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Kaum jemand verkörpert den NFT-Boom und die Chancen und Gefahren von Kryptowährungen so wie Gary Vaynerchuk – der Unternehmer machte im Netz ein Vermögen mit Tierskizzen.
„Danke, Gott, danke, Gott!“ Gary Vaynerchuk erzählt gern, dass er diese Worte in einen leeren Raum gerufen habe, nachdem er begriffen habe, was NFTs seien und was er damit machen könne. Kurze Zeit später kreierte der Unternehmer, der sich „Gary Vee“ nennt, Veefriends, eine 10.300 NFTs umfassende Kollektion. Die Non-Fungible Tokens verweisen jeweils auf ein einzigartiges Werk, dessen alleiniger Besitzer man durch den Token auf der Ethereum-Blockchain wird.
Zum Launch auf der Plattform Open Sea vor einem Jahr überschlug sich die Stimme einer CNN-Moderatorin vor Begeisterung – sie nannte Vaynerchuk ein Genie, ehe noch der erste NFT verkauft war. Die Veefriends entstanden aus Doodle-Zeichnungen von Tieren, die Vaynerchuk am Computer gemacht hatte. Und weil er sonst Unternehmer berät oder Menschen, die es gern werden wollen, sind die Tierchen mit motivierenden Alliterationen versehen: Einen „Innovative Impala“ oder einen „Balanced Beetle“ kann man sich für 10 Ethereum anschaffen, gegenwärtig sind das rund 21.000 US-$. Mehr als 5.200 Menschen kauften und verkauften die Skizzen optimistischer Otter oder lächelnder Löwen bereits; ein Gegenwert von zurzeit fast 200 Mio. US-$ wurde mit Veefriends bislang gehandelt.
Die motivierenden Tiere, die auch den Eintritt in das exklusive Netzwerk von Gary Vee eröffnen sollen, werden trotz des jüngsten Einbruchs der Kryptowährungen weiter rege gehandelt. Vaynerchuk und seine Fans setzen auf eine Erholung des Markts – auch wenn manche Besitzer hochmotivierter Hörnchen vermutlich erst mal viel Geld verloren haben. Vaynerchuk sagt über sich, dass er mehrfach den „richtigen Riecher“ für Trends gehabt habe – allein die 62 „CryptoPunks“, die Vaynerchuk dank eines frühen Einstiegs in eine der wertvollsten NFT-Kollektionen besitzt, sollen mindestens elf Mio. US-$ wert sein.
Am Anfang seiner Karriere brachte der Sohn weißrussischer Einwanderer den Weinhandel seines Vaters von drei auf 60 Mio. US-$ Umsatz, später gründete er erfolgreiche Firmen wie den Restaurantreservierungsdienst Resy und baute mit Vayner Media von New York aus ein Medienunternehmen mit 800 Angestellten auf. Vaynerchuk gehörte zu den Ersten, die in Unternehmen wie Twitter, Facebook oder Uber investierten. Früh erkannte er auch das Potenzial langer, regelmäßiger Personalityshows auf Youtube. Mehr als 34 Millionen Menschen folgen ihm inzwischen auf den verschiedenen Plattformen. Mit seinen Businessratgebern landete Vaynerchuk fünfmal auf der Bestsellerliste der New York Times; Hunderte Entrepreneure schwärmen im Netz davon, durch Vaynerchuks Motivationsreden den Mut zum Gründen gefasst zu haben.
Die dreitägige Konferenz Vee Con in Minneapolis ist eines dieser „nächsten großen Dinge“, die Vaynerchuk seinen Fans beständig verspricht. Bei der mehrtägigen Veranstaltung wird Rapper Snoop Dogg auftreten – und auch Mike Winkelmann alias Beeple, dessen „Everydays“-NFT im vergangenen Jahr bei Christie’s den Rekord-Auktionspreis von 69,3 Mio. US-$ erzielte. Es gehe um eine Zusammenkunft von Führungspersönlichkeiten aus Web 3 und Populärkultur; Vaynerchuk erklärte, der Kongress sei von karrieredefinierender Bedeutung für ihn, er werde liefern.
