AGE-TECH

Afilio will das Altern und die letzten Lebensjahre für Menschen so leicht wie möglich machen. Dazu bieten die Gründer Philip Harms und Till Oltmanns professionelle Altersvorsorge als benutzerfreundlichen Online-Dienst an.

In der Start-up-Welt gehören Be­griffe wie FinTech oder PropTech längst zum allgemein üblichen Jargon. Doch nun ist laut dem ­Venture Capitalist Dominic Endicott von Nauta Capital ein neuer Wirtschaftszweig im Kommen, der von der Digitalisierung profitieren wird: Age-Tech. Darunter versteht Endicott im Interview mit Forbes vier verschiedene Kategorien: jene Dienstleistungen, die von oder für ältere Menschen gekauft werden; Dienstleistungen, die zwischen der älteren und jüngeren Generation ausgetauscht werden, ­sowie jene, die für zukünftige ältere Personen bereitgestellt werden. Endicott geht davon aus, dass der weltweite Markt von AgeTech bis 2025 2,7 Milliarden US-$ betragen wird – was einem jährlichen Wachstum von 21 % entsprechen würde.

Genau in diesem Segment arbeiten Philip Harms (rechts im Bild) und Till Oltmanns (links im Bild) mit ihrem in Berlin ansässigen Start-up Afilio. Im Jahr 2015 hatten die Unternehmer, die sich während ihres Studiums an der WHU – Otto Beisheim School of Management kennengelernt hatten, beide pflegebedürftige Großeltern. „Es war für unsere Eltern jeweils sehr schwierig, mit der Situation umzugehen. Zudem gab es viele bürokratische Dinge zu regeln. Wir haben bemerkt, dass viele dieser Dinge digital umgesetzt werden könnten“, sagt Oltmanns.

Deshalb fassten die beiden den Entschluss, mittels eines digitalen Produkts Personen ab 50 Jahren das Leben zu erleichtern. Es ­folgten zahlreiche Gespräche mit ­Senioren und Pflegebedürftigen, um deren spezifische Bedürfnisse im ­Alter ­herauszufinden. „Das Wichtige ist eigentlich oft, bürokratische Angelegenheiten geregelt zu ­haben und kein Ballast für die Familie zu sein“, so Harms. Nach Abschluss des Studiums Ende 2017 gründeten die beiden gemeinsam mit dem Informatiker Richard Musiol die Vorsorgeplattform Afilio: Damit wird es ­Menschen ermöglicht, sich gegen ­Notfälle und mögliche Folgen des ­Alterns wie etwa Krankheiten abzu­sichern. ­Konkret können Nutzer auf der Plattform Dokumente wie Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Testamentsvorlagen herunterladen und digital erstellen. Die ersten zwei Dokumentarten sind laut Afilio auch ohne Notar oder Rechtsanwalt ab Unterschrift rechtsgültig. Seit Neuestem gibt es auch die Möglichkeit, sich über Themen wie Pflege oder Bestattungen zu informieren und dies für sich selbst oder Angehörige zu regeln. Der Vorteil: Die diesbezüglichen Beratungen sind kostenlos, das Start-up agiert hier aktuell als Makler und verdient eine Provision pro Abschluss. Die grund­legenden Vorsorgedokumente ­können ebenso umsonst erstellt werden. Dennoch können Nutzer freiwillige Beiträge beisteuern.

Das Angebot scheint gut ­anzukommen: So zählt Afilio in Deutschland – dem bisher ­einzigen Markt – mittlerweile mehr als 850.000 registrierte Nutzer. „Wir haben mit der Gründung einen guten Zeitpunkt erwischt. Vor fünf Jahren hätte dies noch keinen Sinn gemacht, weil unsere Zielgruppe noch nicht im Internet gewesen ist“, so Harms. Das Durchschnittsalter der Afilio-Nutzer beträgt 60 Jahre. Tatsächlich nützt die ältere Generation das Internet immer mehr. Laut einer Studie der Initiative D21, eines Netzwerks für die digitale Gesellschaft, sind in Deutschland bereits 79 % der 60- bis 69-Jährigen und 45 % der über 70-Jährigen online.

Afilio, Forbes 30 Under 30 2019, Deutschland 2

Philip Harms (li.) und Till Oltmanns
... gründeten Ende 2017 in Berlin Afilio, ein Start-up, das Senioren bei der Altersvorsorge helfen will. Die Plattform hat mehr als 850.000 Nutzer.

