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Mit 200 Mio. US-$ Finanzierung im Rücken entwickeln der 28-jährige US-Amerikaner Scott Wu und sein Team von Programmierern bei Cognition ein KI-Tool, das eigenständig programmieren kann und womöglich die gesamte Branche revolutionieren wird. Ist die Bewertung von zwei Mrd. US-$ das Ergebnis eines echten Durchbruchs – oder nur ein Produkt des KI-Hypes?
Kurz vor Weihnachten 2023 kämpfte das kleine Team von Cognition, einem in San Francisco ansässigen KI-Start-up, mit der Einrichtung eines besonders komplexen Datenservers für seinen KI-Programmierassistenten namens Devin. Stundenlang hatten sie Installationsdokumente durchforstet und verschiedene Befehle ausprobiert – doch nichts funktionierte. Erschöpft und frustriert beschlossen sie schließlich, Devin selbst das Problem lösen zu lassen.
Zunächst sah es so aus, als würde der KI-Programmierassistent nicht erfolgreicher sein als das Team. Doch dann wechselte ein Serverterminal-Licht, das stundenlang rot geleuchtet hatte, plötzlich auf Grün – der Datenserver lief.
Wie sich herausstellte, hatte Devin eine fehlerhafte Systemdatei gelöscht, die das Team übersehen hatte. „In diesem Moment wurde mir wirklich klar, wie sehr sich die Softwareentwicklung verändern wird“, sagt Cognition-Entwickler Walden Yan. Es war die erste größere Aufgabe, die Devin jemals erfolgreich abschloss – und der Proof of Concept für Cognitions Vision, dass KI die mühsame Arbeit in der Softwareentwicklung übernehmen könnte.
Jetzt, fast ein Jahr später, übernimmt Devin grundlegende Aufgaben in der Softwareentwicklung – er erkennt und behebt Fehler, aktualisiert Codeabschnitte und migriert sie zwischen Plattformen. Gibt man ihm eine einfache Anweisung wie „Bereinige diese Codebasis“, erstellt er einen Aktionsplan und führt ihn aus. Meistens funktioniert das auch.
Es ist ein anderer Ansatz als der von bekannteren und größeren Akteuren in diesem noch wachsenden Bereich wie zum Beispiel Github – das Microsoft 2018 für 7,5 Mrd. US-$ gekauft hat – oder Codeium, das mit 1,3 Mrd. US-$ bewertet wird. Beide bieten digitale Assistenten an, die Menschen mit KI-generierten Vorschlägen beim Schreiben von Code unterstützen. Devin hingegen ist ein autonomer KI-Agent, der theoretisch den Code selbst schreibt – ohne menschliches Zutun.
KI-generierter Code beginnt bereits, die Branche zu verändern. Im Oktober sagte Sundar Pichai, CEO von Google, dass mehr als ein Viertel des neuen Codes des Tech-Giganten von KI geschrieben wird. Bei Github, das 2024 eine jährliche Umsatzrate von zwei Mrd. US-$ erreichte, trug das Codevervollständigungs-Tool laut Microsoft-CEO Satya Nadella im Juli zu 40 % des Umsatzwachstums in dem Jahr bei.
Doch die tatsächlichen Einnahmen beginnen gerade erst zu wachsen: Das Marktforschungsunternehmen IDC erwartet, dass sie bis 2029 vier Mrd. US-$ überschreiten werden. Mehrere KI-Coding-Start-ups haben jährliche Umsätze von über zehn Mio. US-$ erreicht.
Cognition lehnt es ab, Zahlen zu nennen, doch President Russell Kaplan gibt an, dass das Unternehmen Dutzende von Kunden gewonnen hat, mit typischen Jahresverträgen im sechs- bis siebenstelligen Bereich. Die Perspektive ist jedoch so vielversprechend, dass auch Giganten wie Anthropic, Amazon und IBM eigene Coding-Tools auf den Markt gebracht haben, neben Start-ups wie Poolside (bewertet mit drei Mrd. US-$) und Anysphere (400 Mio. US-$ Bewertung).
Da draußen gibt es wirklich viel Angst. Die Leute haben viele Fragen dazu, was in Zeiten passiert, die sich verändern.
Scott Wu
Das sind Bad News für die fünf Millionen Amerikaner, die als Programmierer arbeiten und im Schnitt ein Jahresgehalt von 130.000 US-$ verdienen – und für die 13 Millionen Programmierer in Indien und China. Cognition-Co-Founder Scott Wu betont jedoch, dass massive Arbeitsplatzverluste nicht unmittelbar bevorstehen und dass der Bereich durch das begrenzte Angebot an Fachkräften „gedeckelt“ sei.
Programmierer mögen skeptisch sein, aber Investoren lieben Cognition: Peter Thiels Founders Fund und Khosla Ventures setzen auf Wu und sein 25-köpfiges Team und investierten in einer Series-B-Finanzierungsrunde im April 176 Mio. US-$, wodurch Cognitions Bewertung in nur sechs Monaten nach der Gründung auf zwei Mrd. US-$ stieg. Diese Finanzspritze kam nur drei Monate nachdem das Start-up im Januar eine Series-A-Finanzierung über 21 Mio. US-$ abgeschlossen hatte.
