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Galopprennen sind in Österreich ein Relikt aus alten Tagen. Dennoch ist gerade hier einer der erfolgreichsten Galopptrainer Europas tätig: Markus Geisler betreut in seinen Ställen in der Wiener Freudenau und im niederösterreichischen Altlengbach Pferde von Kunden aus der ganzen Welt. Eine Geschichte über die glorreiche Vergangenheit der Pferdewetten, die Liebe zu den Pferden und die Emotionen des Rennsports.
Grüne Wiesen, weiße Zäune und Fohlen, die mit den Muttertieren über Felder galoppieren: Der Ort, an dem der Trainingsstall von Markus Geisler in Altlengbach steht, bietet einen malerischen Anblick. Im Stall selbst ist um neun Uhr morgens schon so einiges los: Jockeys satteln ihre Pferde und führen sie nacheinander in die große Halle, während die Stallpfleger fleißig Pferdeboxen ausmisten, säubern und kehren und der Stallhund Bob jeden Gast beschnuppert. Mitten in diesem Treiben steht Markus Geisler. Jedes Pferd, das an ihm vorbeigeführt wird, inspiziert er genau und weist die Jockeys währenddessen auf ihren Trainingsplan hin. Immer wieder wirft er einen Blick auf das große Whiteboard im Stall, wo genau geschrieben steht, welches Pferd bei welchem Rennen teilnehmen soll.
Markus Geisler war selbst nie als Jockey tätig. „Dafür war ich immer zu groß“, meint er schmunzelnd. Ursprünglich war Geisler Tischler; als ihn aber ein befreundeter Rennpferdezüchter aus Kärnten vor vielen Jahren zu einem Pferderennen mitnahm, sollte sich seine Berufung schlagartig verändern. „Der Züchter hatte damals ein Pferd am Start, das war, ich schwöre es, nur so groß wie ein Dackel. Trotzdem war er sehr zuversichtlich und hat immer wieder gesagt, wie schnell das kleine Pferd nicht sei und dass es bestimmt gewinnen wird. Ich habe mir nur gedacht: ‚Na geh, der Arme, das Pferd hat keine Chance gegen die Großen!‘“, so Geisler. Doch trotz seiner Größe gewann das kleine Pferd damals das Rennen. „Ich habe mich so gefreut – an diesem Tag war es um mich geschehen“, so Geisler. Ein Jahr lang hatte er im Anschluss seine eigenen Rennpferde auswärts bei einem Trainer stehen, jedoch ohne viel Erfolg. „Ich war, glaube ich, ein Jahr lang bei jedem Rennen nur Letzter“, sagt Geisler. Daraufhin beschloss er, seine Pferde selbst für die Rennen zu trainieren, was sich für den ehemaligen Tischler um einiges mehr lohnte: Drei Rennen gewann eines seiner Pferde im ersten Jahr, und schon bald erhielt Geisler erste Kundenaufträge – und damit auch den Auftrag, fremde Pferde zu trainieren. Heute hat er über zehn Mitarbeiter und betreut 30 Pferde in seinen Rennsport-Trainingszentren.
Zurück nach Altlengbach. „Nächstes Wochenende steht wieder ein Rennen in Frankreich an“, erzählt Geisler nachdenklich. „Der da soll mitmachen!“, sagt er und zeigt auf einen braunen Vollblutwallach, der gerade an uns vorbeigeführt wird. Obwohl Geisler unter anderem auf der berühmten Rennbahn in der Wiener Freudenau zu Hause ist, nimmt er kaum noch an Rennen in Österreich teil – stattdessen fährt er regelmäßig mit den Jockeys und seinen Pferden nach Frankreich. Der Grund: Es gibt einfach kaum noch Rennen im eigenen Land, und wenn, dann sind die Gewinnsummen für den Trainer vernachlässigbar. „Es hat sich viel getan im Rennsport in Österreich“, erzählt der Trainer mit einem Seufzen und fügt hinzu: „Nichts ist mehr wie früher.“
Die Grasrennbahn in der Wiener Freudenau im zweiten Bezirk ist ein Symbol für die ehemals glorreiche Zeit des österreichischen Pferderennsports. Hier scheint die Zeit stillzustehen. Auf der 1829 erbauten Kaiserloge stehen keine Besucher mit Wettscheinen mehr und die Kassenstände sind leer und verstaubt. Seit das 2004 erbaute Magna Racino die Galopprennbahn und Wettzentrale in der Freudenau abgelöst hat, finden auf dem historischen Gelände nur noch Veranstaltungen wie Konzerte, Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern statt. Mittlerweile gibt es auch kaum noch Galopprennen auf der Anlage des Magna Racino – hauptsächlich Trabrennen bietet das ehemalige Sportzentrum von Frank Stronach heute an. „Die größten Rennen mit den höchsten Gewinnsummen finden in Europa in Frankreich statt. In England gibt es zwar auch noch eine große Pferderennkultur, aber die Rennen dort sind anspruchsvoller und die Gewinne vergleichsweise niedrig“, erklärt Geisler.
