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Hendrik Kramer, CEO des Logistik-Start-ups Fernride, hat eine Technologie entwickelt, die in Lastern und Zugmaschinen den Fahrer ersetzt. 70 Mio. € konnte der Gründer an Risikokapital für seine Vision von autonom fahrenden Lkws einsammeln. Im kommenden Jahr soll das Produkt in Hafenterminals genutzt werden, die Produktivität steigern und die gesamte Branche nachhaltiger machen.
Hendrik Kramer ist gerade aus den USA zurückgekehrt und hat gute Laune. Der Münchner Gründer war in der vergangenen Woche bei der Messe „Manifest“, einem Treffen der globalen Logistikbranche in Las Vegas. Es geht dort um Lieferketten, das Verschicken von Gütern und Produkten, um den internationalen Warenverkehr – und um junge Unternehmer, die etwas bewegen wollen. Zu ihnen gehört Kramer, der 30-jährige Gründer des Münchner Start-ups Fernride.
In den USA konnte der junge Founder Investoren treffen und Konkurrenzprodukte begutachten. Eingeschüchtert hat das Kramer nicht – eher fühlt er sich bestärkt, dass sein Start-up auf dem richtigen Weg ist. Er sagt: „Mir wurde klar, dass wir uns mit unserem Produkt nicht verstecken müssen.“
Fernride ist ein Start-up mit 150 Mitarbeitern, das bereits 70 Mio. € an Risikokapital einsammeln konnte. Das Unternehmen wurde im Jahr 2019 von Hendrik Kramer, Maximilian Fisser und Jean-Michael Georg gegründet und ging aus der TU München hervor. Die Mitgründer haben im Forschungsbereich Teleoperation und Sensortechnik promoviert und sich mit Wirtschaftsingenieur Kramer zur Ausgründung entschieden. Fernride will innerhalb der nächsten fünf Jahre zum globalen Marktführer im Bereich des autonomen und elektrischen Lkw-Verkehrs werden.
Kramer, der es in die Forbes 30 Under 30 Europe-Liste geschafft hat, denkt groß und gibt sich selbstbewusst: Fernride will er zu einem deutschen Leuchtturm-Unternehmen ausbauen; einer Marke, die an das Erbe von Bosch und Siemens erinnert und für Innovation und Qualität made in Germany steht. Denn Kramer glaubt an den Standort Deutschland und Europa. Er sieht die Lage keinesfalls so düster, wie es die Wirtschaftskennzahlen und das öffentliche Klima derzeit nahelegen. Fernride soll auch beweisen, dass Deutschland immer noch global gefragte Technologien mit Zukunft entwickeln kann.

Im Kern geht es bei dem Unternehmen um ein Soft- und Hardware-Produkt, das fahrerloses Steuern von Fahrzeugen ermöglicht. Die Technologie basiert auf Teleoperation: Mehrere Fahrzeuge oder Zugmaschinen werden dabei von Teleoperatoren ferngesteuert, die in einem Büro an Gaspedalen, Lenkrädern und Bildschirmen sitzen und so einen nur wenige Meter – oder auch Tausende Kilometer – entfernten Laster steuern können. Das macht Lagerung und Transport auf großen Flächen wie etwa Containerterminals flexibler, einfacher und effektiver.
Die Vision: Automatisierung übernimmt komplett die Steuerung der Lkws; der Mensch greift nur ein, wenn das Fahrzeug ein Problem nicht eigenständig lösen kann. Statt eines Fahrers genügen Kameras und hochsensible Sensoren, die am Laster installiert sind und Daten über das Mobilfunknetz senden.
Durch die 270-Grad-Kamerabilder kann der Teleoperator die Fahrzeugumgebung wie ein Fahrer in der Fahrzeugkabine wahrnehmen und sicher aus der Ferne steuern. Die Fernride-Technologie kann quasi in Echtzeit Daten in weniger als 100 Millisekunden an das Kontrollzentrum schicken. KI ist noch nicht weit genug, um autonomes Fahren zu ermöglichen, aber in geschlossenen Gebieten (wie Fabrikhöfen) ist das viel einfacher anwendbar – zumal es in Europa rund 100.000 Lastwagen gibt, die das Werksgelände nie verlassen. Kramer vergleicht den Vorgang mit einem Control Tower in der Luftfahrt, wo die Flugwacht das Verkehrsnetz überwacht, aber eben nur bei Bedarf eingreift. In einem Pilotprojekt testet Fernride derzeit das System einer hochautomatisierten und elektrischen Containerlogistik im Hafen von Tallinn.

