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Zwischen Zürich und Zug sammelten sich in den letzten Jahren zahlreiche Unternehmen aus der Blockchain- und Kryptowährungsszene an. Dafür ist nicht nur ein rechtlicher Präzedenzfall verantwortlich, sondern auch Steuervorteile und ein wachsendes Netzwerk – sowie die Schweizer Behörden.
Gubelstrasse 11, 6300 Zug, Schweiz. Man hätte sich die Adresse eines der wichtigsten Blockchain-Hubs in Europa doch etwas mondäner vorgestellt. Und dennoch finden sich speziell an dieser Straße, aber auch in der unmittelbaren Umgebung zahlreiche Unternehmen, Organisationen und Vereine, die mithilfe der Blockchain-Technologie einzelne Branchen – oder die ganze Welt – verändern wollen.
Über die Sielva Management SA, die sich um die Domizilierung und das Unternehmensmanagement für ausländische Firmen in Zug kümmert, sitzen zahlreiche ausländische Unternehmen in Zug und arbeiten an der Weiterentwicklung von Blockchain. Vor allem Stiftungen, deren Zweck die Weiterentwicklung der Technologie in verschiedenster Art und Weise ist, sind an der Gubelstrasse zu Hause. Doch nicht nur hier, sondern in der ganzen Stadt Zug, dem Nachbarort Baar und überhaupt in diesem Tal, das sich bis Zürich erstreckt, zeigt sich eine regelrechte Siedlungswut von Blockchain- und Krypto-Unternehmen.
Begonnen hat das alles rund 20 Gehminuten von der Gubelstrasse entfernt – mit Ethereum. Der Name, der sowohl für eine Stiftung als auch ein Blockchain-Protokoll steht, geht auf den russischen Entwickler Vitalik Buterin zurück, der das Konzept 2013 kreierte. Buterin wollte mit Ethereum die durch die Kryptowährung Bitcoin entstandene Blockchain-Technologie weiterentwickeln. Denn Bitcoin ermöglichte zwar die reibungslose Übertragung von Geld quer über den ganzen Kontinent und ganz ohne Mittelsmann, doch das war dem Russen nicht genug: Er wollte (und will auch heute noch) mithilfe von intelligenten Verträgen, auch Smart Contracts genannt, den nächsten Schritt in einer dezentralen, digitalen Sicherung von Eigentumsverhältnissen machen.
Denn mithilfe von Smart Contracts, die ihrerseits auf der Ethereum-Blockchain laufen, kann digitales Eigentum jeder Art zwischen zwei Parteien übertragen werden. Das Revolutionäre ist aber, dass an diese Transaktion Bedingungen geknüpft sein können – also das, was die Rechtsprechung heute als Vertragsklausel versteht. Ethereum soll eine dezentrale Plattform für Distributed Apps sein, die alle möglichen Spielformen dieser Smart Contracts ermöglicht. Buterins Idee wurde 2014 vom Briten Gavin Wood formalisiert. Im selben Jahr wurde die Ethereum Foundation in Zug gegründet.
Damals zeichnete die – übrigens ebenfalls in der Gubelstrasse 11 ansässige – Rechtsanwaltskanzlei MME für die Kreation einer passenden Stiftungsstruktur verantwortlich. Kurz darauf plante das Ethereum-Team – neben Buterin und Wood gab es noch sechs weitere Mitgründer –, Geld einzunehmen. Dies sollte aber nicht über klassische Venture-Capital-Investoren oder reguläres Crowdfunding passieren, sondern über ein sogenanntes ICO (Initial Coin Offering). Dabei wird eine Kryptowährung (Tokens) über ein Blockchain-Protokoll angeboten. Investieren können Menschen, die an dem Projekt interessiert sind und einen potenziellen Gewinn sehen. Das Team behält einen Teil der neuen Kryptowährung, in diesem Fall Ether, selbst und „verkauft“ den Rest an ebendiese Investoren.
Für die Durchführung dieses ICO wandten sich Buterin und Co. erneut an die Kanzlei MME. Für Andreas Glarner, Luka Müller und Thomas Linder waren die rechtlichen Fragen, die sich angesichts dieses ICO stellten, völlig neu. Müller: „Wir begleiteten 2014 den ersten Token-Presale in der Schweiz. Doch wir wussten damals überhaupt nicht, was ein Token rechtlich ist, wie man einen solchen Sale gestalten kann oder welche Risiken ein solches Unterfangen birgt.“ Die Kanzlei fing – gemeinsam mit den Schweizer Aufsichts- und Steuerbehörden – an, einen Präzedenzfall zu schaffen. „In diesem Prozess konnten wir alle, die Behörden und unsere Kanzlei, ein gigantisches Know-how lukrieren.“ Ethereums ICO war ein Erfolg: Das Team nahm umgerechnet 18 Millionen US-$ (oder 0,40 US-$ pro Ether-Einheit) ein. Es war aber vor allem der anschließende Wertanstieg, der den Investoren und dem Team einen wahren Geldregen brachte. Heute ist eine Ether-Einheit nämlich 14 US-$ wert. Das ist ein Anstieg um 3.400 Prozent in nicht einmal drei Jahren.
