Autos teilen, Umwelt heilen

Die Mobility Genossenschaft ist der größte Carsharing- Anbieter der Schweiz. Seit 2019 sitzt dort Roland Lötscher am Steuer. Im Gespräch mit Forbes erzählt der CEO, was die Herausforderungen und Stärken von Carsharing sind – und was für die Genossenschaft der nächste große Schritt sein könnte.

Im Jahr 1987 wurden in Stans (nahe Luzern) und Zürich zwei Genossenschaften gegründet. Beide hatten das gleiche Ziel: Die Genossenschafter – bei der einen waren es acht, bei der anderen 17 – waren der Meinung, dass nicht jeder von ­ihnen ein eigenes Auto besitzen muss. Es waren die ­ersten Carsharing-Firmen der Schweiz.

Zehn Jahre später fusionierten die beiden Unternehmen, die zu dem Zeitpunkt gemeinsam 17.400 Kunden und 760 Fahrzeuge hatten, und wurden zur Mobility Genossenschaft, heute der größte Anbieter für Carsharing in der Schweiz. 277.000 Kunden zählt Mobility, die mit insgesamt 3.020 Fahrzeugen an 1.600 Standorten in der Schweiz fahren können. 2023 wurden 84,2 Mio. CHF eingenommen (Nettoerlös). Zum Vergleich: Share Now, der größte Carsharing-Anbieter aus Deutschland, der seit 2022 zu Stellantis gehört, schrieb 2022 88,69 Mio. € Umsatz – verbuchte aber einen Jahresfehlbetrag von 81,87 Mio. €; bei Mobility war es 2023 hingegen ein Gewinn von 1,4 Mio. CHF. 2022 lag dieser noch etwas höher, der Rückgang wird im Finanzbericht unter anderem mit Investitionen für die Elek­trifizierung der Flotte begründet. Bis 2030 soll nämlich die Mehrheit der Fahrten elektrisch sein; zurzeit werden über 600 Autos elektrisch betrieben.

An der Spitze von Mobility steht seit 2019 Roland Lötscher, der zuvor über 20 Jahre in der Telekom-Branche unterwegs war. „Ich hatte damals bewusst die Telekom-Branche gewählt, weil sie, getrieben durch neue Technologien, dabei war, eine Liberalisierung durchzumachen. 2019 hatte ich dann so ein Gespür, dass die Mobilität in einer ähnlichen Situation ist“, so Lötscher.

Mit diesem Gefühl hatte der ­CEO gewissermaßen recht: Nicht nur steigt tendenziell der Anteil an Elektrofahrzeugen auf den Straßen (wenn auch langsamer, als von vielen erwartet), auch ­Mikromobilität boomt. Durch ­Sharingangebote in diesem Feld – so gut wie ­jeder, der in ­einer größeren Stadt lebt, ist wohl schon mit einem der vielen E-­Scooter gefahren – wird es immer leichter, sich fort­zu­bewegen. „Die richtig große Konkurrenz“, sagt Lötscher aber, „ist das ­Privatfahrzeug.“ Und ­dieses erweist sich als deutlich langlebiger, als viele Verfechter von Sharingangeboten gehofft hatten.

Der Mobility-CEO ist zu einer schwierigen Zeit für Carsharing-Anbieter eingestiegen: Bevor er sich noch richtig einarbeiten konnte, legte die Coronapandemie die Branche lahm. „Das war von heute auf morgen ein großer, großer Einschnitt in unser Geschäft“, so der Schweizer. „Unsere Investitionen sind alle in den Autos – wenn diese nicht fahren, machen wir keine Umsätze. Die Kosten haben wir aber genauso.“ Klar, es fallen weniger Wartungs-, Reinigungs- und Benzinkosten an, wenn die Fahrzeuge nur stehen; aber Gehälter, die Abschreibung der Flotte oder Auto­versicherungen müssen trotzdem bezahlt und verbucht werden. „Und ganz wichtig“, so Lötscher weiter: „Wir haben auch Mietkosten.“

Die Autos von Mobility stehen an fixen Parkplätzen, die die Genossenschaft mieten muss, meistens von Privatfirmen. Kunden wissen, wo sie mit Mobility-Autos rechnen können, ­müssen sie aber am Ende der Fahrt wieder zum selben Parkplatz zurückbringen (Zwischenstopps, bei denen der Kunde das Fahrzeug abstellt, sind auch erlaubt); Round-Trip-Carsharing heißt das Modell. Für den Konsumenten flexibler ist das Free­floating-Carsharing – Share Now etwa verfolgt diesen Ansatz –, bei dem das Auto an einem beliebigen Parkplatz (meist innerhalb einer geografischen Zone) abgestellt werden kann. Die Mischvariante – das Auto kann nicht überall, aber an einer Vielzahl von Parkplätzen zurückgebracht werden – heißt One-Way-Carsharing.

