Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
Nie war der ikonische Autobauer Rolls-Royce erfolgreicher, nie waren seine Nobelkarossen gefragter. John Lennon und Winston Churchill machten die Limousinen legendär, heute gehören Kendall Jenner, Cristiano Ronaldo und Tech-Millionäre aus Fernost zur Kundschaft. Wie konnte der deutsche CEO Torsten Müller-Ötvös die angestaubte Marke neu erfinden?
Ein stillgelegtes Flugfeld nördlich von London. Am Nachthimmel ist kein Stern zu sehen, dafür flackern grüne Pfeile auf einer Leuchttafel –
und sie zeigen, wo’s langgeht: auf der Startbahn geradeaus, hinein in die Dunkelheit. Ich greife fester ins Lenkrad des Rolls-Royce, Modell Black Badge Ghost. Dann gibt Andy, der erfahrene Testfahrer neben mir, das Kommando: „Let’s go!“
Der ikonische Luxusautobauer hat mich und andere Journalisten in die britische Provinz eingeflogen, damit wir – ungestört von der Straßenverkehrsordnung – das neueste Modell der Black-Badge-Reihe ausprobieren können. Die Serie richtet sich an junge, sehr vermögende Auto- und Luxusliebhaber (also leider eher nicht an Journalisten).
Die Rolls-Royce-Fans der neuen Generation sind milliardenschwere Tech-Gründer, Krypto-Unternehmer, Social-Media-Influencer und Stars aus der Medien- und Sportindustrie. Sie wollen hinter dem Steuer ihres Autos mindestens so viel Spaß haben wie vor der Playstation. Es darf also gern schnell und sportlich zugehen statt gediegen und staatstragend.
Ich drücke das Gaspedal durch, die Beschleunigung presst mich in den Sitz. Heftig kitzelt es in der Magengrube. Die in die Frontscheibe projizierte digitale Tachozahl rast in wenigen Momenten von null auf mehr als 100 Stundenkilometer – es sind genau genommen 4,9 Sekunden. Der Motor schnauft hörbar – auch das gehört zum Black-Badge-Gefühl, wie mir Andy versichert.
Dennoch wirkt die Geschwindigkeit nicht einschüchternd, sondern erhaben, wie in einem Raumschiff, das nach dem Startlärm majestätisch in die Stille des Orbits eintaucht; zumindest blitzt dieser Gedanke auf – und verschwindet schnell wieder: Denn schon verwandeln sich die grünen Pfeile am Ende der Startbahn in rote Kreuze. Andy bittet um eine Vollbremsung. Auch die gelingt schnell und sanft.
Rolls-Royce ist eine ikonische Marke, ein Symbol für Luxus und Perfektion. „Nimm das Beste und mach es besser“, gab Firmengründer Sir Henry Royce vor. Daran haben sich nachfolgende Ingenieure gehalten – auch bei den Autos mit dem Black-Badge-Label, die „edgy“ sind und eine „dominante Persönlichkeit“ ansprechen, wie das Marketing fabuliert. Die Serie macht inzwischen fast 40 % aller Verkäufe aus, man erkennt sie an der dunkel eingefärbten ikonischen Kühlerfigur „Spirit of Ecstasy“ und technischen Raffinessen: Der V12-Motor darf tief grollen, es wurden größere Bremsen und Carbonfelgen verbaut.
Auch dank dieser Fahrzeuge erlebt Rolls-Royce Motors die erfolgreichste Zeit seiner Firmengeschichte. Die einst behäbige Droschke der Staatenlenker und Traditionalisten hat sich längst als zeitgeistiges Luxusgut neu erfunden – und ist in der digitalen und zunehmend elektrischen Auto-Ära gefragter als jemals zuvor. Eine erstaunliche Entwicklung. Wie kam es dazu?
Einige Wochen nach meiner Spritztour mit dem neuen Ghost sitze ich im Büro von Torsten Müller-Ötvös, 61, dem CEO von Rolls-Royce. In Goodwood in der Grafschaft West Sussex liegt seit 2003 das Hauptquartier der Marke. Rund 1.700 Beschäftigte arbeiten in dem unscheinbaren Glaskomplex. Alle der im Jahr 2021 verkauften 5.586 Modelle wurden hier gebaut.
