BEWAFFNETE ENGEL

Massenproduktion, unmenschliche Arbeitsbedingungen und Millionen Tonnen an Müll jährlich – die Textilindustrie gerät immer mehr in Verruf. Nun schießen zahlreiche Unternehmen aus dem Boden, die den Spieß umdrehen möchten. Noch vor diesem Hype gründete Martin Höfeler das nachhaltige Modelabel Armed Angels und beweist, dass Nachhaltigkeit und Unternehmertum einander nicht ausschließen. 2021 wurden 60 Mio. € umgesetzt.

„3,99 €“ steht auf dem Preisschild in der Frauenabteilung bei H&M. Rundherum stapeln sich Berge an weißen T-Shirts, die von jungen Mädchen hektisch durchwühlt werden. Es ist Samstagnachmittag und damit Primetime auf der Wiener Mariahilfer Straße – wer in diesem Geschäft nichts gefunden hat, findet in einem Radius von 500 Metern noch 15 weitere Anbieter, die zu ähnlichen Preisen Bekleidung verkaufen.

150 Milliarden Kleidungs­stücke werden laut dem Apparel ­Industry Overproduction Report 2018 jährlich produziert – das sind 20 Stück pro Jahr für jeden Menschen auf der Welt. 30 % davon ­sehen laut dem Bericht aber nie ­einen Konsumenten, denn sie werden gar nicht verkauft. ­Damit gehört die Modebranche zu den verschwenderischsten der Wirtschaftswelt. So ist die Tex­til­industrie Verursacherin von 10 % der jähr­lichen CO2-Emissionen (mehr, als internationale Flüge und die Seeschifffahrt zusammen verursachen) und sorgt für 92 Millionen Tonnen Abfall jährlich. Die Fashionindustrie nimmt laut Fridays for Future somit nach der Ölbranche den zweiten Platz der klimaschädlichsten Industrien ein.

Bereits vor 15 Jahren hat sich die kritische Entwicklung dieses Wirtschaftszweigs abgezeichnet, wenn auch noch nicht in diesem Ausmaß – das erkannte auch Martin Höfeler, CEO und Gründer von Armed Angels. Noch bevor das Bewusstsein rund um das Thema Nachhaltigkeit im Mainstream ankam, gründete er 2007 gemeinsam mit Anton Jurina das nachhaltige Modeunternehmen Armed Angels. Heute gehört das Unternehmen zu den größten Playern im Bereich nachhaltige Kleidung im deutschsprachigen Raum. Armed Angels verkauft seine Kleidung hauptsächlich über die eigene Website, ist aber auch bei Retailern wie Peek & Cloppenburg, Breuninger oder Kastner & Öhler zu finden – sowie auch in Onlinekaufhäusern wie ­Zalando und About You. Inmitten der Corona­pandemie ­steigerte Armed Angels seinen Umsatz von 2020 bis 2021 um 50 % und konnte so vergangenes Jahr 60 Mio. € erwirtschaften. Das Geschäfts­modell ist dabei einfach erklärt: nach­haltige Mode, die gut aussieht und auch leistbar ist (T-Shirts kosten zwischen 29,90 bis 49,90 €).

Die damaligen BWL-Studenten Höfeler und Jurina wollten unbedingt ein Unternehmen mit „Impact“ gründen. Schon im Alter von 14 Jahren war Höfeler klar, Unternehmer werden zu wollen. „Studiert habe ich eigentlich nur, um meinen Eltern zu ver­sichern, dass ich nicht völlig neben der Spur lande“, so der CEO. Zu beweisen, dass man auch durch Unternehmertum etwas Positives für die Gesellschaft schaffen kann, sei immer sein Antrieb gewesen, erzählt er. „Ich ­wollte nie abhängig von der Phil­anthropie anderer sein.“ Deshalb sei er nicht in eine NGO gegangen, sondern habe selbst ein nachhaltiges Unter­nehmen gegründet.