Je flexibler das Modell für den Kunden ist, desto komplizierter ist es für den Anbieter. Beim Freefloating kann es vorkommen, dass ein Auto am Stadtrand abgestellt wird, wo die Nachfrage niedrig ist. Dann muss der Anbieter das Auto entweder selbst ins Zentrum zurückfahren oder es bleibt lange ungenutzt – und das würde den Sinn von Carsharing verpassen. Lötscher: „Die Effizienz des Carsharing-Modells ist mit stationsgebundenen Fahrzeugen höher.“ Nicht nur das: Für Anbieter dürfte ein Free­floating-Modell auch kostspieliger sein. Oft werden für Kunden Anreize (sprich Rabatte) geschaffen, damit sie die Autos eben nicht am Stadtrand abstellen. Das Geld fehlt dann aber in der Bottom Line. Lötscher kennt daher nur wenige Freefloating-Anbieter, die auch profitabel sind. Mobility selbst hat von 2014 bis 2022 mit dem Modell experimentiert – und es am Ende eingestampft. „Wir haben dann kritisch auf das Geschäftsmodell ­geschaut und gesagt: ‚Das ist so eigentlich nicht effizient genug‘“, sagt der CEO.

Die Preisgestaltung von Mobility ist, ebenfalls dem Modell geschuldet, nicht simpel, aber einfacher als bei vielen anderen Carsharing-Anbietern. Der Preis setzt sich aus der Miete pro Stunde und dem Kilometergeld zusammen. Beides hängt von der Art des Autos ab: Ein Citroën C1 etwa ist billiger als ein Audi A5 oder ein VW-Minivan. Für knapp 10 CHF im Monat und eine einmalige Zahlung von fast 40 CHF können Mobility-Kunden ein Abo abschließen. Abonnenten und Menschen unter 28 fahren billiger. Eine kurze Recherche zeigt: Bei Konkurrenten gibt es mitunter Minuten-, Stunden- und Tagestarife; bei manchen ist eine gewisse Kilometeranzahl gratis. Oft dürften Mobility-Wägen also besonders für längere Fahrten attraktiver sein.

Es gibt auch die Möglichkeit, Genossenschafter zu werden. 2023 haben sich 1.000 Menschen dafür entschieden, was die Anzahl der ­Mitglieder auf 75.800 bringt. Sie fahren ebenfalls zu günstigeren Preisen und bekommen Zusatz­angebote wie einen Nachttarif und Rabatte für Mieten, die länger als drei Tage dauern. Der Anteilschein kostet 1.000 CHF, die Aktivierung 250 CHF. Dass sich Mobility nach all den Jahren (und nach dem Wachstum) in eine andere Gesellschaftsform umwandeln könnte, stand laut Lötscher nie zur Debatte. Tatsächlich sei die Rechtsform Teil der DNA des Unternehmens, da Genossenschafter bezüglich Mitsprache und Distribution – manche von ihnen sind Marken­botschafter – Mehrwert schufen.

„Carsharing ist im Spannungsfeld zwischen dem öffentlichen und dem Individualverkehr. Ein Carsharing-Auto ist quasi wie ein Taxi – aber wir fahren selbst“, so Lötscher auf die Frage, wen Mobility als Konkurrenten sieht. Laut einer Statistik aus den Jahren 2023 und 2024 fahren mehr als die Hälfte der Pendler in der Schweiz mit ihrem eigenen Auto. Fast 40 % nutzen ­öffentliche Verkehrsmittel, etwas weniger als 20 % ihr Fahrrad; Carsharing macht nur 2 % aus (Mehrfachnennungen möglich). Lötscher bestätigt: „Die Konkurrenz ist klar das private Auto. Und das muss sich ändern, denn 95 % der Zeit stehen diese Fahrzeuge einfach nur rum.“ Das braucht viel Platz, besonders in Städten, wo dieser ohnehin Mangelware ist. Mehr Autos heißt zudem mehr produzierte Autos, was aus ökologischer Sicht schlecht ist. Eine Studie der Ostschweizer Fachhochschule und der BSS Volkswirtschaft­liche Beratung im Auftrag von Mobility zeigt, dass ein geteiltes Auto fast 18 private ersetzt. Die Ergebnisse anderer Studien sind unterschiedlich: Manche finden ähnliche ­Ersatzquoten, andere deutlich niedrigere. Fest steht trotzdem: Im ­Vergleich zum privaten Personenverkehr ist Carsharing die nachhaltigere Variante.

