A Star ­Overnight

Camille Vasquez ist jene US-amerikanische Anwältin, die den Schauspieler Johnny Depp im Verfahren gegen seine Ex-Frau Amber Heard verteidigt hat. Heard hatte Depp Missbrauch und häusliche Gewalt vorgeworfen. In einem sehr öffentlichen Gerichtsverfahren machte Vasquez auf sich aufmerksam und ging neben den zwei angeschlagenen Hollywood-Stars als „Overnight Star“ aus dem Medienspektakel hervor. Sie gewann den Fall für Johnny Depp – und wurde in ihrer Kanzlei zur Partnerin befördert.

Camille Vasquez ist eine kleine Frau – mit High Heels steht sie vor mir und geht mir etwa bis zur Nase, sie ist vielleicht 1,60 Meter groß. Aber was ihr an Körpergröße fehlt, macht sie mit Präsenz wett; bei unserem Interview, aber vor allem im Gerichtssaal. An einem der Tage, an ­denen Amber Heard zum Kreuzverhör im Zeugenstand saß, stand ihre Anwältin am Pult und befragte ihre Klientin. Innerhalb von etwa 20 Minuten legte Vasquez 49 Mal Einspruch gegen Elaine Bredehofts Fragen ein, sodass eine Befragung gänzlich unmöglich wurde. Diese war sichtlich verzweifelt, prustete und sagte: „Ich versuch’s ja!“ „Ich hatte Mitgefühl mit ihr in diesem Moment“, gesteht Camille Vasquez mir später im Interview. Bredehoft wurde online verspottet und verließ nach dem Verfahren ihre Anwaltskanzlei und Amber Heards Anwaltsteam; Vasquez hingegen wurde in ihrer Kanzlei Brown Rudnick zur Partnerin befördert. Es bildete sich ein regelrechter Vasquez-Fanclub: Ein User schrieb auf X (ehemals Twitter), er sei immer ein Johnny-Depp-Fan gewesen, sei aber nun „ein Die-Hard-Fan von Vasquez“. Google Trends verzeichnete einen erheblichen Anstieg der Suchanfragen nach ihrem Namen, und ein Hashtag ihres Namens erhielt über 980 Millionen Aufrufe auf Tiktok. Die Vogue nannte sie eine „Berühmtheit über Nacht“.

Bredehoft ist eine renommierte Juristin, Vasquez war eher unerfahren. Ihr Team sei, so sagt sie liebevoll, ein „Haufen Kids“ gewesen. Sie hatte bewusst vor allem junge Anwälte um sich versammelt. „Dieser Fall hat sich zu einer Zeit abgespielt, als die Me-Too-Bewegung prä­sent war; es ging teils um Social Media, es ging um Hollywood-Stars. Es war ein Fall, in dem es um häusliche Gewalt und sexuelle Missbrauchsvorwürfe ging. Wir jüngeren Menschen haben eine sehr starke Meinung zu diesen Themen, was auch richtig ist. Wir wollten verschiedene Perspektiven von Leuten haben, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Wir waren näher dran und konnten die Geschichte auf eine effektive Art und Weise erzählen“, so Vasquez.

Camille Vasquez galt auf jeden Fall als diejenige, die das Narrativ dieser Geschichte fest im Griff hatte. Die 39-Jährige wirkte stets souverän und trotz der angespannten Situation fast locker. Sie und das Team schienen sich ständig auszutauschen, Blicke ebenso wie Kommentare. „Ich war nicht alleine, das hat mir enorm geholfen“ – vor allem, als es zu einer Situation mit Amber Heard gekommen sei, wo sie selbst emotional wurde, sagt sie. „Ich wusste, sie lügt mir ins Gesicht, weil ich ja das Beweismaterial in- und auswendig kannte. In diesem Moment fühlte es sich an wie ‚Heard gegen mich‘ – sehr persönlich.“ Also verliert auch Vasquez mal ihre Coolness. Geholfen hat ihr in dem Moment ein Zettelchen eines Kollegen: „Einmal einatmen, und dann frag sie, wie es ihr geht!“ Vasquez entschied, diese Frage so nicht zu stellen, denn sie „habe sie nicht als aufrichtig empfunden. Und das habe ich in diesem Ver­fahren immer versucht – aufrichtig zu sein. Das spüren die Geschworenen.“

Es ging um viel, nicht nur für die beiden Schauspieler, sondern auch für Vasquez und ihr Team. Vasquez war eine junge Rechtsanwältin, die vor den Augen der Welt einen Hollywood-Star vertrat. Es ging um Millionen, es ging um seinen Ruf. Jeder, der das Verfahren sah, kannte Amber Heard, niemand Camille Vasquez. Und dann kamen auch noch die Gerüchte hinzu, sie und Johnny Depp hätten eine romantische Beziehung. Der Druck wuchs spürbar, sobald die Medien sie auf dem Radar hatten. „Der Vorwurf ist sexistisch. Johnny und ich haben zusammengearbeitet“, sagt Vasquez heute.

Ich hoffe, dass mein Beispiel zeigt, dass man die Gelegenheit hat, wenn man hart arbeitet und Möglichkeiten findet.

