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Guive Balooch will dafür sorgen, dass L’Oréal endgültig zu einem Technologiekonzern wird. Als Leiter des Tech-Teams und des Bereichs Open Innovation ist Balooch auf seinem Weg aber nicht nur mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, sondern auch mit kniffligen ethischen Fragen.
Wenn man Chat GPT bittet, ein Porträt über Guive Balooch zu verfassen, spuckt die Maschine in Sekundenschnelle einen fehlerfreien Text aus. Balooch wird dort unter anderem als «The Architect of Beauty Tech» bezeichnet. Und tatsächlich ist Balooch, der beim weltgrössten Kosmetikkonzern den Titel «Global Managing Director: Augmented Beauty and Open Innovation» trägt, massgeblich an der Innovationskraft von L’Oréal beteiligt – denn der Konzern, der zuletzt mit 87.400 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von über 38 Mrd. US-$ erwirtschaftete, will sich nicht auf seiner 115-jährigen Tradition ausruhen.
Vielmehr arbeitet L’Oréal intensiv daran, vom Kosmetikhersteller zum Technologieunternehmen zu werden. Daran werken nicht nur Balooch und sein Team, sondern auch Research and Innovation Hubs in Südafrika, Indien, Brasilien, China, Japan etc. Und obwohl Balooch bereits 17 Jahre im Unternehmen tätig ist, hat er nach eigenen Angaben lange gebraucht, um durchzudenken, warum dieser Fokus auf Technologie und Innovation für L’Oréal so wichtig ist: «Es geht ausschliesslich darum, Mehrwert für die Kunden zu generieren. Das ist das Einzige, was wirklich zählt – und ich habe eine Zeit gebraucht, um das voll zu verstehen.»
Kunden, so Balooch, interessieren sich nicht dafür, ob etwas mit Generative AI erstellt wurde oder nicht. Sie wollen lediglich ein besseres Kundenerlebnis, geringere Kosten oder bessere Resultate haben – zu Recht, wie der Manager sagt. Balooch gibt das Beispiel von «virtual try-ons», also einem Produkt, mit dessen Hilfe Kunden Make-up-Produkte virtuell testen können: Man könne dabei digitales Make-up anbieten, das nur Effekte ermöglicht, die man auch mit physischen Produkten erreichen kann. Oder man löst das über Filter, die etwa auch Blur-Effekte ermöglichen, die physische Produkte nie schaffen würden. L’Oréal habe sich dafür entschieden, in diesem Fall nicht mit Filtern zu arbeiten: «Dort ziehen wir die Linie für uns», so Balooch.
Doch auch anderweitig trifft L’Oréal Entscheidungen, die aus rein wirtschaftlichen Gründen zumindest diskutiert werden können. Beispielsweise verzichtet das Unternehmen in Werbekampagnen gänzlich auf von künstlicher Intelligenz generierte Bilder, wie Digital- und Marketingchefin Asmita Dubey auf der Technologiekonferenz Vivatech verkündete. Balooch: «Diese Diskussionen passieren auf allen Ebenen in der Organisation. Die Entscheidung, keine KI-generierten Bilder für Werbekampagnen zu verwenden, begann ursprünglich in Asmitas Team, aber wir stehen alle dahinter.» Für Balooch muss L’Oréal in allem, was man tut, den Purpose des Unternehmens im Blick behalten: Create The Beauty That Moves The World.
Ganz konkret zeigt sich die Innovationsphilosophie des eigenen Hauses an zwei Beispielen: dem neuartigen Haarföhn «Airlight Pro» sowie den Produkten des Schweizer Start-ups Gjosa. Der «Airlight Pro» wurde Anfang des Jahres erstmals auf der CES in Las Vegas vorgestellt. Das Produkt wurde gemeinsam mit dem chinesischen Hardware-Start-up Zuvi entwickelt und nutzt im Gegensatz zu anderen Haarföhns auch Infrarotlicht, um Haare schneller und schonender zu trocknen – und dabei laut Eigenangaben 31 % weniger Strom zu verbrauchen. Doch mit 449 US-$ hat das Gerät einen durchaus stolzen Preis, den der Durchschnittskunde von L’Oréal mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht bereit ist, zu bezahlen. Balooch: «Unsere Innovationen müssen gewisse Kriterien erfüllen. Im Falle des ‹Airlight Pro› haben wir ein besseres Resultat für die Kunden – und zugleich verbraucht das Gerät deutlich weniger Energie. Wir liegen zu Beginn im hochpreisigen Segment, aber der Preis wird nach unten gehen. Das dauert bei Elektrogeräten rund drei bis fünf Jahre.»