HHLA Next, die Innovationseinheit der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), ist Investor von Fernride, denn das Produkt eignet sich besonders für geschlossene Hafenterminals. Im kommenden Jahr will Kramer das Fernride-System großflächig ausrollen. Aktuell bewirbt sich das Produkt um eine CE-Zertifizierung, die belegt, dass alle rechtlichen Anforderungen an Sicherheit, Gesundheitsschutz und Umweltschutz erfüllt sind. Es ist der letzte Schritt vor dem ersten Meilenstein und sollte kein Problem sein; zumal Kunden wie Volkswagen und DB Schenker an Fernride glauben und dessen Technologie in eigenen Pilotprojekten testen. Zu den Fernride-Investoren gehören 10x Founders, Bayern Kapital, Speedinvest und der deutsche Deeptech & Climate Fonds (DTCF).
Der Markt für Lastkraftfahrzeuge in der Hof- und Hafenlogistik umfasst in Europa und Nordamerika rund 25 Mrd. US-$. Vor allem in Deutschland und Europa mangelt es an Personal, rund 70.000 Lkw-Fahrer werden gesucht. Kramer und seine Mitgründer an der TU München erkannten dieses Problem früh. Fernride will daher auch den Beruf des Lasterfahrers revolutionieren – und zu einem Bürojob machen.
Wer Lkw fährt, muss dann nicht mehr fern von Heimat und Familie unterwegs sein; er oder sie muss nicht mal das Büro verlassen, um einen oder mehrere Trucks zu steuern, und kann nach Feierabend pünktlich zu Hause sein. Die harte Realität des Fernfahrers (aber auch die Romantik des Berufsstands) werden mittelfristig verschwinden. In Tests hatte eine 18-Jährige beim Fernsteuern eines Lkws am besten abgeschnitten – sie hatte nicht mal einen Führerschein. Auf Achse muss in Zukunft wohl keiner mehr sein.

Hendrik Kramer studierte im Bachelor Ingenieurwissenschaften an der Universität Bremen und im Masterstudium Management and Technology an der TU München. Dort spezialisierte er sich auf Unternehmertum und autonomes Fahren. Stipendien ermöglichten ihm Studienaufenthalte in Kopenhagen und an der Stanford University in Kalifornien.
Schon als 16-Jähriger gründete der aus dem Emsland stammende Niedersachse seine erste Firma: Er kreierte ein Onlineportal, über das er deutsche Zuchtpferde in die USA, nach Kanada und Australien verkaufte. „Mich hat noch mehr als Technik das Unternehmertum früh fasziniert“, sagt Kramer. Heute existiert das Portal weiter und wird von Kramers Geschwistern betrieben. Durch die Innovation konnte Kramer schon als Schüler eigenes Geld verdienen und „gut leben“, wie er sagt.
Mit halbautonomen Lkws will Kramer nun auch einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit liefern – denn nicht nur dem Fachkräftemangel wirkt der Gründer entgegen, auch erhöht die Technologie die Produktivität und die Sicherheit der Menschen. Und zwar nicht nur am Hafen, auf dem Firmenhof oder im Minenbetrieb, der ebenfalls ein lukratives Feld darstellt.
Auch die Verteidigungsindustrie ist an der Fernride-Technologie interessiert. Europa soll nach dem Willen von Donald Trump für seine eigene Sicherheit zuständig sein – und viel mehr in Militär und Verteidigungstechnologie investieren. Start-ups wie Fernride könnten enorm profitieren, denn deren Produkte sind im zivilen und militärischen Bereich relevant. Kramer sagt, er würde gerne einen Beitrag leisten, um die Wehrhaftigkeit und Resilienz Europas zu steigern. So könnten Militärs die Fernride-Technik einsetzen, um ohne Gefahr für einen Menschen hinter dem Steuer schweres Kriegsgerät, Munition, Nahrungsmittel oder Werkzeug in ein Konfliktgebiet zu liefern.

