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Regelbrüche und unkonventionelle Ansätze machten die von den Brüdern Demna und Guram Gvasalia gegründete Modemarke Vetements zu einer der populärsten weltweit. Nach dem Abgang seines Bruders will Guram Gvasalia als Creative Director und CEO zeigen, dass er aus dem kurzfristigen Hype langfristigen unternehmerischen Erfolg machen kann. Gelingt ihm der Spagat zwischen genialem Modeschöpfer und smartem Unternehmer?
Obwohl von außen völlig unscheinbar, liegt die Bar 45 dennoch an einer der teuersten Adressen der Welt. Mitten auf der Zürcher Bahnhofstrasse angesiedelt, ist sie umringt von Luxusstores: Direkt gegenüber finden sich jene von Prada und Gucci, auch Burberry hat in unmittelbarer Nähe eine Niederlassung.
Als wir ihn in der Bar 45 zum Interview treffen, blickt Guram Gvasalia aus dem Fenster auf die Geschäfte, deren Marken er seit einigen Jahren Konkurrenz macht – denn die von ihm 2014 mitgegründete Modemarke Vetements interpretierte Luxusmode völlig neu, begründete nahezu im Alleingang den „Ugly Chic“ und startete den Streetwear-Hype der letzten Jahre. Doch nur weil Vetements Streetwear salonfähig gemacht hat, heißt das nicht, dass man sich nicht immer schon als Luxusmarke verstanden hat: „Wir sind natürlich ein Luxusprodukt. Das war immer ein großes Missverständnis: Vetements kommt nicht von der Straße, sondern wird nur von ihr inspiriert. Wir produzieren in denselben Fabriken wie andere Luxusmarken, doch unsere Inspiration kommt woanders her“, sagt Gvasalia.
Vetements wehrte sich von Beginn an gegen die Regeln und Gesetze der Modebranche: Die Fashionshows des Labels wurden in Sexklubs und Kirchen veranstaltet, das Angebot stets künstlich verknappt, eigene Stores oder gar ein eigener Onlineshop sind nicht geplant. 2017 zog das Label dann auch noch aus der Modehauptstadt Paris ins vergleichsweise fast schon biedere Zürich. Der Umzug war laut eigener Angabe auch der Versuch, der „toxischen Modebranche“ der französischen Hauptstadt zu entkommen. Steuern seien auch ein Thema gewesen, hätten aber nur eine untergeordnete Rolle gespielt, so Gvasalia.
Seit die beiden Gvasalia-Brüder Guram und Demna mit Vetements die Bühne der Modewelt betraten, geht es steil bergauf. Das Unternehmen ist laut eigenen Angaben profitabel und wächst stetig, die Kollektionen sind restlos ausverkauft und der Hype rund um die Marke hat dazu geführt, dass Luxusmodelabels plötzlich (wie Vetements) Oversizepullover und T-Shirts mit riesigen Prints in ihre Kollektionen eingeführt haben. Der Instagram-Account der Marke ist mit 4,6 Millionen Followern nach Roger Federer und Rolex der drittgrößte der Schweiz, Stars wie Kim Kardashian, Kanye West oder Rihanna tragen oder trugen die Kleidung von Vetements.
„Wenn man im Leben etwas erreichen will, muss man eine neue Richtung einschlagen“, so Gvasalia, der eine Parallele zum Filmklassiker „Forrest Gump“ zieht. „Forrest fängt an, zu laufen, und plötzlich folgen ihm alle. Sie wissen zwar nicht, wieso, aber sie folgen ihm.“ Doch während Vetements zu Beginn vom Hype getragen wurde, muss das Unternehmen nun beweisen, dass es auch Langlebigkeit besitzt – und diesen Beweis muss Guram Gvasalia alleine antreten, denn sein Bruder Demna, der für viele als das kreative Genie hinter der Marke galt, verließ Vetements bereits 2019, um die Rolle des Creative Directors bei Balenciaga zu übernehmen. Ein anonymes Kollektiv trat – wie zu Beginn – an seine Stelle, bevor der bisherige CEO Guram Gvasalia ankündigte, die Rolle als Creative Director auszufüllen.