Zu Cognitions Kunden zählen etwa das Ausgabenmanagement-Unternehmen Ramp (Jahresumsatz 2023: 300 Mio. US-$), das Devin einsetzt, um Tests zu schreiben und veralteten Code zu bereinigen, sowie die Datenplattform Mongo DB (mit einem Umsatz von 1,7 Mrd. US-$ im Geschäftsjahr 2024).
Doch im Silicon Valley gibt es viele Unternehmen, die einst einen riesigen Vorsprung vor Amazon und Google hatten – bis sie ihn verloren. Cognitions Unterstützer wetten darauf, dass, wenn jemand die ultimative Coding-Maschine erschaffen kann, es die Weltklasse-Programmierer von Cognition sind, die ihre Fähigkeiten durch zahlreiche Auszeichnungen bewiesen haben. Wu war ein Mathe-Wunderkind mit einem „Legendary Grandmaster“-Ranking (der höchsten Stufe) auf Codeforces, einer Netzwerkseite für Programmierer, die Programmierwettbewerbe veranstaltet. Eric Glyman, Angel-Investor von Cognition und CEO von Ramp, sagt, Wu habe einen der „Top-Five-IQs von allen Menschen, die ich je getroffen habe“.
Dann meldete sich Carl Brown, ein bekannter unabhängiger Entwickler aus Austin, Texas, zu Wort und äußerte seine Bedenken zu Devin. In einem Video mit dem Titel „Debunking Devin“, das über 500.000 Mal angesehen wurde, warf er Cognition vor, die Fähigkeiten seines KI-Tools übertrieben darzustellen. In seinem Test brauchte Devin deutlich länger als ein Mensch für die Aufgabe und machte dabei Fehler.
Erfahrungen wie diese haben einige dazu veranlasst, sich zu fragen, ob Devin nur ein weiteres Beispiel für den KI-Hype ist. Verlangt man von Devin beispielsweise, ein auffälliges Benutzerinterface zu entwerfen, seien die Ergebnisse langweilig, sagt zumindest Krish Manair, ein Ingenieur beim Datenlabeling-Unternehmen Labelbox. Mehrere konkurrierende Gründer sagten Forbes, sie glauben, Cognition habe Devins Fähigkeiten übertrieben dargestellt und suggeriert, dass ein Ingenieur Devin direkt einsetzen könnte, um alles Mögliche zu programmieren. Tatsächlich seien die aktuellen Fähigkeiten viel begrenzter und eher auf vordefinierte Aufgaben wie das Bereinigen von bestehendem Code ausgerichtet.
In einer Live-Demo bat Forbes Devin, eine App zu erstellen, mit der man eine Gitarre stimmen kann. Devin lieferte in etwa zehn Minuten eine App, doch diese konnte die gespielten Töne zur Prüfung nicht korrekt identifizieren. Cognitions Gründer wussten nicht, woran das liegt. „Es gibt immer eine Lücke zwischen dem, was möglich ist, und dem, was zuverlässig funktioniert“, sagt Varun Mohan, CEO des konkurrierenden Coding-Start-ups Codeium.
Wu räumt ein, dass Devin weit davon entfernt ist, perfekt zu sein: „Softwareentwicklung in der realen Welt ist einfach sehr chaotisch“, sagt er in der Zentrale des Founders Fund mit Blick auf die Bucht von San Francisco. „Menschen machen ständig Fehler beim Programmieren.“ Doch Devin habe sich in den sieben Monaten seit dem Start erheblich verbessert, behauptet Wu, teils dank des Feedbacks der ersten Unternehmenskunden, die das Tool als eine sich weiterentwickelnde Unterstützung akzeptieren. „Wir sehen das Tool nicht als etwas Magisches“, sagt Nubank-CTO Vitor Olivier. „Wir sind vorsichtig optimistisch.“ In einigen Fällen, so Olivier, seien Ingenieure mit Zugang zu Devin achtmal schneller bei ihrer Arbeit gewesen.
Kaplan merkt jedoch an, dass das Tool am besten funktioniert, wenn mehrere Devins gleichzeitig an verschiedenen Projekten arbeiten – wie eine „Armee von Junior-Ingenieuren.“ Das ist eine Formulierung, die vermutlich einigen Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Programmieren verdienen, Unbehagen bereitet. Wu sagt, dass ein Teil der Negativität gegenüber Cognition aus der Sorge herrühre, dass KI Softwareentwickler-Jobs gefährden könnte. Doch Devin könne es Unternehmen ermöglichen, mehr Projekte zu verfolgen, argumentiert er, und Menschen für die sinnvolleren Aufgaben einzusetzen.
„Da draußen gibt es wirklich viel Angst“, sagt er. „Die Leute haben viele Fragen dazu, was in Zeiten passiert, die sich verändern.“
Text: Rashi Shrivastava, Richard Nieva
Foto: Cody Pickens für Forbes