Kein Entwickler arbeitet gerne an Produkten, die nur auf dem Papier existieren und erst
in ein paar Jahren – wenn überhaupt – Realität werden.
Hendrik Kramer
Kramer gibt zu, dass der Zugang zu Risikokapital in Europa schwerer ist als in den USA. Den Vorwurf, dass Europa Innovation erschwere und deutsche Technologieskepsis Start-ups aus seinem Bereich ausbremse, will er aber nicht stehen lassen: Zwar sei in den USA mehr Risikokapital verfügbar, doch gerade in der Logistikbranche seien dort die Gewerkschaften mächtig und versuchen, fahrerlose Technologien zu verhindern, weil sie einen Verlust an Arbeitsplätzen fürchten. In Europa führen die Überalterung der Gesellschaft und der demografische Wandel dazu, dass Automatisierung dringend benötigt wird, weil die wegfallenden Stellen ohnehin nicht mit neuem Personal aufgefüllt werden können.
Auch im oft kritisierten Hang zur Überregulierung in der EU sieht Kramer einen Vorteil: Dass sein Produkt die Vorschriften in Europa erfülle, bedeute ja, dass es einem Goldstandard entspricht. Das EU-Siegel kann also auch als Qualitätsnachweis gesehen werden – nicht nur als Hürde.
Kramer ist stolz, dass sein Unternehmen einen Mix aus erfahrenen Spezialisten und jungen Innovatoren vorweisen kann. Vorsitzender des Aufsichtsrats und Investor ist Klaus Kleinfeld, der ehemalige CEO von Siemens. Dass Entwickler gerne für Fernride arbeiten, liege auch daran, dass die Firma ihr Produkt schon in der Praxis einsetzen kann: „Kein Entwickler arbeitet gerne an Produkten, die nur auf dem Papier existieren und erst in ein paar Jahren – wenn überhaupt – Realität werden.“
CEO Kramer ist mit 30 Jahren einer der jüngsten Mitarbeiter bei Fernride. Wie kommt es, dass die Logistikbranche einen jungen Kerl ernst nimmt, der als Schüler Pferde verkaufte und kurz nach dem Studium einen Milliardenmarkt aufmischen, wenn nicht gar umkrempeln will? „Bei Fernride bieten wir den Erfolgshunger der Jungen und die Erfahrung der Älteren – diese Kombination wirkt“, sagt Kramer.
Kramer hat daher auch nicht vor, sein Unternehmen in die USA zu verlegen. Lieber zählt er die Vorzüge Deutschlands auf, die in der aktuellen Krisenstimmung und wegen des wirtschaftlichen Abschwungs oft übersehen werden: „In Deutschland wird seit Jahrzehnten auf Weltniveau geforscht und entwickelt“, sagt Kramer. Spitzenkräfte schätzen die hohe Lebensqualität, das gute Gesundheitssystem, den nach wie vor hohen Bildungsstandard. Diese Fakten würden in der Debatte um die deutsche Misere und somit auch Europas künftige Wettbewerbsfähigkeit von Emotionen überlagert. Wenn er sich die aktuelle Generation an Gründern anschaue, glaube er fest daran, dass Deutschland keine Angst vor der Zukunft haben müsse. Kramer hat offenbar nicht nur den Hunger des Unternehmers – sondern auch dessen unerschütterlichen Optimismus.
Hendrik Kramer studierte im Bachelor Ingenieurwissenschaften an der Universität Bremen und im Masterstudium Management and Technology an der TU München; ferner an der DTU in Kopenhagen und der Stanford University in Kalifornien. Der CEO und Mitgründer von Fernride schaffte es an die Spitze der prestigeträchtigen Forbes 30 Under 30-Liste für „Manufacturing & Industry“.
Fotos: Fernride