Das Werk hat nichts mit einer klassischen Fabrik zu tun, es erinnert vielmehr an einen Workshop. Die Mechaniker, gekleidet in pechschwarze Chinos und Poloshirts, wirken wie Kunsthandwerker. Ein Fließband gibt es nicht, man stellt ja kein Massenprodukt her. Karl Lagerfeld war hier gern zu Besuch, nicht nur, um ein Auto abzuholen – auch, um Fotos zu machen und der Aura des Ortes nachzuspüren. An den Wänden hängen abstrakte moderne Kunstwerke, Geschenke von Kunden.
Müller-Ötvös leitet seit zwölf Jahren die Geschäfte, zuvor war er bei Mini in Oxford, ebenfalls eine BMW-Tochter. Der grau melierte, groß gewachsene Gentleman ist bestens gelaunt. „Unser Business richtet sich nach der Weltkonjunktur: Wenn die globale Wirtschaft boomt, geht es auch unserem Geschäft hervorragend“, bilanziert der Münchner. Keine andere Automarke trägt mehr zum Erlös des BMW-Konzerns bei.
„Ein Luxusgut muss selten sein – und das gilt auch für einen Rolls-Royce.“
Torsten Müller-Ötvös
Im Jahr 2021 brach Rolls-Royce alle Rekorde: 49 % mehr Verkäufe in allen Märkten der Welt; starke Nachfrage in Russland und Korea, aber auch in China, den USA und im Indopazifik. Aber, das stellt Müller-Ötvös umgehend klar: Bei Rolls-Royce werde es niemals darum gehen, so viele Fahrzeuge wie möglich zu verkaufen: „Ein Luxusgut muss selten sein – und das gilt auch für einen Rolls-Royce.“ Ein Jahr muss der Kunde auf seine Bestellung warten. Müller-Ötvös meint: „Auf einen Rolls-Royce wartet man gerne ein wenig länger.“
Ähnlich bemerkenswert wie die Rekordbilanz ist die Altersstruktur der Kundschaft.
„Wir haben die jüngsten Kunden im gesamten BMW-Konzern, darauf sind wir sehr stolz“, sagt der CEO. Wer einen Rolls-Royce bestellt, ist
im Schnitt 43 Jahre alt; nicht einmal Mini hat jüngere Käufer – auch, weil Rolls-Royce die am meisten zitierte Marke in der populären Musik ist: Für die Protzkultur amerikanischer Gangsta-Rapper sind die britischen Luxusschlitten unverzichtbare Accessoires.
Dass Rolls-Royce nie mehr gehuldigt wurde als heute, hat wohl auch mit der durch soziale Medien befeuerten Narzissmuskultur der Gegenwart zu tun. Jeder Kunde darf beim „Bespoking“ sein Fahrzeug personalisieren, manche dürfen auf Einladung beim besonders exklusiven „Coachbuild“ sogar die Karosserie des Autos nach eigenen Wünschen gestalten lassen. Die Innenverkleidung von Mega-Influencerin und Model Kendall Jenners Ghost ist komplett pink; Justin Bieber hat sich seinen Wraith zu einem futuristischen Batmobil umbauen lassen – allerdings von einer Tuning-Werkstatt in den USA. Manche Kunden färben ihr Auto in Gold, andere lassen das Pulver von 1.000 zerstoßenen Diamanten auflackieren.
Geld für diese geschmacklich fragwürdigen Wünsche ist genug da. Einer Studie des Beratungsunternehmens Capgemini zufolge leben seit vergangenem Jahr erstmals mehr als 20 Millionen Millionäre auf der Welt – ein Anstieg um mehr als 6 %. Die Zahl jener, die mindestens 30 Millionen US-$ auf der hohen Kante haben, stieg um 9 %.
