CLEARSPACE: SAUBERMANN

Im Zuge der „New Space“-Bewegung arbeitet ein Start-up nach dem anderen an neuen Raumfahrttechnologien zur Eroberung des Alls. Luc Piguet hat jedoch anderes im Sinn: Mit Clearspace will er im Orbit aufräumen.

Es sind derzeit nicht öffentliche Behörden wie die US-Weltraumagentur Nasa, die European Space Agency (ESA) oder Roskosmos (Weltraumorganisation der Russischen Föderation), die die Entwicklung und Eroberung des Weltraums maßgeblich vorantreiben. Vielmehr sind die ­Innovatoren meist bekannte Unternehmer, da­runter Tesla-Gründer Elon Musk mit Space X, Richard Branson mit Virgin Galactic oder Amazon-Chef Jeff Bezos mit Blue Origin. Neben den Giganten spielen aber auch europäische Start-ups eine Rolle: etwa die in München ansässige Ororatech, welche per Infrarotaufnahmen ihrer Satelliten Waldbrände frühzeitig entdecken kann, das deutsche Food-Start-up Bake in Space, das sich der Produktion von frischen Mahlzeiten im Weltall widmet, oder die spanische PLD Space, welche kleine Raketen für Nutzlasten entwickelt. Mittendrin befindet sich auch das Schweizer Start-up Clearspace.

Anders als andere Unternehmen in dem ­Bereich entwickelt Clearspace jedoch keine Satelliten, Raketen oder andere Technologien, um das All zu besiedeln oder von dort aus Daten der Erde zu messen – ganz im Gegenteil. ­Clearspace möchte im All aufräumen, denn im Orbit findet sich allerhand Schrott, der von den Überresten und Trümmern kaputter, längst inaktiver Satelliten stammt. Dieses Vorhaben wird nun durch eine erste Mission zur Beseitigung von Weltraumschrott, vergeben von der ESA, Realität: Unter dem Namen Clearspace-1 sollen 2025 von dem Start-up Trümmer und Schrott im Orbit eingesammelt und in die Atmosphäre gebracht werden, wo diese verglühen. Konkret handelt es sich dabei um die ­obere Stufe der Trägerrakete Vega aus dem Jahr 2013. Zur Erklärung: Eine Stufenrakete besteht aus mehreren Stufen, die als Treibstoffvorrat und ­Raketentriebwerk fungieren und nach und nach von der Trägerrakete abgeworfen werden. Der monetäre Umfang der Mission beträgt rund 100 Millionen €. Kein kostengünstiges Unter­fangen, doch geht es nach Clearspace-CEO Luc Piguet, ist das erst der Anfang: „Die Mission ist mehr eine Vorführung davon, dass unsere Technologie wirklich funktioniert. Unser Ziel ist es, einen kommerziellen Service zu annehmbaren Kosten anzubieten.“ Um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, arbeiten Piguet und sein Team von mittlerweile zehn Mitarbeitern seit Jahren am eigenen Projekt.

Luc Piguet
... absolvierte seinen Master in Mikroelektronik an der EPFL in Lausanne und nahm am Stanford Executive Program for Business teil. 2018 gründete er das Unternehmen Clearspace, welches den Weltraum von Trümmern und Schrott reinigen möchte. Zusammen mit der European Space Agency wird 2025 die erste Mission umgesetzt.

Seinen Anfang nahm alles 2009 im Rahmen eines Universitätsprojekts, bei dem Studenten aus sieben Universitäten den ersten in der Schweiz gebauten Satelliten, Swiss Cube, ins Weltall schickten. Im selben Jahr kollidierte rund 800 Kilometer über Sibirien der russische Satellit Kosmos-2251 mit dem amerikanischen Iridium-33 – die erste Kollision von zwei Satelliten im Orbit. Aus dem Zwischenfall entstand dann die Idee, das Weltall von Trümmern zu ­säubern, um die Kollisionsgefahr zu reduzieren. „Wir haben jahrelang an unserer Idee gearbeitet, jeder fand sie großartig, aber niemand wollte investieren. Über die Jahre sanken jedoch die Herstellungskosten, neue Technologien ermöglichten bessere Lösungen. Endlich konnte man Geschäftsmodelle entwickeln, die wirklich Sinn machten“, so Piguet. 2018 wurde ­Clearspace schließlich gegründet – als Spin-off der Polytechnischen Universität in Lausanne (EPFL).

Kollisionsrisiko mit Weltraumschrott wächst

Man könnte zunächst annehmen, dass vereinzelt im All schwebende Objekte nicht von großer Bedeutung sind. Mittlerweile befinden sich jedoch über 130 Millionen Objekte im Weltraum, wovon 34.000 Objekte zwischen zehn Zentimetern und einem Meter groß ist – nur 2.000 davon sind aktive Satelliten. Der Rest ist sozusagen Weltraumschrott. Die Gefahr, die von den zahlreichen Trümmerteilen ausgeht, wird durch das Kessler-Syndrom beschrieben: 1978 erstmals vom damaligen Nasa-Chef Donald J. Kessler vorgestellt, besagt es, dass durch jede Kollision Trümmer entstehen, die wiederum mit anderen Trümmern zusammenstoßen und dadurch erneut in Tausende von kleinen Trümmerteilen zersplittern können – wodurch die Wahrscheinlichkeit neuer Kollisionen wiederum erhöht wird. Es könnte also ein Kaskadeneffekt entstehen, bei dem die Anzahl von Schrottteilen exponentiell wächst.