Nachhaltigkeit – ein Wort, das mittlerweile mehr zu einem Marketingtool als zu einer Methode, dem Klimawandel entgegenzuwirken, geworden ist. Große ­Konzerne wie H&M werben mit einer Conscious-Linie und bezeichnen sich als nachhaltig, Start-ups greifen den Begriff als Unternehmensphilosophie auf. Aber was bedeutet Nachhaltigkeit in der Textilindustrie?

Armed Angels verwendet ­konsequent nachhaltige, umweltfreundliche und zirkuläre Materialien wie beispielsweise biologische Baumwolle oder recyceltes Material. Das Unternehmen unterstützt außerdem seit 2018 Bauern dabei, auf biologischen Anbau umzusteigen, ohne finanziell darunter leiden zu müssen. Bisher konnte 500 Bauern erfolgreich beim Umstieg von konventioneller auf biologische Landwirtschaft geholfen werden. Produziert wird die Kleidung anschließend großteils in Portugal und in der Türkei, die Denims werden in Tunesien hergestellt. Alle Partner werden dabei regelmäßig kontrolliert und sind zertifiziert. Zur Nachhaltigkeitsstrategie gehören auch die zeitlosen Designs, die darauf ausgelegt sind, lange ge­tragen werden zu können. Trotzdem sei es wichtig, den Zeitgeist zu treffen: „Man muss nicht aus­sehen, als würde man in einem Jutesack herumlaufen, wenn man nachhaltig einkauft. Auch Tesla hat nicht das Elektroauto erfunden, sondern das erste schön designte. Man kann Stil haben, ohne jeden kurzfristigen Trend mitzureiten“, sagt Höfeler.

Ein elementarer Punkt, um nachhaltige Kleidung zu produ­zieren und zu verkaufen, sind die richtigen Zertifikate. Armed Angels ist mit dem „Global Organic Textile Standard“-Zertifikat (GOTS) aus­gezeichnet, einem der besten in der Textilbranche, bestätigt auch Jenny Teufel vom Öko-Institut Freiberg. Dabei werden der Baumwollanbau, die Arbeitsbedingungen, die Umweltbelastung bei der Ver­arbeitung der Produkte und die ­Warenkette im gesamten Prozess kontrolliert.

Armed Angels setzt bei seinen Designs auf langfristige Trends und versucht trotzdem stets, den Zeitgeist einzufangen.

Teufel arbeitet seit über zehn Jahren in der Abteilung Produkte & Stoffströme und ist auf Nachhaltigkeitskennzeichnung von Produkten spezialisiert. „Bei Naturtextilien ist GOTS sehr anspruchsvoll. Die Steigerung wäre dann noch IVN Best. Auch der Blaue Engel, EU Ecolabel und Bluesign sind sehr ambitionierte Kennzeichnungen“, so Teufel. Um sich als nachhaltig bezeichnen zu können, müssen ihr zufolge in der Modeindustrie in erster Linie zwei Faktoren beachtet werden: Es muss gewährleistet sein, dass keine besonders umwelt- und gesundheitsgefähr­denden Chemikalien verwendet beziehungsweise ins Abwasser geleitet werden, und bei Natur­­tex­tilien sollte Baumwolle aus kon­trolliert biologischem Anbau sowie Wolle aus kontrolliert biologischer Tierhaltung verwendet werden. Biobaumwolle verbraucht laut einer 2015 durch­geführten Studie bis zu 91 % weniger Wasser und bis zu 62 % weniger Energie und verursacht bis zu 46 % weniger CO2 im Anbau. Vorsicht ist bei recycelten Materia­lien geboten: Obwohl diese natürlich sehr wünschenswert sind, sind die Produkte nur dann nachhaltig, wenn sie tatsächlich aus Abfällen her­gestellt werden und keine Schadstoffe enthalten, die in das Material gelangen könnten, so Teufel. „Wenn ein Unternehmen damit wirbt, mit Abfall aus dem Ananas­anbau zu produzieren, ist es nicht nachhaltig, wenn umwelt- und gesundheits­gefährdende Chemikalien in den Veredelungsprozessen eingesetzt werden und so ins Abwasser und damit in die Umwelt ­gelangen“, so die Expertin.