Harms und Oltmanns möchten diesen Trend nutzen: „Wir wollten von Beginn an nicht nur ein Online-Dokumentengenerator sein. Wir wollen eine ganzheitliche Vorsorgeplattform sein“, so Harms. So arbeitet das Start-up etwa gerade daran, die Vermittlung von privaten Pflege­zusatzversicherungen (in Deutschland zahlt die gesetzliche Pflegeversicherung nicht die gesamten Pflegekosten, Anm.) aufzusetzen, die individuell auf den Nutzer abgestimmt werden. Erhältlich sein soll dieses Produkt dann 2020.

Vor diesem Hintergrund ­stellt sich insbesondere die Frage nach dem zukünftigen ­Geschäftsmodell. Denn je mehr Leistungen das Jungunternehmen künftig auf seiner Plattform integrieren wird, ­desto mehr Geld wird es benötigen. Die grundlegende Plattform trägt sich laut Afilio aufgrund der freiwilligen Beiträge größtenteils selbst. ­Aktuell läuft zudem eine Series-A-Finanzierungsrunde, die über drei Millionen € einbringen soll. Dieses Geld soll gänzlich in den weiteren Ausbau der Plattform gesteckt werden – wie etwa im Fall des neuen Produkts im Pflegezusatzbereich.

„Letztendlich geht es vor allem darum, eine ganzheitliche Plattform zu schaffen – und hier gibt es verschiedene Lösungs­ansätze. Die Menschen sollen von unseren Produkten so überzeugt sein, dass sie gerne dafür zahlen. Wir hatten im besten Monat einen Umsatz von 290.000 € und haben insgesamt einen positiven Deckungsbeitrag“, so Oltmanns. Geld für eine Expansion wird Afilio bis auf Weiteres aber nicht brauchen, denn diese ist vorerst nicht geplant. Das macht zunächst einmal Sinn, ist doch die Zielgruppe allein in Deutschland riesig: Laut dem Datenanbieter Statista gibt es hier rund 17,5 Millionen Menschen, die 65 Jahre oder älter sind. Damit machen die Senioren einen Anteil von rund 21 % an der Gesamtbevölkerung Deutschlands aus.

Oltmanns und Harms gründeten Afilio Ende 2017, ohne vorher in einem festen Job gearbeitet zu haben. „Das war ein großer Vorteil, denn wir hatten keine eigene Familie, keine Verantwortung und auch kein Gehalt, von dem man ­eventuell hätte Abstriche machen müssen“, sagt Harms. Während des Interviews wirken die beiden Gründer eingespielt – doch wie würden sie den jeweils anderen beschreiben? „­Philip sorgt auf jeden Fall dafür, dass der Laden läuft. Es ist seine Stärke, wie wir Menschen auf die Plattform bekommen, also das Marketing, aber auch die Benutzererfahrung und das Design“, so Oltmanns. „Till ist derjenige, der jeden Tag mit drei neuen Ideen hereinkommt, die immer gut durchdacht sind. Er treibt das ­Ganze nach vorne und hinterfragt auch ­Bestehendes“, sagt Harms. Für die Zukunft wird es für das Start-up auch darauf ankommen, inwiefern es sich von anderen Anbietern in Deutschland unterscheiden kann. Mit PatientenverfügungPlus, Dipat oder Wonder Legal tummeln sich einige Start-ups im AgeTech-Markt. Afilio hat hier den Vorteil, dass man sich dem ganzen Themenbereich Lebensende und ­Alter widmen will. Damit kann das Angebot von vornherein für mehr Nutzer aufbereitet werden – ohne jedoch zu unübersichtlich zu sein. Wonder Legal bezieht sich auf juristische Texte aller Art wie zum Beispiel Ehe- oder Mietverträge; bei PatientenverfügungPlus und Dipat geht es rein um Patientenverfügungen.

Selbst haben Harms und Oltmanns ebenso schon an Vorsorge gedacht. Mit ihrem Produkt dürften sie für das Alter sowieso bestens darauf vorbereitet sein.

Till Oltmanns und Philip Harms sind Mitglieder der Forbes DACH 30 Under 30-Liste 2019. Mehr über Till Oltmanns und Philip Harms lesen.

Der Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2019 „30 Under 30“ erschienen.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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