Tatsächlich hat sich nach langer Zeit auch das Reglement rund um die Renn- und Wettkultur verändert. So muss man seit einigen Jahren in Frankreich zu den Rennen beispielsweise keine Krawatte mehr tragen. „Heute kann man schon casual auf die Rennbahn kommen“, erzählt Geisler. Diese Änderung ist ein Versuch der Franzosen, mehr Leute zu Pferdewetten zu locken und sie für den Sport zu begeistern. Eine Feiertagsbeschäftigung ausschließlich für die Schönen und Reichen ist der Besuch der Rennbahn laut Geisler schon lange nicht mehr – so kann man die Rennen in Frankreich auch in Österreich in Wettcafés und Casinos verfolgen und so auch außerhalb der Landesgrenze sein Glück versuchen. Für Trainer wie Markus Geisler ist das ein Vorteil, da mehr Wetten größere Gewinnsummen bedeuten.
Durchschnittlich liegt das Preisgeld für die französischen Rennen, bei denen Geisler teilnimmt, zwischen 20.000 und 80.000 €. Der Trainer des Gewinnerpferds bekommt meistens rund 10 % des Preisgelds. „Reich wird man mit dem Ganzen nicht“, sagt Geisler lachend – „zumindest nicht so, wie ich das mache, weil ich jeden Traineranteil vom Preisgeld sofort wieder in meine Mitarbeiter und in unsere Trainingsanlage stecke.“ Bei den österreichischen Rennen ist das Preisgeld deutlich niedriger; so liegt die Gewinnsumme für Geisler bei einem heimischen Derby meistens nur bei rund 2.000 €. „Mit demselben Pferd verdiene ich in Frankreich um einiges mehr als im ,Ostblock‘, zu dem im Pferderennsport Österreich mittlerweile dazugezählt wird“, so Geisler.
Das Jahr 2023 war für den Trainer bisher lukrativ. Erst am Wochenende vor unserem Gespräch mit Geisler konnten er und sein Jockey Jan Havlik mit dem Wallach Vadium bei einem großen Rennen in Marseille den zweiten Platz belegen und eine Woche davor hatte der Wallach Magnetius in Deauville sogar gewonnen. „Dieses Jahr läuft bisher so gut wie kein anderes. Eigentlich wäre jetzt für mich der Zeitpunkt, ins Ausland zu gehen“, so Geisler nachdenklich. Im Moment ist er mit einer Gewinnrate von 27 % der erfolgreichste ausländische Trainer in Frankreich. Schon öfters hat er daher Anfragen aus Frankreich und anderen Ländern bekommen, entschied sich aber immer wieder dafür, in Österreich zu bleiben. „Klar wäre es vielleicht wirtschaftlich die beste Entscheidung, nach Frankreich zu ziehen, doch ich habe in Österreich viele langjährige Kunden, die ich nicht im Stich lassen will“, so Geisler.
Warum ist das Geschäft rund um die Pferdewetten in Österreich eigentlich zurückgegangen? Darüber ist sich Geisler selbst nicht ganz sicher: „Grundsätzlich finde ich persönlich Pferdewetten um einiges spannender als beispielsweise Lotto. Die Gewinnchancen sind bei den Wetten auch viel höher.“ Und in der Tat sind im Gegensatz zu anderen Sportarten die Erfolgsquoten im Pferderennsport um einiges höher: Bei Favoritenrollen – also Pferden, bei denen mit einem Sieg gerechnet wird – liegen die Gewinnquoten meistens um die 2,9 %. Im Fußball liegen die festgelegten Quoten auf vermeintliche Sieger bei 1,1 bis 1,2 %. Bei Pferdewetten fließt aber meistens auch ein besonderes Fachwissen mit ein: „Wenn man auf Pferde setzt, sollte man sich immer vorher anschauen, wie die Ergebnisse der vorherigen Rennen waren, aber auch, wie das Pferd am Renntag aussieht. Ist es zufrieden? Hat es einen müden Blick? Wie bewegt es sich?“, erklärt der Trainer, während wir ihm in die Reithalle folgen. Auch er wettet ab und zu; natürlich nur, wenn er nicht selbst mit einem Pferd an den Start geht. „Es ist einfach unglaublich spannend, bei einem Rennen zuzuschauen, bei dem man selbst mitgewettet hat – noch weitaus mehr Nervenkitzel erlebt man aber, wenn das eigene Pferd an den Start geht“, so Geisler weiter.
Mein Erfolgsgeheimnis ist es, glückliche Pferde zu trainieren.