Auch auf den Carsharing-Markt selbst ­drängen seit einigen Jahren neue Konkurrenten. Besonders auf lokaler Ebene, so Lötscher, ver­suchen sich andere Anbieter zum Beispiel mit ­einer höheren Parkplatzdichte abzuheben. Mit einem Marktanteil von 20 % (Stand 2022) ist Mobility aber klar der größte Player. Auf Platz zwei liegt mit bloß 8 % der dänische Anbieter Gomore.

Wenn die geteilten Autos elektrisch betrieben werden, ist Carsharing noch nachhaltiger. Bis 2030 soll die Mobility-Flotte deshalb komplett elektrifiziert sein, was aber nicht so einfach ist. Ein Problem ist das Laden: „Ein Elektroauto zu kaufen – das ist noch relativ einfach. Aber das Auto muss irgendwo aufgeladen werden. Wir haben mit der Vision begonnen, dass an jedem Parkplatz eine Ladesäule steht“, so Lötscher. Aber dazu muss es eine Stromleitung zum Parkplatz geben. „Jeder Parkplatz wird dann zum Projekt“, so Lötscher. Hinzu kommen Verhandlungen mit den Mietern der Parkplätze.

Lötscher ist trotzdem der Meinung, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Car­sharing – und die gesamte Mobilität – elektrisch abläuft. Er möchte sogar einen Schritt weiter gehen: „Wir haben kürzlich ein Pilotprojekt abgeschlossen, bei dem wir ausprobiert haben, ob wir unsere Elektroautos nicht nur laden können, sondern den Strom zurück ins Netz speisen können, wenn das Auto nicht gebraucht wird.“ Wenn die Nachfrage nach Strom besonders hoch ist, kann ein (zugegeben noch sehr, sehr kleiner Teil) davon mit den Elektroautos bedient werden. Mit 50 Autos, die in der Schweiz verteilt waren, hat Mobility den Test gemacht. Das Fazit? „Operativ funktioniert alles“, sagt Lötscher. Mobility-Kunden hätten nichts gemerkt. Auch die technische Kommunikation zwischen dem Schweizer Stromnetz und den Mobility-Autos funktioniere.

Noch zahlt sich das aber wirtschaftlich für Mobility nicht aus, so Lötscher, weil Elektrofahrzeuge für den Carsharing-Anbieter teurer sind als Verbrenner und die Ladeinfrastruktur noch zu viel kostet. „Aber wenn der Markt skaliert – und das wird passieren –, dann können wir hier auch das Stromnetz entlasten. Wenn man sich das Gleiche mit einer Flotte von 3.000 oder mehr Fahrzeugen vorstellt, dann wird das sehr spannend“, so der CEO.

Pläne hat Lötscher für Mobility also genug. Auch einen Einstieg in die Mikromobilität schließt er nicht aus, obwohl 2019 eine Kooperation mit einem Anbieter für Elektroscooter in ­Zürich nach weniger als zwei Jahren wieder eingestellt wurde.

Ob die 25 Menschen, die in den späten 1980ern die beiden Genossenschaften gründeten, damit gerechnet haben, dass ihr Modell heute so groß sein wird – das sei dahingestellt. Fest steht aber, dass sie der gleiche Gedanke angetrieben hat, der auch Lötscher motiviert: „Wir müssen uns von diesem Besitztum trennen. Das ist der Grundgedanke von Carsharing.“

Roland Lötscher ist seit 2019 CEO der Mobility Genossenschaft. Zuvor war der Schweizer über 20 Jahre lang in der Telekom-Branche tätig, unter anderem
bei Swisscom, UPC Schweiz und Zain.

Fotos: Mobility Genossenschaft

Erik Fleischmann,
Redakteur

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