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Seit 2014 steht die Italienerin Anna Lisa Boni an der Spitze des Europäischen Städtenetzwerks Eurocities. Die Herausforderungen in Städten, sagt sie, sollten auf EU-Ebene an allererster Stelle stehen.
Ein „Europa der Städte“: So lautete Anna Lisa Bonis Vision, als sie im Juni 2014 – pünktlich zur neuen EU-Legislaturperiode – Generalsekretärin des Städtenetzwerks Eurocities wurde. Und die belesene Frau mit den feinen Gesichtszügen weiß, wovon sie spricht. Mit mehr als 25 Jahren Erfahrung in Fragen der öffentlichen Verwaltung, auf regionaler aber auch auf EU-Ebene, ist ihre Expertise mehr als gefragt. So war Boni zuvor Direktorin des Brüsseler Büros der französischen Region Provence-Alpes-Cote d’Azur, welches die Interessen der Region in der EU kommuniziert. Außerdem arbeitete Boni fünf Jahre im EU-Parlament, wo sie die urbane Agenda der Europäischen Union entscheidend mitgeprägt hat. Zudem war Boni in ihrer Heimat Italien, in der norditalienischen Stadt Bologna, im Bereich der Stadtentwicklung tätig. „Als Generalsekretärin von Eurocities kann ich mein gesamtes bisheriges Wissen und meine Erfahrungen bestens einsetzen, um das Netzwerk auf das nächste Level zu heben“, sagt Boni. Für sie habe sich mit diesem Job der Kreis ihrer verschiedenen Stationen perfekt geschlossen. Aber: wie funktioniert Eurocities eigentlich?
Großes Städtenetzwerk
Das Städtenetzwerk vereint 140 Mitgliedsstädte, mehr als 40 Partnerstädte und mehr als 20 Projekte, die in ganz Europa verteilt sind. Damit treibt Eurocities Themen wie nachhaltige urbane Mobilität, Energieeffizienz, soziale Inklusion, Integration von Migranten, Smarte Städte und Abfallwirtschaft voran. Das Städtenetzwerk wurde 1986 von den Bürgermeistern der Städte Barcelona, Birmingham, Frankfurt, Lyon, Milan und Rotterdam gegründet. Diese Städte waren bereits zuvor lose miteinander durch einzelne Städtepartnerschaften verbunden. Bei einer Konferenz zum Thema Städte und wirtschaftliches Wachstum in Rotterdam im Jahr 1986 beschlossen die Städte dann den Aufbau eines professionellen und EU-weiten Netzwerks zum Informationsaustausch und zur besseren Koordination ihrer kommunalen Interessen.
Am laufenden Band werden seitdem Projekte entwickelt, die Städten helfen sollen, nachhaltiger und „smarter“ zu werden und so auch Geld zu sparen. Ab 250.000 Einwohnern können Städte zu Mitgliedsstädten werden. Dazu müssen sie sich jedoch bewerben. Städte mit weniger Einwohnern können als Partnerstädte mitwirken, sind aber in die Projekte weniger stark eingebunden. Unternehmen und Investoren agieren im Netzwerk als Geldgeber und Partner. Insgesamt repräsentiert Eurocities mehr als 130 Millionen Menschen. Der Vorteil des Netzwerks: Städte können untereinander viel schneller ihr Know-how teilen, von einander lernen und sich auf EU-Ebene politisch gegenseitig unterstützen. „Unser Hauptbüro in Brüssel ist vor allem politisch beratend tätig“, sagt Boni, „wir koordinieren aber auch Projekte und managen die Kommunikation zwischen den Städten und EU-Vertretern“. Der Nachteil eines so großen Netzwerks: Für Außenstehende ist es kaum möglich, Abseits von Diplomatensprech sehr genaue Informationen über Investitionen und konkrete Umsetzungen in den einzelnen Städten zu finden. Dies ist zum Teil wohl der Größe als auch der Sprachenvielfalt und dem breiten Spektrum an Themen geschuldet.
Projekt „Sharing Cities“
Natürlich spielen externe Partner eine wichtige Rolle. Das Projekt „Sharing Cities“ beispielsweise wird mit den Städten London, Lissabon, Milano, Bordeaux, Burgas und Warschau gemeinsam abgewickelt. „Eine Schlüsselrolle bei dem Projekt kommt aber privaten Firmen zu, mit denen wir zusammenarbeiten, um Investments in Städteprojekte im Bereich Mobilität und Energie aufzustellen“, sagt Boni. So wurden in der bulgarischen Stadt Burgas mit Hilfe des Projekts 2.000 Glühbirnen durch 2.000 LED-Leuchten ersetzt, ein Dutzend smarter Laternenmaste aufgestellt und das historische Stadtzentrum wird derzeit mit einem smarten Abfallwirtschaftssystem ausgestattet – samt Containern, die sich unter der Erde befinden. Außerdem können Stadtbewohner ihre elektronischen Geräte mitten im historischen Zentrum aufladen und auch das Informations-Angebot wurde erweitert.