Markus Geisler
In der Halle angekommen hilft der Trainer jedem Jockey selbst aufs Pferd, während er sich die Bewegungsabläufe und das Gemüt der Pferde genau anschaut. „Es ist leider nicht mehr ganz so einfach, einen guten Jockey zu finden. Die Menschen werden immer größer“, erzählt er nachdenklich. Tatsächlich ist die Größe der Jockeys kein Mythos aus dem Rennsport, sie müssen tatsächlich klein und leicht sein. Maximal 60 Kilogramm sollten sie laut Geisler mitsamt dem Sattel und dem restlichen Equipment am Renntag wiegen. „Wobei 60 Kilo wahrscheinlich schon die Obergrenze ist“, meint er und fügt hinzu: „Viele Jockeys essen daher auch an den Tagen vor den wichtigen Rennen nichts.“
Durch diese Einschränkungen und die gestiegene Durchschnittsgröße der Menschen haben auch immer mehr Frauen ihren Weg in den ehemals stark männerdominierten Pferderennsport gefunden. Eine von ihnen ist die mehrfache Landesmeisterin und Weltmeisterin aus dem Jahr 2021 Hana Jurankova. „Ich komme aus einer Jockey-Familie und habe quasi Reiten gelernt, bevor ich überhaupt gehen konnte. Mein Vater wollte nie wirklich, dass ich im Rennsport aktiv werde, aber hier bin ich“, erzählt sie lachend, bevor Markus Geisler ihr auf eine braune Stute hilft.
Von der Halle folgen wir dem Trainer hinaus auf die Rennbahn. Durch einen kleinen Wald und steil bergauf verläuft die fast zwei Kilometer lange Trainingsbahn. An mehreren Stellen gibt es Videokameras und Zeitmessungen, über die Pferd und Reiter von Geisler über sein Handy beobachtet werden können. Wir stellen uns an die Böschung neben die Bahn, während der Trainer am Zaun gelehnt gespannt auf die Pferdegruppe wartet, die schon bald im Renngalopp an uns vorbeiziehen soll. „Mein Erfolgsgeheimnis ist es, glückliche Pferde zu trainieren. Ich meine, schaut euch das hier an: Die Pferde kommen regelmäßig auf die Weide, was im Rennsport keine Selbstverständlichkeit ist, und bringen noch mit zehn Jahren Siege mit nach Hause, in einem Sport, wo meistens der Leistungspeak mit drei bis vier Jahren erreicht ist“, so Geisler. Im Training laufen die Pferde nur durchschnittlich 60 % ihrer Wettkampfgeschwindigkeit – Geisler achtet darauf, die Tiere zu Hause zu fördern und nicht auszupowern. „Sie sollen am Renntag immer noch Kraft und Energie haben“, erzählt er.
Wir hören die galoppierende Gruppe an Pferden schon, bevor wir sie überhaupt sehen können. Ganz Altlengbach scheint zu vibrieren, als sie an uns vorbeiziehen.
Sowohl bei Markus Geisler als auch bei den meisten anderen Trainern werden hauptsächlich Englische Vollblüter für die Rennen verwendet. Diese Rasse zeichnet sich vor allem durch ihre hohe Geschwindigkeit aus. So war auch der Wallach Big Racket, der 1945 mit 69 km/h den Weltrekord für die schnellste jemals gemessene Geschwindigkeit eines Pferds aufgestellt hat, ein Englisches Vollblut. Der Preis für Englische Vollblüter variiert heute stark: Dreijährige Pferde wechselten 2018 bei britischen Versteigerungen für durchschnittlich 48.000 € den Besitzer. Das teuerste Rennpferd wurde im Jahr 2000 von einem irischen Züchter für rund 64 Mio. US-$ gekauft. Gute Rennpferde müssen aber laut Geisler nicht unbedingt teuer sein: „Es kann auch ein Pferd, das um nur 2.000 € gekauft wurde, ein Rennen gewinnen. Das ist das Motivierende am Rennsport: Teure Pferde garantieren einem nicht immer den Sieg“, sagt er. Gleichzeitig sind auch die Besitzer von Rennpferden aus ganz unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen: „Ich habe Kunden, die sich mit einer 1.500-€-Pension noch den großen Traum erfüllt haben und sich ein Rennpferd kaufen, ohne dass sie jemals etwas mit dem Sport zu tun hatten“, so Geisler.
Wir machen uns über die Galoppstrecke zurück zu den Stallungen. Dort bereitet sich schon die nächste Gruppe an Jockeys und Pferden auf ihr Training vor. Jeden Tag ist der Trainer ab 6:30 Uhr im Stall, egal bei welchem Wetter und zu welchen Bedingungen. „Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal Urlaub oder einen freien Tag hatte. Ich bin, was das angeht, ein ganz schlechter Selbstständiger“, meint er lachend. Denn obwohl das Interesse an den Pferdewetten und rund um den Sport jedes Jahr immer weiter abnimmt, hat der ehemalige Tischler im Pferderennsport seinen Lebensinhalt gefunden. „Es gibt einfach kaum ein vergleichbares Gefühl zur Spannung vor jedem Rennen. Das ist unbezahlbar“, sagt Markus Geisler, während er schon wieder dem nächsten Jockey auf das Pferd hilft.
Markus Geisler ist ein österreichischer Galopptrainer. In seinen Trainingsställen in der Wiener Freudenau und in Altlengbach hat er viele Pferde von internationalen Kunden im Training. Für Pferderennen fährt der Österreicher meistens nach Frankreich.
Text: Lela Thun
Fotos: David Visnjic