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Hendrik Leber ist einer der bekanntesten Value-Investoren im deutschsprachigen Raum und gilt als Deutschlands Warren Buffett. Im Forbes-Ranking der besten Fondsmanager in der DACH-Region landete er auf Platz zwei.
Drei Prozent Minus – für die New Yorker Aktienindizes Dow Jones und S&P 500 war der 11. Oktober 2018 ein schwarzer Tag. An der Technologiebörse Nasdaq ging es sogar um vier Prozent nach unten. Am Tag darauf brachen auch die asiatischen und die europäischen Börsen ein. So mancher Privatanleger dürfte beim Blick auf sein Portfolio zittrige Hände bekommen haben. Bei der Investmentgesellschaft Acatis in Frankfurt hingegen gab es keine Anzeichen von Panik, ganz im Gegenteil. „Für uns heißt das Nachkaufen. Wir wollen in den nächsten Tagen unsere Kasse ausgeben und unser Portfolio wieder auffüllen“, sagt ein bestens gelaunter Geschäftsführer Hendrik Leber. Es ist gegen Mittag, als wir mit ihm sprechen. Die Aktienmärkte befinden sich noch immer im freien Fall.
Dass Leber dermaßen entspannt ist, ist kein Wunder: Der mehrfach ausgezeichnete Fondsmanager ist Deutschlands wahrscheinlich bekanntester Vertreter des „Value Investings“ – jener Anlageschule, zu deren erfolgreichsten Vertretern Warren Buffett gehört, und mit der er es im Forbes-Fondsmanager-Ranking auf Platz zwei schaffte. Die Kernidee dahinter: Der Aktienkurs von Unternehmen liegt manchmal unter ihrem tatsächlichen Wert. Früher oder später werden sich Kurs und Wert wieder angleichen – und wer günstig eingestiegen ist, hat einen Profit gemacht. Als Vater dieser Methode gilt Benjamin Graham, Autor des Börsenklassikers „Der intelligente Investor“. Warren Buffett studierte bei Graham an der Columbia Business School in New York – und setzte dessen Methoden später auch in der Praxis um. Damit wurde Buffett einer der reichsten Männer der Welt – sein Vermögen lag zuletzt bei 86,4 Milliarden US-$ – und gleichzeitig ein Idol für Profi- und Hobbyanleger weltweit.
Hendrik Leber
... arbeitet seit 1994 mit der von ihm gegründeten Acatis Investment GmbH in Frankfurt als unabhängiger Vermögensverwalter. Der promovierte Betriebswirt (Universität St. Gallen) war als Berater bei McKinsey und für das Bankhaus Metzler tätig, bevor er Acatis gründete.
Auch für Hendrik Leber. Er reist seit 1995 zur jährlichen Hauptversammlung von Buffetts Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway nach Omaha in Nebraska. Damals waren es rund 3.000 Teilnehmer, mittlerweile sind es über 40.000, die sich das „Woodstock des Kapitalismus“ nicht entgehen lassen wollen. Leber gründete Acatis 1994 – nachdem er zuvor einige Jahre beim Bankhaus Metzler und davor bei McKinsey gearbeitet hatte. Seit 2007 hat das Unternehmen auch eine Zweigstelle in Zürich. Heute verwaltet Acatis rund fünf Milliarden €. „Klassisches Value Investing ist, beim Baum zu warten, bis Äpfel herunterfallen, und sich dann Stück für Stück anzusehen, ob sie gut sind oder nicht“, erklärt Leber. Ein Value-Investor sieht sich an, welche Unternehmen gerade billig sind, und entscheidet dann, ob er sie haben möchte. Lebers Ansatz geht aber darüber hinaus: „Ich nenne das Speerfischen, also gezielt auf die Jagd gehen: Ich suche Fische, die mich interessieren, und erlege sie, wenn sich die Möglichkeit bietet.“ Umgelegt aufs Investieren heißt das: Anstatt aus aktuell billigen Aktien die besten herauszupicken, sucht Leber zuerst interessante Firmen – und kauft sie dann in dem Moment, in dem sie attraktiv bewertet sind.
Die Skepsis von Altmeister Buffett gegenüber Technologieaktien teilt Leber dabei nicht – er ist unter anderem in Google investiert. Allerdings: „Ich würde eine Firma erst anpacken, wenn sie Gewinn macht. Eine Firma, die Verluste schreibt, ist in den seltensten Fällen gut.“ Tech-Werte, die zwar stark wachsen, aber Geld verbrennen, fallen somit weg. Lebers nächste Frage: Wie stabil ist das Geschäftsmodell? „Spotify zum Beispiel muss zu viel Geld an Verlage abgeben. Das wäre für uns erst interessant, wenn sie selbst Inhalte produzieren, so wie Netflix.“ Ein weiterer Aspekt: Ist das Unternehmen nur eine Modeerscheinung? Bei Facebook beispielsweise würde mittlerweile die Nutzung abnehmen, bemängelt Leber. Dies gelte zwar nicht für die beiden anderen großen Dienste des Unternehmens, Instagram und WhatsApp, doch dort wird kein Geld verdient. „Ich vermute, dass Facebook das hinkriegt. Für mich ist es aber zu wackelig“, sagt Leber.