Camille Vasquez

Man sah sie und den Schauspieler in einigen Momenten sehr vertraut miteinander: Sie umarmten sich, sie warfen sich Blicke zu oder sie hielt seine Hand. Vasquez: „Für mich ging es darum, meinen Klienten in Not zu beruhigen“; sie sei eine sehr gefühlvolle und „touchy person“. Johnny Depp in das richtige ­Mindset zu bringen, ihn zu ermutigen, sei sehr wichtig gewesen. Die ganze Gruppe sei durch eine gemeinsame Vision zusammengeschweißt gewesen. „Wir haben uns auf das gemeinsame Ziel konzentriert, dass wir diesen Fall gewinnen müssen. Es gab keine anderen Optionen. Wir mussten gewinnen. Wir haben unermüdlich gearbeitet, und ich glaube, ein Teil davon war die Angst, dass wir uns in der Öffentlichkeit blamieren würden. Aber wir wollten ihn auch nicht enttäuschen. Wir wussten, dass er nur eine Chance hatte, und das war’s. Das war ein großer Motivationsfaktor für uns alle, der uns zusammenschweißte und uns nachts wach hielt.“

Auch die Tatsache, dass es ein öffentliches Verfahren war, hat die Dynamik verändert. Die Medien, die Welt, die Fans sahen ihnen bei der Arbeit zu. Was zu Amber Heards Verhängnis wurde, half Johnny Depps Team: Ihnen sei von außen sehr viel Freundlichkeit entgegen­gebracht worden – nette E-Mails, Nach­richten, in denen sie unterstützt wurden, und Lieferungen von Donuts. „Die Leute haben mir sogar Geld über Venmo (Zahlungsplattform, Anm.) geschickt, damit wir uns einen Kaffee kaufen konnten, und ja, es gab einfach so viel Unter­stützung und Freundlichkeit von seinen Fans und von Leuten, die unsere Fans wurden und an das glaubten, was wir als Team taten“, erzählt Vasquez. Was sie nun aber nicht wolle, sei, die­jenige zu werden, die „Männer raushaut“, sagt die Anwältin. Diesen Ruf hat ihr der Fall durchaus eingebracht, und das ist nicht immer ganz ein­fach. Auf Twitter warf man ihr vor, den Femi­nismus innerhalb weniger Minuten um 20 Jahre zurückgeworfen zu haben.

Dabei ist sie selbst ein Vorbild für viele, denn als Einwandererkind hat sie einen langen Weg hinter sich. Ihre Eltern stammen aus Kuba und Kolumbien, sie selbst ist die Erste ihrer Familie, die in den USA ­geboren ist. Sie sagt, sie hoffe, dass sie andere Latinas inspiriere, die versuchen, sich in ihrem Bereich zu etablieren.

„Ich war in der Lage, etwas auf einer nationalen Bühne zu erreichen, obwohl man mich vielleicht nicht als erste Wahl für die Position angesehen hatte“, sagte Vasquez in einem kürzlich veröffentlichten Interview mit der Zeitschrift Hispanic Executive. „Ich habe den Job bekommen, weil ich die am meisten geeignete Person dafür war. Ich habe am härtesten gearbeitet und war am besten vorbereitet. Ich hoffe, dass mein Beispiel zeigt, dass man die Gelegenheit hat, wenn man hart arbeitet und Möglichkeiten findet.“

Vasquez weiter: „Ich empfinde ein großes Verantwortungsgefühl gegenüber den jungen Leuten, die immer noch fast täglich zu mir kommen. Ich hatte das so nicht erwartet. Ich bin so froh, dass ich ihnen zeigen konnte, dass man alles erreichen kann, was man sich vornimmt. Es spielt keine Rolle, wie dein Nachname lautet; es spielt keine Rolle, ob du auf einer Elite­universität warst oder nicht. Nichts schränkt dich ein! Und das ist etwas, was meine Eltern meiner Schwester und mir beigebracht haben: ‚Du kannst alles erreichen; in diesem Land kann man alles erreichen. Wenn du es dir in den Kopf setzt, kannst du es erreichen.‘ Ich bin meinen Eltern so dankbar, dass sie mir das beigebracht haben.“

Wie geht es nun weiter für Camille ­Vasquez? Inzwischen wird sie selbst nun schon wie ihr ehemaliger Klient von Paparazzi abgelichtet und in Magazinen abgedruckt – mit einem Starbucks-Becher in der Hand, am Telefon, shoppend. Doch eigentlich will sie nur ihren Job weitermachen. Ihr Fachgebiet sind Verleumdungsklagen. Sie hat außerdem Erfahrung in der Prozessführung bei Vertragsstreitigkeiten, unternehmens­bezogenen Delikten und arbeitsrechtlichen Fragen. „Ich fühle mich beschenkt, dass ich mit dem, was ich liebe, Geld ver­dienen kann. Ich bin jemand, der wirklich an seine Kunden glaubt und ihnen helfen will. Ich bin ein sehr prinzipientreuer Mensch, und deshalb bin ich sehr glücklich, wenn ich in den Spiegel schaue und eine Anwältin sehe.“ Seit sie klein war, habe sie Rechtsanwältin werden wollen – sie empfinde es als eine große Ehre, wenn jemand in der schlimmsten Zeit seines Lebens zu ihr komme und sagt: „Ich vertraue Ihnen an, dass Sie meine Stimme in einem Gerichtssaal, in einem Verhandlungsraum sind. Sie sind die Person, die ich bitte, mir bei der Lösung dieses Problems zu helfen.“ „Es ist eine große Ehre und ein Privileg, dafür auserwählt zu werden und ein Fürsprecher für die Menschen zu sein“, fasst Vasquez ihre Berufung zusammen.

Camille Vasquez, geboren am 6. Juli 1984, ist Partnerin in der Praxisgruppe für Rechtsstreitigkeiten und Schieds­gerichtsbarkeit sowie Mitvorsitzende der Gruppe für Marken- und Reputationsmanagement der Kanzlei Brown Rudnick. Ihr derzeitiger Tätig­keitsschwerpunkt liegt auf Verleumdungsklagen auf Klägerseite.

Fotos: Lukas Lienhard

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Deputy Editor in Chief

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