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Künstliche Intelligenz gehört zu den Begriffen, die ständig diskutiert werden, aber sehr schwer zu fassen sind. Wir nutzen die Technologie in unserem täglichen Leben, vom Aufwachen bis zum Schlafengehen – aber was ist sie wirklich? Und vielleicht noch wichtiger: Was ist sie nicht? Philosophin Karoline Reinhardt und Datenwissenschaftler Bernhard Knapp geben einen Überblick.
„KI ist nicht der Terminator von Arnold Schwarzenegger“, sagt Bernhard Knapp, Program Director of Artificial Intelligence Engineering an der Fachhochschule Technikum Wien, „sie ist auch keine Sache der Zukunft, sie ist bereits hier.“ Wenn wir morgens von unserem Mobiltelefon geweckt werden, entsperren wir es mit einem Finger- oder Gesichtsscan. Dies wird von der KI erledigt, die erkennt, ob wir es wirklich sind oder nicht. Wir überprüfen unsere Nachrichten und im Hintergrund läuft eine KI, die bereits alle Spam-Mails herausgefiltert hat; es handelt sich um eine KI, welche die Spracherkennung durchführt. Wir wechseln zu den sozialen Medien, wo eine KI uns die für uns am besten geeigneten Inhalte vorschlägt – zu diesem Zeitpunkt haben wir noch nicht mal das Bett verlassen. „Es ist möglich, dass Sie bis zum Mittagessen mit zehn bis fünfzehn verschiedenen KI-Anwendungen konfrontiert sind“, so Knapp. Er fügt hinzu, dass dies die Anwendungen sind, die wir bemerken können – es gibt auch andere, eher versteckte Anwendungen wie Überwachungskameras und große Technologieunternehmen, die Daten auswerten, und so weiter.
Allerdings ist nicht ganz klar, was wir mit KI meinen. „Der Begriff ist nicht einheitlich definiert“, meint Karoline Reinhardt, Postdoktorandin am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen, „und bei beiden Begriffen – KI und Intelligenz – haben sich die Definitionen und unsere Vorstellungen davon im Laufe der Zeit geändert.“ Die grundlegende Frage ist, was wir unter Intelligenz verstehen. „Für uns Menschen hat zum Beispiel Kopfrechnen etwas mit Intelligenz zu tun“, erklärt Reinhardt, „wir kriegen aber nicht gleich eine Krise, wenn der Taschenrechner besser rechnen kann als wir.“ Aber bei bestimmten anderen Eigenschaften, die auch mit Intelligenz zu tun haben, sind die Menschen sehr besorgt, dass ihre Vorrangstellung verloren gehen könnte. Wir haben viele Werkzeuge, die etwas besser können als wir – das ist auch bei bestimmten Anwendungen im Bereich der KI der Fall. „Allerdings haben wir derzeit keine starke KI, damit meine ich eine, die ein Bewusstsein hat, die selbst gesteckte Ziele in einer großen Vielfalt von Anwendungssituationen verfolgen kann.“ Das unterstreicht auch Bernhard Knapp: „KI leistet Erstaunliches, wenn die Regeln klar sind und es viele Trainingsdaten gibt, aber sie wird genau das tun, wofür sie trainiert wurde. Das heißt nicht, dass sie dumm ist, aber wir müssen sehen, dass es sich um eine ganz andere Art von Intelligenz handelt.“ Das künstliche System, das wir geschaffen haben, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, hat keinen eigenen Verstand oder eigene Motivation.
