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Befinden sich junge Führungskräfte in einer Situation mit Verantwortung, steht oft zu viel auf dem Spiel, um Führungsmethoden auszuprobieren. Projektmanagement kann hier helfen – als Raum für „Learning by Doing“.
Vor rund einem Jahr veröffentlichte der österreichische Rechnungshof einen Bericht über die Sanierung des Parlamentsgebäudes in Wien. Das Haus des Nationalrats wurde mehr als zwei Jahre später fertiggestellt als ursprünglich geplant; rund 517 Mio. € hat das Projekt gekostet – fast 20 % mehr als 2015 geschätzt. Trotzdem, fasst der Bericht zusammen, sei die Sanierung ein Erfolg gewesen.
„Der Umbau des Parlaments ist ein Beispiel für ein sehr, sehr gut geführtes Projekt“, sagt auch Martina Huemann. Die Wienerin ist Academic Director des Executive-MBA-Programms Strategic Project Management der WU Executive Academy und Professorin an der WU Wien, wo sie die Project Management Group am Department of Strategy and Innovation leitet. Seit einem Jahr hat sie auch eine Professur am University College London. Für ein Projekt dieser Größe, so Huemann über die Sanierung des Parlaments, hat der Rechnungshof wenige Kritikpunkte finden können. Die für den Umbau verantwortliche Bundesimmobiliengesellschaft gewann 2023 auch den Preis „pma award – der Österreichische Project Excellence Award“, der jährlich von der pma verliehen wird und mit dem exzellente Projektteams ausgezeichnet werden (pma steht für Projekt Management Austria, eine Fachvereinigung für Projektmanagement, in der Huemann Vorstandsmitglied ist). Im Gespräch mit Forbes lobt sie die „gesamtheitliche Herangehensweise“ des Projekts.
Aber was genau meint sie damit? Wie erkennt man gutes Projektmanagement? Und vielleicht noch wichtiger: Was können sich Führungskräfte und Unternehmensgründer von Projektmanagern abschauen – sowohl für ihr Unternehmen als auch für das Privatleben?
Im klassischen Projektmanagement müssen Projekte rechtzeitig, innerhalb des Budgets und entsprechend der erforderlichen Qualität abgeschlossen werden – drei Ziele, die als „Iron Triangle“ zusammengefasst werden. Früher waren Projektteams in der Regel hierarchisch organisiert, der Projektmanager stand als „Hero“ an der Spitze. „Heute gibt es diesen oft zitierten Hero nicht mehr“, so Huemann, „der Projektmanager steht nicht mehr über den anderen Projektmitarbeitern, sondern begegnet ihnen auf Augenhöhe.“ Moderne Projektvorgehensweisen wie Kanban und Scrum, die beide aus dem IT-Bereich stammen, bringen mehr Flexibilität in Projekte. Das spiegelt die Trends in der Leadership-Theorie wider, die Führungskräften engere Kontakte zu ihren Angestellten und flexiblere Arbeitsweisen empfiehlt.
Vor allem aber bieten Projekte den Mitarbeitern gute Möglichkeiten, Führungskompetenzen zu entwickeln – Huemann spricht von einem „Leadership-Bootcamp“. Projektmanager haben oft keine formale Weisungsbefugnis und müssen sich deshalb auf andere Führungsformen stützen. Sie lernen, Motivation als Antriebsfaktor zu benutzen; der Purpose des Projekts rückt stärker in den Fokus.
In ihrem jüngsten Forschungsprojekt identifiziert die WU-Professorin drei „Räume“, in denen Projektmanager wertvolle Leadership-Skills lernen können. Der erste Raum ist der Social Space: Projekte drehen sich nicht mehr nur um das Iron Triangle, Beziehungen zwischen Projektmitarbeitern, Projektmanagern und Stakeholdern stehen in diesem Raum im Vordergrund. „In einem gut funktionierenden Social Space können Menschen Beziehungen aufbauen und gemeinsam arbeiten“, so Huemann. Der gemeinsame Erfolg ist wichtig.
