverteilen lassen – wie genau, weiß sie noch nicht. Ihr Plan sei aber weiterhin, das nicht entscheiden zu müssen. „Selbst wenn ich mein Geld an eine ganz besonders tolle Organisation gebe, ist das nicht die Lösung des Problems“, meint sie. Ein Unternehmen gründen, um „Gutes“ zu tun, wollte Engelhorn nie. „Ich sehe ja ein, dass man gerne durch Unternehmensgründungen und Start-up-Finanzierung die Probleme dieser Welt lösen will – am liebsten per App-Klick. Aber es braucht Strukturen. Die Klimakrise bekommen wir auch nicht weggeklickt.“
Auch in Zukunft will Engelhorn ihre mediale Präsenz nutzen, um den demokratischen Diskurs anzuheizen. Dabei sei ihr bewusst, dass man ihr nur zuhöre, weil sie vermögend ist. „Es gäbe genug Leute, die zu diesem Thema etwas zu sagen hätten. Ich bin nur das Rich Kid, das die Klappe aufreißt.“ Und das möchte sie machen, solange die Öffentlichkeit sie brauche. „Wenn sie mich irgendwann nicht mehr braucht, ziehe ich mich auch wieder zurück – versprochen“, erklärt Engelhorn schmunzelnd.
Text: Sophie Ströbitzer
Fotos: Lorena Sendic Silvera, Taxmenow / Ulrich Palzer
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 8–21 zum Thema „Women“.