Arbeitsmarkt von Heute

Melanie Kovacs und Nina Poxleitner bedienen den Arbeitsmarkt – und lösen ganz nebenbei auch noch Kultur- und Verständnisprobleme.

Die beiden kannten einander vor ihrem Zusammentreffen in Wien genauso wenig wie das Unternehmen der jeweils anderen. Doch als das Wort auf die aktuellen Anforderungen am Jobmarkt kommt, kommen Nina Poxleitner, Co-Gründerin von More Than One Perspective, und Melanie Kovacs, Gründerin des Coding-Bootcamps Master21, gleich ins Gespräch. Da folgt eine Frage nach dem Kerngeschäft der anderen. Poxleitner sitzt mit ihrem Unternehmen in Wien, Kovacs in Zürich. Doch beide Unternehmungen bedienen den Arbeitsmarkt, allerdings auf ganz unterschiedliche Weisen. Und dennoch arbeiten sie gleichermaßen an der Überwindung von kulturellen Herausforderungen – im weitesten Sinne.

So gründete die Zürcherin Kovacs die Master21 Academy, da sie selbst vor dem Problem stand, das sie heute gemeinsam mit ihrem Team für andere zu lösen versucht: Sie verstand die Sprache der Digitalisierung nicht. Konkret konnte sie als Absolventin des Studiums International Management und gleichzeitig als junge Jobeinsteigerin in einer Werbeagentur nicht nachvollziehen, was genau die IT-Experten in ihren Projekten taten. Noch weniger war ihr erklärlich, was die entsprechenden Anforderungen in diesen Belangen für diese Projekte waren. „Mir fehlte einfach das Grundverständnis“, sagt sie heute – und steht damit offensichtlich nicht alleine da. Denn ihre Programmierkurse, eigentlich mehr Bootcamps nach amerikanischem Format, stehen aktuell ziemlich hoch im Kurs. Bei einer nachvollziehbar rasanten Zunahme von IT-relevanten und -gestützten Projekten quer über alle Branchen hinweg lag die Überlegung, eine „Schule“ für all jene zu gründen, denen es ähnlich wie ihr geht, für Kovacs sehr nahe.

Bei Master21 wird IT-fremden Menschen ganz unterschiedlicher Branchen das Programmieren näher-gebracht. „Es ist wie ein kleiner Crashkurs in Methoden und Sprachen“, sagt die junge Zürcherin, deren 2016 gegründete Akademie bereits 100 Absolventen vorweisen kann. Die verschiedenen Angebote – von Campustagen über E-Learnings bis hin zum Teilzeitformat (wöchentlich zwei Kurse außerhalb der klassischen Bürozeiten) – sind gut gebucht. Zudem sind die Kosten ihres Unternehmens vergleichsweise niedrig. Denn, so Kovacs: „Wir zahlen lediglich unser eigenes Salär sowie das unserer Lehrer.“ Daher ist Master21 schon seit geraumer Zeit in den schwarzen Zahlen – etwas, das heutzutage nicht viele Jung­unternehmen von sich behaupten können. Die Weiterbildung in Sachen Coding diene vor allem dazu, Hürden der digitalen Kommunikation zu überwinden, also dem besseren Verständnis für- und untereinander.

Um eben ein solches kulturelles Verständnis zu fördern bzw. Vor­urteile gegenüber Geflüchteten abzubauen – und so erfolgreiche Integrationsgeschichten zu ge­nerieren –, geht es auch bei Nina Poxleitners Unternehmen More Than One Perspective (MTOP). Das Unternehmen gründete sie gemeinsam mit Lisa-Maria Sommer und Julian Richter, nachdem alle drei „Teach for Austria“-Fellows zwei Jahre lang in verschiedenen Klassen der Neuen Mittelschulen in Wien unterrichtet hatten. Dabei musste das Trio feststellen, dass die Integration vieler Schüler und somit auch ihrer Familien so gar nicht ihren Vorstellungen entsprach. Mit der MTOP-Gründung wollten sie aktiv gegensteuern und so eine optimistische Perspektive anbieten. Denn mit vielen Geflüchteten kommt schlicht und ergreifend auch viel Potenzial ins Land, das es angesichts eines Fachkräftemangels dringend braucht. Das Potenzial von Integration und Diversität aufzuzeigen ist Teil des „Mission State­ments“ von MTOP.

Mittlerweile haben im Associate Program rund hundert Geflüchtete aus Syrien, dem Irak und Afghanistan teilgenommen. Zwei der bisher gestarteten vier Programme sind abgeschlossen, ganze 80 Prozent der Absolventen haben einen Job gefunden, sagt Poxleitner sichtlich stolz. An zwanzig unterschiedliche Unternehmen – von Deloitte über die Strabag bis hin zu Western Union – wurden die Absolventen bereits vermittelt, sagt sie.

Die Teilnehmer sind allesamt „gut ausgebildet“ und haben häufig einen akademischen Hintergrund. Aus den Bereichen IT, Wirtschaft oder Technik kommend werden sie in einem zweistufigen Verfahren selektiert. In einem ersten Schritt werden alle aufgefordert, ihren Lebenslauf online hochzuladen und Fragen zu Werdegang und Motivation für das sechsmonatige Weiterentwicklungsprogramm zu beantworten. Danach geht es ins Assessment-Center, wo Gruppenübungen gemacht und Einzelinterviews absolviert werden müssen. Gearbeitet wird bei MTOP auf zwei Seiten – der potenziellen Arbeitnehmer- sowie der Arbeit­geberseite. Die geflüchteten, mehrheitlichen Akademiker erhalten innerhalb eines halben Jahres Training, Mentoring und Coaching, die sie auf den österreichischen Arbeitsmarkt und entsprechende Arbeitssituationen vorbereiten sollen. „Da handelt es sich hauptsächlich um Soft Skills sowie Antworten auf Fragen, wie etwa in Österreich der Bewerbungsprozess aussieht“, erklärt Poxleitner.

Auf der anderen Seite – jener der potenziellen Arbeitgeber – würden ebenfalls laufend Gespräche gesucht und geführt. Poxleitner: „Die Unternehmen, die unsere Alumni aufgenommen haben, berichten uns viel Positives. Überhaupt arbeiten wir am liebsten mit Positivbeispielen – auch das ist für die Integration dieser Menschen wichtig. Genauso essenziell ist der laufende Kontakt, auch nach Absolvierung unserer Weiterbildung.“

Ebendieser Kontakt ist zentral, da nicht nur viele neue Bewerber über die Empfehlung von MTOP-Absolventen zum Unternehmen finden, sondern auch, weil die geografische Ausweitung, die das Unternehmen in andere größere Städte Österreichs plant, gemeinsam mit den Alumni vollzogen werden soll. Und auch für Kovacs’ Master21 Academy stehen alle Zeichen auf Expansion. Nicht zuletzt auch, da der interkulturelle Diskurs und das Bemühen um gegenseitiges Verständnis sowie gelebte Diversität auch viel Profit bringt. Nicht nur für Unternehmen in diesem Bereich, sondern für alle Beteiligten.

Dieser Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2018 „30 Unter 30“ erschienen.

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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