Für eine interessante Tech-Aktie hält der Fondsmanager hingegen Microsoft – zumindest seit ein paar Jahren. „Ich habe die Produkte gehasst, ich habe die Aktie gehasst“, erinnert sich Leber. Doch vor einigen Jahren habe sich abgezeichnet, dass Microsoft sein Geschäftsmodell ändert – weg vom Konsumenten, hin zu Unternehmen. Mittlerweile habe Microsoft eine Art natürliches Monopol. Ein anderer interessanter Wert für Leber: Nvidia. Der Hersteller von leistungsstarken Grafikprozessoren und Chipsätzen hatte im Vorjahr vom Hype um Kryptowährungen profitiert. Mittelfristig wird es laut Leber aber ein anderer Trend sein, der dem Unternehmen Geld bringt: autonomes Fahren. „In diesem Teilbereich liefert Nvidia die Computer, die autonomes Fahren ermöglichen“, erläutert Leber. Das Unternehmen wird vielen großen Autoherstellern teure Hardware verkaufen können. „Und wenn so ein Auto aufgelegt ist, läuft das zehn Jahre. Das ist ein Beispiel für ein Unternehmen, das dominant in einem Geschäft ist, das gerade erst beginnt, zu wachsen, dessen Weg sich aber sehr gut prognostizieren lässt“, sagt Leber.
Eine andere Tech-Innovation betrifft den Fondsmanager auch unmittelbar: künstliche Intelligenz in der Finanzbranche. Bei Acatis wird die Technologie mittlerweile bei vier Fonds mit 90 Millionen € Volumen eingesetzt. Einer davon ist mithilfe von künstlichen neuronalen Netzen bereits vollautomatisch KI-gesteuert. Leber setzt die Technologie aber auch unterstützend ein: „Meine tägliche Arbeit macht viel mehr Spaß, seit ich KI als Werkzeug an meiner Seite habe. Es fühlt sich an, als wäre ich gedopt.“ Anstatt betriebswirtschaftliche Zahlen selbst durchzugehen, erledigt ein Computer die Vorselektion. Um in Lebers Bild mit dem Apfelbaum zu bleiben: Die faulen Äpfel sortiert der Computer aus, und aus den guten wählt der Fondsmanager. Im KI-Bereich tüftelt man bei Acatis aber an verschiedenen Ansätzen: So analysiert etwa ein Fonds Social Media. Das nächste große Thema sei Texterkennung. „Und in der Finanzszene ist da sehr wenig los. Wir hatten Probleme, Leute für unsere Konferenz zu diesem Thema zu finden“, sagt Leber. Er hält die großen Player für zu schwerfällig. Die Veränderung werde wohl von kleineren Akteuren kommen – wie etwa Acatis.
Für Kleinanleger, die Value-Investoren wie Buffett und Leber nacheifern wollen, wird es dadurch nicht einfacher. „Kennziffern wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis liefern einem Privatanleger schon heute keinen Startvorteil mehr. Wenn ich als Privater anfange, die durchzuschauen, haben viele Computer das Feld schon abgegrast“, meint Leber dazu. Ein Warren Buffett sei in seinen frühen Jahren den S&P-Katalog noch Blatt für Blatt durchgegangen und habe Listen angelegt, um Investmentmöglichkeiten zu finden. „Heute macht das ein Computer im Sekundentakt und da wird jeder Stein umgedreht.“
Doch was bedeutet die fortschreitende Automatisierung für Fondsmanager selbst? Könnten sie letztlich von automatisierten KI-Fonds ersetzt werden? Und was heißt das für das Konzept des Value Investings? In zehn Jahren werden KI-Fonds ein dominantes Thema sein, erwartet Leber. Für seine Anlagephilosophie bleibt aber trotzdem Raum: „Value Investing funktioniert in dem Bereich, in dem die Maschine über ihren Zeithorizont hinauskommt“, sagt Leber. Eine KI sei darauf trainiert, schnelle Erfolge zu liefern – manchmal in Sekunden, manchmal in Tagen, manchmal in Monaten. Aber wenn eine Maschine nach einem Jahr noch immer nicht laufe, verliere man oft die Geduld. „Genau dort fängt der Value-Investor allerdings erst an.“ Hendrik Leber wird also wohl nicht so schnell durch einen Roboter ersetzt werden.
Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2018 „Handel“ erschienen.