„Vetements ist für mich mehr als nur eine Marke. Seine DNA liegt mir im Blut“, so Gvasalia in einem Instagram-Post im Dezember 2021, in dem er den Schritt verkündete. Doch neben der Neuinterpretation der eigenen Identität versucht Gvasalia auch, Vetements unternehmerisch voranzutreiben: Mit der Gründung der neuen Submarke VTMNTS setzte er den ersten Schritt in Richtung einer neuen Struktur, die eine Gruppe von Marken unter einem Dach ergeben soll. Doch schafft Gvasalia es auf eigene Faust, Vetements langfristig als Luxusmodeunternehmen zu etablieren? Oder ist der fast schon schizophrene Spagat zwischen Modeschöpfer und Modemanager zu viel für ihn?
Vetements hielt sich nie an Konventionen. 2014 wurde die Marke gegründet, 2015 schaffte sie dann den Durchbruch – mit der dritten Kollektion, die im legendären Pariser Sexklub Le Dépôt präsentiert wurde. Ungewöhnliche Locations für die eigenen Modeschauen blieben ein Aushängeschild der Marke: Ein chinesisches Restaurant wurde ebenso genutzt wie eine Kirche in der französischen Hauptstadt.
Doch auch sonst schwamm Vetements stets gegen den Strom. Der Stil der Marke brach mit allen Konventionen der Modeszene: Inspirationen kamen von der Straße, aus der Mode der ehemaligen Ostblockländer, aus Neuinterpretationen von bekannten Logos, die überhaupt nichts mit Mode zu tun hatten (ein bekanntes Beispiel ist das Logo des Logistikkonzerns DHL) sowie auch von Motiven aus dem Film „Titanic“, das letztendlich auch Céline Dion (Sängerin des Titelsongs des Films, Anm.) öffentlichkeitswirksam trug.
Vetements will Luxusmode für Normalverbraucher machen, was schon mal ein Widerspruch in sich ist. „Wir probieren unsere Kleidung nicht nur an Models aus, sondern auch an jedem anderen Menschen, egal, ob dünn und klein oder groß und breit. Kleidung für Menschen zu machen, die perfekte Proportionen haben, ist einfach – für jedermann zu designen ist viel schwieriger“, sagt Gvasalia. Und so sind die teils über 1.000 € teuren Stücke stets restlos ausverkauft, was auch mit der Verknappung des Angebots zu tun hat. Bis heute hat Vetements kein Stück mit Rabatt verkauft, sagt Gvasalia nicht ohne Stolz. Dabei entstand diese Praxis nicht aus einer Provokation gegenüber der Modebranche, sondern aus einem tiefen Unverständnis ihrer Rituale: „Die Menschen verstehen die Modebranche nicht mehr. Auch ich verstehe sie nicht, obwohl ich das jetzt schon seit vielen Jahren mache“, sagt Gvasalia.
Vetements startete zwar als anonymes Kollektiv, doch schon bald wurde Demna Gvasalia das Gesicht der Marke. Der Designer gilt als einer der talentiertesten seiner Generation und als Begründer zahlreicher Trends, die die Szene bis heute prägen. Sein jüngerer Bruder Guram kümmerte sich indes um die geschäftlichen Aspekte des Unternehmens, denn Vetements reüssierte nicht nur in der Modeszene, sondern auch wirtschaftlich: Von Anfang an war das Unternehmen profitabel, die Umsätze wachsen laut eigenen Angaben stetig. Selbst in der Pandemie (Vetements verkauft nur in ausgewählten Einzelhandelsfilialen und Online-Shops) wuchs das Geschäft um 25 %. Der Erfolg liegt auch daran, dass man die Kosten stets unter Kontrolle hatte: So wurde nie Geld für Endorsements bezahlt, auch kostenlose Geschenke an Stars sind für Vetements tabu.
Sein Geld verdient Vetements mit ausgewählten Retailern, darunter Saks Fifth Avenue oder Trois Pommes in Zürich. Eigene Stores würden sich nicht rechnen, sagt Gvasalia; dass es keinen eigenen Onlinestore gibt, liegt laut ihm an der Loyalität seines Labels: Die Onlineshops, in denen Vetements verkauft wird, hätten geholfen, das Label groß zu machen, es wäre unfair, ihnen das Geschäft nun wegzunehmen, so der Kreativdirektor.