„Menschliches Denken ist sehr anders. Unser inneres Erleben, das unser Denken und Erinnern begleitet, unterscheidet sich fundamental von den Abläufen eines Computers“, so Reinhardt. Der Unterschied liegt in erster Linie in der Komplexität, die Knapp so formuliert: „Wenn man eine menschliche Zelle betrachtet, braucht man ein ganzes Lehrbuch der Molekularbiologie, das rund 600 Seiten lang ist“, erklärt er, „wenn man ein Neuron auf einem Computer erstellt, braucht man nicht mehr als 25 bis 30 Zeilen Code.“ Außerdem ist die Multimodalität der menschlichen Wahrnehmung und Informationsverarbeitung der Schlüssel: Wir nehmen viel mehr unterschiedliche Informationen aus der Umwelt auf und verarbeiten diese auf tiefere und vielfältige Weise. „Wenn eine KI ein Bild zeichnet, wird sie es auf der Grundlage anderer Bilder zeichnen, während ein Mensch ein Bild auf der Grundlage seines Geruchsinns, eines Musikstücks oder einer nicht exakt definierten Emotion malen kann“, so Knapp. Da der KI außerdem die intrinsische Motivation fehlt, etwas zu schaffen, kann sie nicht mit dem Menschen mithalten. „Eine KI kann journalistische Texte schreiben, aber sie wird nicht viel Sinnvolles und Neues produzieren“, sagt Knapp – „sie wird in näherer Zukunft nicht investigativ recherchieren, wird nichts über Geldskandale in der Politik herausfinden und keinen Artikel darüber schreiben.“
„Wir finden Mythen über künstlich geschaffene Intelligenz überall – man denke an den Golem, den Zauberlehrling oder Frankensteins Monster“
, so Karoline Reinhardt
Obwohl ihr Hintergrund und ihr Fachwissen sich von dem des technisch versierten Bernhard Knapp unterscheiden, argumentiert Karoline Reinhardt zur Kreativität von Maschinen ähnlich: „Es ist nicht verwunderlich, dass wir Entitäten schaffen können, die Kunst reproduzieren, aber bei uns gibt es immer ein Selbst, dass da denkt und etwas hervorbringt. Bei der künstlichen Intelligenz handelt es sich nicht um einen künstlerischen Ausdruck in dem Sinne, dass sich jemand ausdrücken würde.“ Aber genau das tun wir in der Kunst: Künstler sind Menschen, die uns von sich selbst erzählen, wie sie die Welt erleben, und uns an diesem Innenleben teilhaben lassen.
„Maschinelles Lernen basiert auf Datenverarbeitung, das heißt, dass Welt für diese Art von Verarbeitung erst mal digitalisiert werden muss“, argumentiert Reinhardt. Digitalisierung ist das Lesbarmachen unserer Welt für datenverarbeitende Maschinen. „Dabei geht aber sehr viel verloren: Wenn etwas digitalisiert wird, werden kontinuierliche analoge Signale in Digits zerlegt. Alles, was dazwischen liegt, ist weg. Wir Menschen haben ‚ein Meer an Daten‘ – im Vergleich zu Maschinen, die nur einen sehr begrenzten sensorischen Apparat haben“, so Reinhardt.
Der Traum von der Erschaffung intelligenter Wesen sei jedenfalls ein sehr alter: „Wir finden diese Mythen über künstlich geschaffene Intelligenz überall“, meint Reinhardt, „man denke an den Golem, den Zauberlehrling oder Frankensteins Monster.“ Es ist ein starkes Thema, das immer wieder auftaucht: Der Schöpfer verliert in diesen Geschichten schließlich die Kontrolle über seine eigene Schöpfung. Reinhardt denkt anders darüber: „Nicht die wild gewordene KI ist das Problem, sondern die vielen Anwendungen, die wir bereits jetzt haben.“ Sie spricht von den aktuellen Anwendungen der künstlichen Intelligenz, die darüber entscheiden, wer ein Vorstellungsgespräch, einen Kredit oder eine weitere Finanzierung erhält. „Die tiefgreifenden Auswirkungen dieser Anwendungen scheinen das größere Bedrohungsszenario zu sein als eine wirklich völlig unabhängige starke KI.“
Karoline Reinhardt
...wird ab September 2022 Juniorprofessorin für Angewandte Ethik an der Universität Passau. Sie beschäftigt sich u. a. mit den Themen Algorithmenethik, Ethik der Digitalisierung und KI sowie Migrationsethik.
Bernhard Knapp
...ist Program Director of Artificial Intelligence Engineering an der Fachhochschule Technikum Wien. Zuvor war er Chief Data Scientist bei der Symptoma GmbH.
Text: Ekin Deniz Dere
Illustration: Tobias Wandres
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 3–22 zum Thema „KI“.