Ab diesem Zeitpunkt war die Ansiedlung in der schon bald als „Crypto Valley“ bekannten Region für Unternehmen, die ein ICO durchführen wollten, eine logische Entscheidung. Denn durch Ethereum hatten die Behörden gegenüber ihren internationalen Pendants einen enormen Wissensvorsprung, und auch rechtliche Expertise war vorhanden. Mitte 2016 sorgte die Stadt Zug dann erneut für Aufsehen, als verkündet wurde, dass probeweise Bitcoin für die Zahlung öffentlicher Dienstleistungen akzeptiert werden. Bis zu 200 Franken können Bürger mittlerweile direkt am Schalter der Einwohnerkontrolle mit der Kryptowährung bezahlen. Die Beratungsphase, bevor die Stadt das Experiment wagte, dauerte lediglich eine Woche. Thomas Linder von MME lobt die Behörden im Kanton Zug: „Es gibt hier ein gemeinsames Verständnis, auch bei den Behörden. Es wird nicht immer nur das Risiko solcher Entwicklungen gesehen.“
Ob die hohen Erwartungen, die bei der öffentlichen Debatte bezüglich Blockchain-Technologien zu sehen sind, wirklich erfüllt werden können, ist zweifelhaft. Der Hype ist riesig, die Anwendungsgebiete scheinbar unendlich und das Blockchain zugeschriebene Potenzial kennt keine Grenzen. Das vor allem auch, da die Technologie bis vor Kurzem lediglich mit der Finanzindustrie in Verbindung gebracht wurde. Doch seit einiger Zeit – und auch aufgrund des Erfolgs von Ethereum – gibt es kaum eine Branche, in der nicht ein Start-up Blockchain anwenden will, um alles effizienter, transparenter, besser zu machen. Die Energy Web Foundation arbeitet an einem „Android für den Energiemarkt“; die Interchain Foundation will über das Cosmos Network ein Netzwerk von Distributed Ledgers (digitalen Kontobüchern) aufbauen – kurz als „Internet of Blockchains“ beschrieben; das Start-up Akasha will Blockchain für Social Media umbauen, Melonport plant, das Asset Management zu revolutionieren, und das als „dezentralisiertes Netflix“ bezeichnete SingularDTV will die Unterhaltungsbranche auf den Kopf stellen.
Der Wegfall von Mittelsmännern durch die direkte Verbindung zwischen Netzwerkteilnehmern soll dabei vor allem Ineffizienzen beseitigen und so massive Kostenreduktionen ermöglichen. So beziffert das Beratungsunternehmen McKinsey das Einsparungspotenzial für einige ausgewählte Branchen – darunter etwa Trade Finance oder Supply Chain Management – mit 110 Milliarden €. Kosteneinsparungen sind mit Sicherheit auch einer der Gründe, warum sich auch Großkonzerne mit dem Thema beschäftigen. So sind etwa der Informationsdienstleister Thompson Reuters und der Beratungsriese PwC in der Interessengemeinschaft „Crypto Valley Association“ vertreten.
Präsident der Vereinigung ist seit Kurzem Oliver Bussmann, der aus erster Hand weiß, wie wichtig Blockchain für große Unternehmen sein könnte: „Wir hatten bei der UBS 2014 ein Meeting mit Richard Olsen (Gründer des kanadischen Währungsumrechners Oanda und des Schweizer Fintechs Lykke, Anm.). Er behauptete, er könne das gesamte FX Trading, inklusive Abwicklung, der UBS mithilfe der Blockchain in Echtzeit abwickeln. Der Prozess dauert heute üblicherweise zwei bis drei Tage. Wir machten daraufhin eine Feasibility-Studie und merkten, dass das wirklich deutlich vereinfacht werden konnte. Da war mir klar, dass wir in diese Technologie investieren müssen.“
Bussmann war drei Jahre lang bei der UBS und hatte als IT- und Innovationsverantwortlicher auch Blockchain in seinem Aufgabenbereich. Und der Manager war äußerst aktiv: Er gründete ein UBS Innovation Lab im renommierten Fintech-Inkubator Level39 in London, veranstaltete Pressetermine zum Thema Blockchain und war auf Social Media äußerst aktiv. So hat Bussmann etwa mehr Follower als UBS-CEO Sergio Ermotti. 2016 verließ der als „Mister Blockchain“ bekannt gewordene Manager die Großbank jedoch relativ abrupt. Gerüchteweise gab es internen Zwist, angeblich war der Rummel um Bussmann einigen UBS-Kollegen zu viel. Bestätigt wurden diese Gerüchte nie. Bussmann ließ sich jedoch nicht lange bitten und eröffnete ein eigenes Beratungsunternehmen, in dem er Unternehmen vor allem auch zu Blockchain-Projekten berät. Zudem setzt er sich in seiner Rolle als Präsident der Crypto Valley Association eben für die Standortförderung der Region ein: „Die Vereinigung hat über 44 Organisationen an Bord, unter ihnen sind auch einige Großkonzerne. Wir wollen ein Ökosystem aufbauen, arbeiten zu diesem Zweck mit der Politik zusammen – etwa bei Gesetzesentwürfen. Zudem gibt es eine enge Kooperation mit den hier ansässigen Hochschulen.“