Konkrete Umsatzzahlen nennt Gvasalia trotz des Erfolgs nicht. „Wir sind ein privates Unternehmen und mögen unsere Privatsphäre sehr. Der einzige Grund, warum wir Zahlen diskutieren würden, wäre, wenn wir verkaufen wollten.“ Forbes schätzt den Wert des Unternehmens, dessen Umsatz wohl bei rund 120 Mio. US-$ liegen dürfte (ähnliche Zahlen werden auch in Medienberichten genannt), auf rund 300 Mio. US-$. Das würde wiederum bedeuten, dass der Anteil der beiden Brüder je rund 150 Mio. US-$ wert ist. Gvasalia will sich dazu nicht äußern, sagt lediglich: „Vermögen ist etwas, wofür man arbeiten muss, Geld kommt nicht von alleine.“
Guram Gvasalia wurde in Sukhumi ge-boren, der Hauptstadt der georgischen Provinz Abchasien, die im Westen des Landes an der Küste des Schwarzen Meers liegt. Die Familie musste Anfang der 90er-Jahre fliehen – Gvasalia war damals sechs Jahre alt –, als Russland einen Aufstand in der Provinz provozierte und einen souveränen Staat ausrief, der nie anerkannt wurde. Die Gvasalia-Familie landete in Düsseldorf, wo die Söhne zur Schule gingen, bevor sie sich ihrer Ausbildung widmeten. Gvasalia, der neben Russisch und Georgisch auch Deutsch, Englisch und Französisch spricht, studierte Wirtschaft, Management und Rechtswissenschaften. Seine ersten Sporen verdiente er sich bei Burberry, bevor er gemeinsam mit seinem Bruder 2014 Vetements gründete.
Seine Vergangenheit und Herkunft hätten ihm gezeigt, was wichtig sei, so der Modeschöpfer: „Wir sind Kriegsflüchtlinge, das ändert den eigenen Blick auf die Welt ein wenig. Wenn ein T-Shirt irgendwo nicht rechtzeitig ankommt, geht die Welt auch nicht unter.“ Der Schritt in die Rolle als Creative Director ist für Gvasalia einer, der als Gedanke schon lange in ihm reifte. Denn obwohl seine Eltern nie zugelassen hätten, dass er Mode studiert – sein Bruder galt für die Familie damals schon als hoffnungsloser Fall –, kam für Gvasalia nie etwas anderes infrage. Für ihn ist die neue Rolle nur der Endpunkt einer unausweichlichen Reise. „Ich hatte das Gefühl, dass es wichtig ist, das öffentlich zu kommunizieren.“ Er wollte Kinder und Jugendliche ermutigen, die von der Modebranche träumen, aber wissen, dass ihre Eltern ihre Entscheidung nicht gutheißen würden. Er wolle aber auch allen Mut machen, die kein Geld für teure Designschulen haben – sprich: all jenen, die aus bescheidenen Verhältnissen kommen und dennoch ihren Weg in der Modebranche gehen wollen.
Auf die Frage, ob er jemals das Gefühl hatte, im Schatten seines Bruders zu stehen, schüttelt Gvasalia den Kopf. „Demna ist ein großartiger Designer, einer der besten seiner Generation. Aber seine Leistungen spornen mich eher an. In der Schule hatte ich die gleichen Lehrer wie Demna sechs Jahre zuvor. Es reicht mir nicht, gut zu sein – ich wollte immer besser als alle anderen sein.“
Das wird er auch sein müssen, denn trotz des wirtschaftlichen Erfolgs hat Vetements ein wenig von seinem Image eingebüßt. In Medienberichten war immer wieder von Schwierigkeiten die Rede; so berichtete das Branchenmedium Highsnobiety bereits 2018, dass die Umsätze zurückgingen und Händler unzufrieden seien. Man berief sich auf anonyme Quellen, doch beide Gvasalia-Brüder wiesen den Bericht ungewöhnlich scharf zurück. Auch die NZZ schrieb 2021, dass das Label „ein wenig in Vergessenheit geraten sei“ und mit VTMNTS einen „Rettungsversuch starte“. Der selbst kreierte Hype sei der Marke zum Verhängnis geworden, so das Blatt.