Stakeholder – auf die Projektmanager wie Führungskräfte angewiesen sind – sollen außerdem stärker in den Planungsprozess einbezogen werden. So können unrealistische Erwartungen vonseiten der Stakeholder vermieden werden und Projektmanager verstehen besser, welche Ziele ihre Auftraggeber verfolgen.
„Projekte sind anders, als in der Linie zu arbeiten. Bei Projekten bin ich sehr nahe am Ergebnis.“
Martina Huemann
Der zweite Raum, von dem Huemann spricht, ist der Learning and Competence Space. Soll ein Projekt als Leadership-Bootcamp funktionieren, müssen sich Mitarbeiter weiterentwickeln können. „Für viele Personen ist es wichtig“, so Huemann, „dass sie bei der Arbeit dazulernen können. Sie wollen sich neue Kompetenzen aneignen.“ Projektmanager können das ermöglichen, indem sie Fehler tolerieren und „Learning by Doing“ fördern. Projektmitarbeiter müssen oft kleinere Teams leiten, unter Zeitdruck Entscheidungen treffen oder Stakeholder mit verschiedenen – und oft widersprüchlichen – Interessen zufriedenstellen. So eignen sich die Mitarbeiter Kompetenzen an, die später wertvoll sein können; etwa wenn sie selbst eine Führungsposition innehaben. Und: Durch die Nähe zum Projektmanager können Mitarbeiter ihren Vorgesetzten gut beobachten und sehen, wie er mit kniffligen Situationen umgeht.
Aber nicht nur die Manager von Projekten können lernen: Ein zentraler Aspekt von Projektmanagement-Methoden ist es, einen klaren Plan zu entwerfen. „Auch hinter modernen, agilen Methoden steht ganz viel Struktur“, so Huemann. Dadurch, dass jeder Mitarbeiter klare Aufgaben hat, kann er ein Stück weit Verantwortung übernehmen und die Initiative ergreifen – beides Merkmale eines guten Führungsstils. „Besonders junge Mitarbeiter können von Projekten profitieren; auch, weil sie während eines Projekts wertvolle Kontakte knüpfen“, so Huemann. Junge Menschen sind auch besonders motiviert, dazuzulernen und sich weiterzuentwickeln.
Den letzten Raum nennt Huemann den „Co-Creation Space mit Sinnfaktor“ – in der Mitte dieses Raums soll der Purpose des Projekts stehen. Huemann: „Er stellt die Frage: ‚Warum arbeiten wir?‘“ Was dabei hilft: „Projekte sind anders, als in der Linie zu arbeiten. Bei Projekten bin ich sehr nahe am Ergebnis, und so sehe ich den Beitrag, den ich mit meiner Arbeit leiste.“ So ist es leichter, einen klaren Purpose zu definieren.
Von diesem Raum können sich also Führungskräfte etwas Zentrales abschauen: Ein Mitarbeiter, der seine Arbeit als sinnvoll erachtet, erledigt sie schneller und besser. Genau wie das Ziel eines Projekts muss der Purpose einer Stelle oder eines Unternehmens klar definiert sein und kommuniziert werden, damit Mitarbeiter motiviert bleiben.
Projektmanagement-Lektionen – Stakeholder miteinbeziehen, Mitarbeitern Eigenverantwortung geben, einen strukturierten Ablauf planen – sind auch für das Privatleben wertvoll. Möchte man etwa ein Gartenhaus bauen, muss man davor mit den Nachbarn – den Stakeholdern – reden und sie vorwarnen, dass es am Wochenende laut werden kann. Vielleicht muss man mit ihnen etwas verhandeln: Gebaut wird nur zwischen zehn und 21 Uhr. Wichtig ist, dass sie in die Planung miteinbezogen werden. Auch die eigene Familie hat wahrscheinlich Erwartungen an ein Gartenhaus. „Was man sich vom Projektmanagement abschauen kann, ist, dass es nicht nur um die Hütte geht, sondern auch um die Menschen“, fasst Huemann es zusammen.