Immer wieder wird von allen Seiten betont, dass die Blockchain-Aktivisten nicht wegen der Steuervorteile in Zug seien. Zach LeBeau, der CEO von SingularDTV, sagt auf die Frage etwa, sein Unternehmen hätte „an anderen Orten wahrscheinlich bessere Steuerdeals bekommen können“. Zumindest geschadet haben die unternehmensfreundlichen Regeln dem Standort jedoch sicher nicht. Denn Domizilgesellschaften – einige von ihnen finden sich in der Gubelstrasse – dürfen beispielsweise in der Schweiz zwar kein Büro mieten oder Personal anstellen. Doch die Schweizer Einkünfte werden dafür mit einem sehr niedrigen Satz, das im Ausland verdiente Geld sowie Kapitalgewinne (etwa Dividenden) gar nicht besteuert. Meist bezeichnet man solche Konstrukte als „Briefkastenfirma“, obwohl ein Generalverdacht gegen die Blockchain-Szene fehl am Platz wäre. Überhaupt arbeiten die Schweizer Behörden intensiv an der Abschaffung solcher Strukturen, die kürzlich abgelehnte Unternehmensteuerreform hätte genau das bewirkt. An einem neuen Anlauf wird derzeit gebastelt.
Die in der Szene Aktiven sehen aber sowieso vor allem das entstehende Netzwerk sowie die vorhandene Expertise als Anziehungsfaktor. Auch Bussmann teilt diese Meinung: „Wir haben viele Anfragen von Start-ups, die sich hier ansiedeln möchten. Und die kommen nicht wegen der Steuern, sondern wegen des Mix an Menschen und Unternehmen. Die Schweiz ist einfach extrem ,pro business‘.“ Die Qualität des Umfelds könnten auch andere Regionen beweisen, die bei ähnlichen Experimenten gescheitert sind. Bussmann: „Das hört sich alles einfach an, doch da steckt viel Arbeit dahinter. Die Initiierung eines solchen Ökosystems ist extrem schwierig.“ Das sagt der Experte auch deswegen, da derzeit zahlreiche Anfragen aus dem Ausland auf Bussmanns Schreibtisch landen. So fragte der Präsident der Österreichischen Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, bei Bussmann wegen eines Besuchs an. Und auch aus Deutschland gibt es solche Anfragen. Spätestens wenn öffentliche Stellen in Österreich und Deutschland auf ein Thema aufmerksam werden, lässt sich getrost von einem Hype sprechen. Und auch Bussmann sieht den Durchbruch noch nicht morgen kommen: „Im Finance-Bereich erwarte ich die First Mover 2017, der Rest wird eher erst 2019 oder 2020 folgen.“ Laut IBM werden bis 2018 nur rund 15 Prozent der Banken Blockchain-Lösungen implementieren.
Der Durchbruch, dass Blockchain Mainstream wird, sei erst 2023 oder 2024 zu erwarten. Doch Bussmann denkt sowieso, dass die Finanzindustrie nicht die erste Branche sein wird, wo Blockchain Mainstream wird: „Da sehe ich eher das Supply Chain Management, Trade Finance, E-Government oder Healthcare betroffen.“
Wozu Blockchain-Technologien noch fähig sein werden, muss sich erst zeigen. Dass Zug sich als eines der Zentren der Entwicklung etabliert hat, hat vor allem auch mit der Geschwindigkeit und Offenheit der zuständigen Behörden zu tun. Denn das Entstehen ähnlicher Cluster in Europa, die auch den Rückstand des Kontinents in Sachen Technologieführerschaft gegenüber den USA und Asien schließen könnten, wird vor allem auch von den nationalen Aufsichts- und Regulierungsbehörden abhängen. Ob Deutschland, Österreich, Italien und Resteuropa (Ausnahmeschüler wie Estland mal ausgenommen) schnell genug an dieser äußerst festgezogenen Stellschraube drehen können, scheint aus heutiger Sicht aber fraglich. Vielleicht könnte ein Besuch in Zug ja helfen, die Augen der Kollegen zu öffnen.
Fotos: MME Legal, Bussmann Advisory