Auch Warenknappheit, weltweiter Chipmangel und hohe Rohstoffpreise treffen Rolls-Royce kaum. „Die Marke ist so stark, dass wir keine Probleme haben, unsere Preise weltweit durchzusetzen“, sagt Müller-Ötvös. Heißt: Eine Preiserhöhung um mehrere 10.000 € fällt bei seiner Kundschaft eher in die Kategorie Kleingeld – und die Pandemie hat Lust auf Luxus gemacht: „Viele Kunden sagen: ‚Mir ist klar geworden, wie schnell sich mein Leben ändern kann, darum will ich mir wieder mehr gönnen!‘“, so der CEO. Die gesamte Luxusbranche ist seit Beginn der Pandemie um 30 % gewachsen und nun 283 Mrd. € schwer.
Doch vor allem die Verjüngung der Marke sieht Müller-Ötvös als Basis für den aktuellen Erfolg. Nach seinem Antritt hörte er sich in der Londoner City um, bei den Analysten und Prognostikern der Hedgefonds; dort beschäftigt man sich detailliert mit der Entwicklung von Geld und Reichtum. Die Spekulanten erklärten: Vermögen werde im digitalen Zeitalter seltener in klassischen (Schwer-)Industrien erwirtschaftet, die wertvollsten Assets seien Ideen und Innovationen. Die Ultra-High-Net-Worth Individuals würden durch den Gründerboom jünger – auch mehr Frauen könnten sich künftig als „superreich“ bezeichnen.
„Für viele ist es heute einfacher geworden, in kurzer Zeit reich zu werden“, sagt Müller-Ötvös, der die vorhergesagten Trends bestätigt sieht. Das von Rolls-Royce bereitgestellte Luxuserlebnis hat sich ebenso geändert: Die Kunden haben seltener Chauffeure, sie wollen die Autos selbst fahren (oder autonom fahren lassen); die Chauffeurdroschke ist out. „Unsere Kunden sind smarte Unternehmer, hinterfragen ein Produkt und dessen Wert ganz genau“, so Müller-Ötvös. Das Investment vergleicht der CEO mit einer teuren Uhr: Man verschenkt sie, gibt sie an die nächste Generation weiter. 80 % aller jemals gebauten Wägen sind noch in Gebrauch.
Der Blick aus den Fenstern geht auf weite Felder; ein sanfter, idyllischer Anblick. Müller-Ötvös fühlt sich hier längst zu Hause, er lebt direkt an der Küste, fährt jeden Tag über schmale Landstraßen zum Werk. Anfangs überwog in der britischen Presse die Skepsis – nach der Übernahme durch BMW wurde eine „Germanisierung“ der urbritischen Ikone befürchtet. Noch heute erinnert man sich in Goodwood an einen Artikel aus der Times, in dem über den neuen Chef mit dem für englische Zungen unaussprechlichen Nachnamen gelästert wurde: „Er kam an einem regnerischen Tag und ließ Umlaute tröpfeln.“ Müller-Ötvös bat um Geduld, sagte zu den englischen Journalisten: „Bewertet mich nicht nach meiner Nationalität, sondern nach meiner Leistung. Lasst uns in ein paar Jahren noch mal sprechen.“ Heute kann er mit einem Grinsen sagen: „Es es ist wohl ganz gut gelaufen.“
Die Straßen rund um Goodwood dienen derzeit auch als Teststrecken für ein Produkt, das einen Epochenwechsel einleiten wird: Spectre, der erste elektrische Rolls-Royce. 2023 soll das neue Modell erhältlich sein. Ab 2030 werden in Goodwood gar nur noch Stromer hergestellt – kein anderer Luxusautohersteller, etwa Maybach oder Bentley, hat ähnlich ehrgeizige Ziele bei der Elektrifizierung.
Firmengründer Henry Royce war fasziniert von Elektromotoren – er entwickelte sie für Lastenkräne, um Antriebe mit Wasserdampf abzulösen. Die neue Mission der Marke passt also zu ihrer Historie. Müller-Ötvös ist zuversichtlich: „Ich bin überzeugt: Unsere Kunden wollen mit uns Geschichte schreiben und den ersten vollelektrischen Rolls-Royce besitzen.“ In diesem wird dann kein V12-Motor grollen, doch das wird die superreichen Influencer am Steuer nicht stören – Hauptsache, der Wagen sieht auf Instagram gut aus.
Text: Reinhard Keck
Fotos: Christian Wind, beigestellt
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2–22 zum Thema „Innovation & Forschung“.