Auch sind realistische Vorstellungen über die eigenen Fähigkeiten wichtig: Für welche Arbeitsschritte muss ich mir Hilfe holen, was schaffe ich alleine? Und wann muss die Hilfe eintreffen? Einen genauen Terminplan braucht es für eine Hütte womöglich nicht; aber so kann vielleicht vermieden werden, dass das angeschaffte Holz wochenlang im Garten liegt.
„Projekte schaffen die Zukunft. Die Zukunft eines Unternehmens kann auf einzelne Projekte heruntergebrochen werden, und jedes Projekt ist für das Überleben eines Unternehmens wichtig.“
Martina Huemann
Wie der Rest der Wirtschaftswelt wird auch die Arbeit von Projektmanagern zurzeit von KI-Anwendungen verändert, auch wenn Huemann klar sagt: „Projektmanager werden in den nächsten Jahren sicher nicht durch KI abgelöst werden.“ Stattdessen, prophezeit die Wirtschaftsforscherin, wird die Technologie Projektmanagern repetitive Aufgaben abnehmen und dadurch mehr Zeit für zwischenmenschliche Aufgaben schaffen. „KI wird Projektmanagern die Möglichkeit geben, sich stärker auf Führungsaufgaben zu konzentrieren“, so Huemann.
Das spiegelt die Aussagen von Martin Giesswein wider, der an der WU Executive Academy Digitalökonomie und Leadership unterrichtet und ein Buch über den Einfluss von KI geschrieben hat. „KI macht uns menschlicher“, sagte er im Interview für einen anderen Beitrag in dieser Serie. Soll heißen: KI übernimmt die repetitiven Aufgaben – Kalendereinträge buchen, Daten auswerten, Berichte erstellen – und schafft mehr Zeit für Mitarbeitergespräche und Strategie-Meetings.
Eine zweite Technologie, die das Feld verändert, sind sogenannte digitale Zwillinge. Ein digitaler Zwilling kann etwa ein digitales Modell eines Gebäudes sein; Planer können so einfacher und billiger messen, wie sich bestimmte Entscheidungen auf das Projekt auswirken. „Gerade bei Bauprojekten ist es oft schwierig, dass sich alle Aspekte eines Projekts ergänzen, anstatt sich zu widersprechen“, erklärt Huemann. „Mit digitalen Zwillingen kann ich zum Beispiel leichter sehen, wie das Gebäude aussieht, wenn ich die Fenster woanders einsetze. Macht es dann noch Sinn, die Arbeitsplätze in diesem Zimmer zu haben, oder ist es dann zu dunkel?“ Die Ansprüche verschiedener Stakeholder, die oft in Konflikt zueinander stehen, können so leichter vereinbart werden. Falls der Wunsch eines Stakeholders nicht berücksichtigt werden kann, kann diese Entscheidung mithilfe eines digitalen Zwillings anschaulich begründet werden.
Während unseres Gesprächs sagt Huemann immer wieder: „Projekte schaffen die Zukunft. Die Zukunft eines Unternehmens kann auf einzelne Projekte heruntergebrochen werden, und jedes Projekt ist für das Überleben eines Unternehmens wichtig. Denke man größer, so Huemann, gelte das Gleiche für die Zukunft einer Gesellschaft. Das Ziel der Parlamentssanierung war es, das Gebäude neu zu gestalten. Dabei wurde es gleichzeitig der breiten Bevölkerung geöffnet: Die Bibliothek im Parlament ist seit der Neueröffnung öffentlich und im sogenannten Plenarium können Besucher den Nationalratssaal auch während der Sitzungen betrachten. Außerdem gibt es neue Möglichkeiten, Demokratie-Workshops für Schulen zu veranstalten. Durch das Projekt wurde nicht nur das Gebäude saniert – der Sitz der österreichischen Demokratie selbst wurde ein Stück demokratisiert. Huemann: „Die Projektmanager haben den Umbau genutzt, um einen tieferen Purpose zu erfüllen.“
Martina Huemann ist Academic Director des Executive-MBA-Programms Strategic Project Management der WU Executive Academy, Professorin an der WU und Leiterin der Project Management Group. Seit einem Jahr unterrichtet sie auch am University College London, wo sie Professorin für Project Leadership and Society ist.
Fotos: Gianmaria Gava