Greenwashing, so nennt man das Prinzip, sich mit dem Begriff Nachhaltigkeit zu schmücken, ohne die erforderlichen Standards einzuhalten. Dass sich große Unternehmen immer häufiger als „grün“ bezeichnen, hängt mit einem gesellschaftlichen Umschwung zusammen: Spätestens seit Greta Thunberg gemeinsam mit Millionen Schülern die Straße eroberte, ist der Klimawandel in keiner Branche mehr wegzudenken. Das macht sich bemerkbar: Laut einer Studie der Unternehmensbe­ratung McKinsey steigt das Angebot an nachhaltiger Mode jährlich um das Fünffache. Während der Umsatz von Fair-Trade-Textilien in Deutschland 2015 noch 71 Mio. € ausmachte, waren es 2019 bereits 194 Millionen. Mar­ken wie Patagonia, Everlane und Pact machen international auf sich aufmerksam, und auch, wenn der Weg noch lang ist, beginnen große Marken wie Levi’s (deren neue Jeanskollektion nun mit 94 % weniger Wasser produziert wird), nachhaltiger zu werden – ob rein für das ­eigene Marketing oder zu 100 % aus Über­zeugung, bleibt offen.

„Nachhaltigkeit ist eine Definitionsfrage“, sagt Höfeler, wenn man ihn fragt, wann etwas für ihn nachhaltig sei. „Es bedeutet für mich, die Zukunft in jedem Aspekt des Schaffens mindestens genauso sehr miteinzubeziehen wie die Gegenwart“, so der zweifache Vater. Der Gedanke, wie die Welt aussehen wird, wenn seine Töchter erwachsen sind, treibe ihn an. Bei Armed Angels möchte man sich weiter darauf konzentrieren, mehr Menschen von der Relevanz des Themas zu überzeugen und sich international verstärkt aufzustellen. CO2 sei eine globale Angelegenheit, dementsprechend müsse man die richtigen Produktionsprozesse weltweit integrieren, sagt der 40-Jährige.

Neben der Optimierung der Produktion der Textilien muss aber auch der Konsum deutlich eingeschränkt werden – da sind sich Jenny Teufel und Martin Höfeler einig. Durch die Reduktion der Produktion könnte man die Klimaschäden der Branche am schnellsten stoppen. Doch wie bringt man Konsu­menten bei, sich keine 60 Kleidungsstücke im Jahr zu kaufen, wenn sie pro Stück nur 5 € ausgeben müssen? Für den CEO ist dabei auch die psychologische Komponente maßgeblich: „Man trifft eine Kaufentscheidung erst dann bewusst, wenn das Pro­dukt einen gewissen Preis hat. Wenn man sich ein Kleidungsstück ‚geleistet‘ hat, gibt man auch dementsprechend da­rauf acht“, so Höfeler. Ein T-Shirt für 5 € könne daher weder in der Produktion noch psychologisch nachhaltig sein. „Um 5 € kauft man sich ­heute irgendwo einen Latte macchiato, das kann in der Produk­tion nicht gleich aufwendig gewesen sein“, so Höfeler, dem sowohl Sorgen aufgrund der Praktiken seiner Branche als auch Leidenschaft für ebendiese auf die Stirn geschrieben stehen.

„Wieso eigentlich der Name Armed Angels?“, fragen wir ihn zum Schluss. „Wir haben uns immer ein bisschen als der Robin Hood der Branche gesehen, à la ‚Nimm das Geld von denen, die es haben, und gib es denen, die es brauchen‘. Und dann ist der Name einfach geblieben. Vielleicht wollten wir auch einfach alle ein bisschen Superhelden sein“, erzählt er schmunzelnd.

Text: Sophie Ströbitzer
Foto: Armed Angels

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1–22 zum Thema „Ressourcen“.

Sophie Ströbitzer

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