Soll heissen: L’Oréal geht hochpreisig in den Markt und erwartet, dass der Preis in den nächsten Jahren deutlich sinken wird – wodurch der «Airlight Pro» auch für den Massenmarkt erschwinglich werden soll. Während L’Oréal im Fall von Zuvi lediglich in das Start-up investiert hat – das passiert über den hauseigenen Bold Venture Fund, in dem die aktuell 17 Investments des Kosmetikkonzerns gebündelt sind –, kann es auch so weit kommen, dass der Konzern Jungunternehmen zur Gänze kauft.
So geschehen im Fall von Gjosa, einem Start-up aus Biel in der Schweiz: Das Unternehmen stellt Duschköpfe her, die den Wasser- und Energieverbrauch gegenüber der Konkurrenz um bis zu 80 % reduzieren sollen. Das zahle, so Balooch, voll auf L’Oréals Mission ein und nutze gleichzeitig den Nachhaltigkeitsbestrebungen des Konzerns. Doch die Gefahr, dass «der Zwerg» seine Wendigkeit verliert, nachdem «der Riese» ihn übernimmt, ist gross. Balooch: «Wir müssen ihnen ihre ‹Secret Sauce› lassen, sie bestmöglich unterstützen – und ihnen genug Freiraum lassen, sodass sie dynamisch und experimentierfreudig bleiben.»
Balooch sieht aber auch viele Chancen für Gjosa – auch, weil man dem Unternehmen die eigene Identität gelassen hat: «Gjosa reportet an mich und ist mittlerweile Teil der L’Oréal-Gruppe, aber sie sitzen noch immer in der Schweiz und heissen auch noch immer Gjosa. Sie können ihr eigenes Ökosystem beibehalten, und gleichzeitig können wir ihnen mit unserem Ökosystem einen echten Mehrwert bieten. Wir haben schon mehrfach gezeigt, dass das klappt.»
Die beiden Innovationen zeigen auch, dass das Thema Nachhaltigkeit bei L’Oréal omnipräsent ist. Mit insgesamt 36 unterschiedlichen Marken unter einem Dach sowie einer globalen Präsenz ist das Unternehmen natürlich ein grosser Erzeuger von Emissionen. Hinzu kommt die Tatsache, dass L’Oréal die dritthöchsten Werbeausgaben aller Unternehmen tätigt und auch dadurch CO2-Ausstoss produziert. Doch der Konzern hat sich selbst vorgeschrieben, bis zum Jahr 2050 emissionsneutral zu sein. Dafür werden alle Bereiche des Unternehmens durchleuchtet – bis hin zur Grösse der Anhänge von Werbesujets.
Guive Balooch ist ein Urgestein bei L’Oréal. Er studierte ursprünglich Biologie und Biomedical Engineering in Berkeley und Stanford, bevor er seine Karriere als Wissenschaftler beim Biotech-Start-up Xoma startete. 2007 kam er als Senior Research Scientist zu L’Oréal und begann, die Karriereleiter hochzuklettern.
2014 wurde er Global Vice President, verantwortlich für den Global Technology Incubator und das California Research Center, seit 2022 trägt er seinen aktuellen Titel als «Global Managing Director: Augmented Beauty and Open Innovation». In der Rolle ist er für das globale Tech-Team sowie den Bereich Open Innovation zuständig – und somit auch für L’Oréals Wunsch, zum führenden Technologieunternehmen mit Fokus auf Beauty zu werden, mitverantwortlich.
Dabei betont der US-Amerikaner, dass es wichtig sei, den Fokus zu behalten, sich aber nicht zu stark einzuschränken. Denn obwohl Timing und Kundenfokus wichtig seien, müsse man auch ein wenig träumen dürfen: «Ich bin aus Kalifornien, dort wird nur geträumt. Wir müssen auch träumen können, aber wir müssen gleichzeitig sicherstellen, dass wir das richtige Timing haben und auch ein echtes Problem lösen.»
Fotos: L’Oréal