In Bordeaux wurden Umweltzonen im Stadtzentrum eingeführt, in Warschau Carsharing-Systeme effizienter gemacht, die bald mit Elektrofahrzeugen ausgestattet werden. Es sind diese vielen – wenngleich auch oftmals kleinen – Schritte, die das Netzwerk Eurocities ausmachen. Dabei gliedern sich die Projekte von Eurocities in acht Themenbereiche: Kultur, Umwelt, Wissensaustausch, Wirtschaft, Mobilität, Social Affairs, Urban Governance und Kooperation.
„Als ich mit der Arbeit bei Eurocities begonnen hatte, konnten wir mit der beginnenden europäischen Legislaturperiode die Interessen der Städte nach vorne treiben“, sagt Boni. Nur zwei Jahre später, 2016, kam der Durchbruch. Mit dem „Pakt von Amsterdam“ wurde europaweit ein Katalog von Themen gesetzt und die enge Partnerschaft von EU-Städten eingeführt. So sollten in Zukunft Städte gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission über ihre kommunalen Interessen entscheiden. Städten wurde mit diesem Pakt nicht zuletzt auch der Zugang zu EU-Fördergeldern vereinfacht.
Erste Bilanz von Eurocities
Heute, fünf Jahre nach Bonis Eintritt in das Städtenetzwerk, zieht die Generalsekretärin eine erste Bilanz. „Wir haben neue Herausforderungen, da sich auch die politische Landschaft im EU-Parlament mit den diesjährigen Wahlen verändern wird und wir müssen uns vor allem darauf konzentrieren, mit künftigen Mitgliedern des EU-Parlaments und den EU-Vertretern in einen intensiven Dialog zu treten“, sagt Boni, „wir wollen gemeinsam mit ihnen ein Europa der Städte entwickeln“.
Für Boni sind Städte längst nicht nur wirtschaftliche, sondern auch wichtige politische Faktoren. „Städte sind essenziell für das Überleben Europas, weil hier die europäischen Werte wie Solidarität, Offenheit und Demokratie gelebt werden. Und in unserer Arbeit schaffen wir ein Gegengewicht zu den populistischen Bewegungen“, sagt Boni entschlossen.
Die Entwicklung smarter Städte ist dabei genauso wichtig, wie das kulturelle Zusammenleben in ihnen. „Smarte Städte richten sich in unseren Augen nach dem Wohl der Bewohner und sollten ihr Leben besser machen“, sagt Boni. Außerdem fördern smarte Städte gleichzeitig auch klimafreundlichere Lösungen, beispielsweise durch die Senkung des Energieverbrauchs oder durch Sharing-Systeme mit Elektrofahrzeugen. Günstiges Wohnen und die nachhaltige Transformation gehören aber ebenso zur Stadtentwicklung. So treibt beispielsweise das Eurocities-Project „Rock“ die Umwandlung historischer Stadtzentren in kreative und nachhaltige Wohngebiete voran, die auch der Wirtschaft dienen sollen.
Doch es gibt nach wie vor Herausforderungen: „Viele Städte haben das Problem, dass ihnen Kapital fehlt, um mit den Projekte zu beginnen“, sagt Boni, „und hier liefern wir Informationen und bringen die Menschen zusammen“. Investoren können zwar grundsätzlich helfen, dennoch sind viele Geschäftsmodelle noch zu einseitig, erklärt Boni.
Eurocities in Zukunft
Und hier möchte die umtriebige Generalsekretärin mit Geschäftssinn auch in Zukunft ansetzen. „Wir möchten uns dieses Jahr darauf fokussieren, strategische Partnerschaften zwischen Städten und EU-Institutionen auszubauen, im Hinblick auf die kommende fünfjährige Legislaturperiode“, sagt die Generalsekretärin. Außerdem stehe von 20. bis 21. März der zweite „Mayors Summit“ in Brüssel bevor, der ebenso einen Austausch unter den Bürgermeistern schaffen soll. Boni möchte jedenfalls das Thema Urbanität als oberste Priorität innerhalb der EU weiter vorantreiben. „Da heute mehr als 75 Prozent der europäischen Bevölkerung in Städten leben, sollte es eines der wichtigsten Anliegen der EU sein, das Leben und die urbanen Herausforderungen in den Städten zu verstehen“, sagt Boni. Und die Italienerin wird in Zukunft wohl genau dafür sorgen, dass genau dies auch passiert.
Text: Manuela Tomic
Fotos: Eurocities
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