Gvasalias Plan für das Unternehmen: eine Ansammlung an voneinander unabhängigen Modemarken unter einem gemeinsamen Dach. Dabei soll vermehrt auch jungen Talenten die Möglichkeit gegeben werden, sich auszuprobieren. Die Kernmarke ist und bleibt Vetements, mit VTMNTS hat man Ende 2021 eine zweite Marke ins Leben gerufen. Sowohl vom Stil als auch vom Namen unterscheiden sich die beiden noch nicht sonderlich, wobei VTMNTS etwas klassischer und im Vergleich fast bodenständig daherkommt. Gvasalia kündigt gegenüber Forbes an, mit den Marken in naher Zukunft stark unterschiedliche Richtungen einzuschlagen.
Unter dem Dach der Gvasalia Family Foundation, die im Besitz der Familie steht und wiederum 100 % an der Vetements Group AG hält, sollen weitere Projekte entstehen. Ein ganz konkretes nennt Gvasalia schon: Unterwäsche. Auf dem Markt ist laut Gvasalia seit Calvin Klein wenig Neues passiert: „Das sind extrem spannende Bereiche für uns.“ Nur eine Regel gibt es, so Gvasalia: „Wir wollen nichts starten, das Geld verliert. Ich will lieber Geld verdienen.“ Gvasalia scheint tatsächlich beides zu beherrschen: Wenn er über die Modebranche als Geschäft redet, rattert der Deutsch-Georgier Zahlen herunter, spricht über Überproduktion und fehlende Frequenz in Geschäften, spricht über Kunden in Hongkong, Singapur und Zürich; er referenziert die Uhrenbranche (er selbst trägt übrigens eine von Eric Clapton mitentwickelte Patek Philippe, die für eine sechsstellige Summe gehandelt wird) und verknüpft die Ästhetik der Marken mit der zugehörigen unternehmerischen Strategie.
Guram Gvasalia
...wurde 1985 in Georgien geboren, bevor die Familie Anfang der 90er-Jahre nach Deutschland fliehen musste. Er wuchs in Düsseldorf auf, studierte Rechtswissenschaften und Wirtschaft, unter anderem am London College of Fashion. Nach einer Station bei Burberry gründete er gemeinsam mit seinem Bruder Demna 2014 Vetements in Paris. 2017 zog das Label nach Zürich um, wo Gvasalia wohnt.
Gvasalia erzählt außerdem, dass er sich mit einem Mitarbeiter etwa zehn Minuten täglich dem Trading an den Finanzmärkten für Vetements widmet. Die Gewinne aus dieser Aktivität sind laut Gvasalia bisher so lukrativ gewesen, dass er bereits im Mai alle Gehälter sowie die gesamte Büromiete von Vetements bis Jahresende bezahlen könnte – und noch immer Cash übrig hätte.
Doch wirklich energetisch wird er, wenn er über Mode und Ästhetik, über Kollektionen und Kleidung, über die Marke und ihre Führung spricht. Und obwohl er womöglich nicht das kreative Genie seines Bruders besitzt, könnte die Mischung beider Welten doch genau das Richtige für Vetements sein – denn wer ein Imperium aufbauen will, braucht mehr als nur ein gutes Gespür für Mode. Gvasalia: „Als Designer reicht Talent nicht aus. Man braucht Strukturen, die richtige Energie und viel Disziplin.“ Der Vetements-Gründer nennt Karl Lagerfeld als Vorbild – der Deutsche gilt zwar als absolutes Genie, wenn es um Modeschöpfung geht, doch Lagerfeld kam auch aus einer hemdsärmeligen Unternehmerfamilie und war für seine disziplinierte Arbeitseinstellung und Allgemeinbildung bekannt.
Obwohl Gvasalia den Vergleich zwischen dem deutschen Modepapst und sich selbst nicht zieht, scheint er doch überzeugt davon zu sein, genau die richtige Person an der Spitze von Vetements zu sein. Und er sieht das Unternehmen auch ideal am Markt positioniert, um in Zukunft richtig erfolgreich zu werden: „Ich sehe uns aktuell wie einen Babyhai – wir sind kleiner als die Großen, können also Orte erreichen, an die sie nicht herankommen; gleichzeitig sind wir aber trotzdem ein Hai, also können sie uns nicht so einfach attackieren.“
Fotos: Dirk Bruniecki