Das Resultat so einer Entwicklung: Ab einem bestimmten Zeitpunkt wären Missionen im Weltraum undenkbar, das Kollisionsrisiko wäre schlicht zu hoch. Bevor dieser Worst Case eintritt, möchte ­Piguet eingreifen. Seine größte Herausforderung ist aber nicht die Vielzahl der Objekte im All, sondern deren Geschwindigkeit: „Die Trümmer bewegen sich im Weltraum mit 28.000 km/h. Selbst ein sehr kleines Objekt hat so bei einer Kollision die Auswirkung einer Handgranate“, so Piguet. Die Lösung: ein kasten­artiges System mit ausklappbaren Segeln, das mit Greifarmen das Zielobjekt umfasst und es in die Atmosphäre führt, wo sowohl die greifende Technologie als auch das gegriffene Objekt verglühen. Dass dieser Mechanismus kein Dauerzustand sein kann, ist Piguet bewusst: „Das Ziel ist es, dass wir mit unserer Technologie mehrere Objekte auf einmal entfernen können.“

Im Weltraum bewegen sich die Trümmer mit 28.000 km/h. Selbst ein sehr kleines Objekt hat bei einer Kollision die Auswirkung einer Handgranate.

Blütezeit für Weltraumforschung und Raumfahrtindustrie

Piguet war nicht von klein auf an der Raumfahrt und Weltraumtechnologien interessiert. Er war zunächst bei Intelcom Express als Projektmanager tätig und ging später zu Sicpa, einem Anbieter von Sicherheitsdruckfarben und Sicherheitslösungen für die Herstellung von Banknoten und weiteren Sicherheits- und Wertdokumenten. Im Zuge der Entwicklungen der letzten Jahre fand er aber mehr Gefallen an seinem jetzigen Metier: „Die Weltraumindustrie entwickelt sich sehr schnell. Ähnlich wie bei der Entwicklung des Computers Ende des 20. Jahrhunderts kommen wir jetzt in eine Zeit, in der dasselbe mit der Raumfahrt passiert. Als Ingenieur muss man einfach in der Branche tätig sein“, so Piguet.

Dass sich in dem Sektor tatsächlich viel tut, zeigen die Zahlen: Im Zeitraum von 2013 bis 2017 wurden laut Statista 67 Milliarden US-$ an Investitionen in die Weltraumforschung getätigt, für den Zeitraum 2023 bis 2027 soll die Zahl auf 97 Milliarden US-$ steigen. Ähnlich dynamisch ist das Umsatzwachstum der globalen Raumfahrtindustrie: Lagen die ­Erlöse 2009 bei knapp 217 Milliarden US-$, waren es 2018 bereits 414,7 Milliarden US-$. Alleine in Deutschland liegt der Umsatz laut der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie bei einem Allzeithoch von 40 Milliarden €, auch die Beschäftigtenzahl erreichte mit 109.500 Personen einen neuen Höchststand.

Und auch Clearspace hat alle Hände voll damit zu tun, sich auf die „Mission 2025“ vor­zubereiten. Laut Piguet soll die Mitarbeiterzahl 2020 mehr als verdoppelt werden, zudem soll bereits Ende März ein sogenanntes „Industrieteam“ zusammengestellt sein, welches aus Mitgliedern europäischer Unternehmen besteht und Clearspace in der Entwicklung und Beratung seiner Technologie zur Seite steht. Konkrete Unternehmen nennt der CEO jedoch (noch) keine.

 

Hohe Geschwindigkeit, hoch oben
(Quelle: ESA, Clearspace)

Unternehmen bzw. Staat haften für Weltraumschrott, der Schäden verursacht

Bis 2025 scheint sich für ­Clearspace der Weg deutlich abzuzeichnen, das Projekt ist durch die Aufträge der ESA gesichert. Doch wird sich die Idee langfristig rentieren? Piguet ist davon überzeugt. Er verweist auf die Space Liability Convention der Vereinten Nationen von 1972: Demnach ist ein Staat, aus dem Objekte in den Weltraum gestartet werden, schadensersatzpflichtig für etwaige durch diese Weltraumobjekte verursachte Schäden auf der Erdoberfläche oder an Flugzeugen.

„Wenn ein Unternehmen von einem Staat die Erlaubnis hat, einen Satelliten in den Orbit zu starten, und dieser Schaden verursacht, haftet das Unternehmen – wenn es jedoch bankrott ist, haftet der Staat, in dem die Erlaubnis erteilt wurde“, so Piguet. So oder so: Um das Risiko von Haftungen durch Kollisionen für Unternehmen oder Staaten zu reduzieren, möchte ­Clearspace seine Technologie als Dienstleistung anbieten und somit quasi als „Weltall-Reinigungsfirma“ arbeiten.

Inwiefern Clearspace die Kosten für die Missionen in Zukunft reduzieren und somit sein Zahlungsmodell für kommerzielle Kunden attraktiv gestalten kann, bleibt derzeit noch offen. Das Unternehmen macht dazu keine Angaben. Dass es jedoch kein leichtes Unterfangen wird, dessen ist Piguet sich bewusst. „Es ist eine Herausforderung und erfordert eine Menge Arbeit. Aber ich sehe eine Lösung des Problems und bin optimistisch – eben das typische Leben eines Unternehmers.“

Text: Andrea Gläsemann
Fotos: Anoush Abrar

Der Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2020 „Space“ erschienen.

Andrea Gläsemann,
Leitende Redakteurin

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