Seine Anhänger suchen das Gefühl der Gemeinschaft – und Tipps für den eigenen Erfolg. Eine Kombination aus „Kindness und Candor“, Nettigkeit und Offenheit, sowie Durchhaltevermögen und ein Gespür für Trends will der serielle Entrepreneur vermitteln, und wie bei vielen ähnlichen Coaches und Gurus hoffen die Fans auf persönliche Inspiration durch ihr Idol. Dementsprechend vage bleibt auch die Konferenzankündigung für Ende Mai im Netz. Wer ein Veefriends-NFT hat, kann teilnehmen – sonst kostet das Ticket, das natürlich auch ein NFT ist, um die 450 US-$, zahlbar in Ethereum. Dazu kommen die sogenannten Gas-Gebühren für die Blockchain-Transaktionen, die durchaus oft mehrere Hundert Dollar betragen.
Vaynerchuk selbst warnt immer wieder davor, dass die meisten NFT-Projekte – ebenso wie die meisten Start-ups – scheitern würden. In seiner typischen „Tough Love“-Diktion liest er seiner Fangemeinde die Leviten; kurze Sätze, viele „fucks“, direkte Appelle: Wer nicht „self aware“ sei und nicht durch jeden „Shit“ durchgehe, auch wenn das Geld knapp sei, werde scheitern. Doch der Kapitalismus, der Unternehmergeist, die Innovation – all das seien „die fantastischsten Dinge auf der Welt“, sagte der 46-Jährige kürzlich in seinem täglichen Podcast. Und ein paar seiner Zuhörer könnten es schließlich schaffen, „das nächste Uber oder das nächste Slack“ aufzuziehen. Der ideale Unternehmer ist für Vaynerchuk jemand, der sich gegen alle Widerstände durchbeißt und dabei so nett ist wie er, der eine Rede immer wieder mit „Bless you!“ unterbricht, wenn im Publikum jemand niest.
Vaynerchuk bedient mit seinen Produkten gleich mehrere Trends – NFTs sind nur einer davon. Er steht auch für den Boom der Selbsthilfebranche und zieht damit auch Menschen aus Gruppen an, die sonst nicht viel miteinander zu tun haben: „Tech Bros“, die statt über Wellness über Biohacking diskutieren, sind ebenso auf seinen Veranstaltungen zu finden wie Frauen, die eher auf Instagram-Seiten von Coaches nach Lebenshilfe suchen. Der tendenziell männliche weiße Teil der Selbstoptimierungsinteressierten fühlt sich sonst zum Beispiel von Podcaster Joe Rogan verstanden – der bringt nicht nur konservative und libertäre Politik-Stichworte unters Volk, sondern bewirbt auch zahlreiche Hacks zur Verbesserung des „defizitären Ich“, vom Mushroomcoffee bis zur optimierten Sportroutine. Bei Vaynerchuk ist es die Kombination aus Tech, Exklusivität und dem Versprechen, mehr aus sich machen zu können, die diesen Teil des Publikums anzieht. Für die tendenziell eher weiblichen Fans aus der Instagram-Wellnesskultur sind diese Aspekte ebenso attraktiv – viele von ihnen spricht der Unternehmer auch dadurch besonders an, dass viel von Community und Emotionen die Rede ist. Die Doodles mit ihren Alliterationen, durch die manch ein Käufer schon reich wurde, sollen schließlich Botschaften über emotionale Intelligenz vermitteln.
Gary Vaynerchuk
...wurde in Babrujsk in der damaligen Sowjetunion geboren und wanderte als Dreijähriger mit seinen Eltern in die USA aus. Er wuchs in New York und New Jersey auf. Seine berufliche Laufbahn startete Vaynerchuk im elterlichen Weinbetrieb; er gründete später mehrere Unternehmen wie den Reservierungsservice Resy und das Medienunternehmen Vayner Media. Vaynerchuk wurde international als Motivationsredner und Gründer der NFT-Sammlung Veefriends bekannt. Sein privates Vermögen wird auf mindestens 200 Mio. US-$ geschätzt.
„In ein paar Jahren werden wir alle NFTs besitzen, gegenseitig unsere NFT-Sammlungen abchecken und uns miteinander anfreunden, weil wir gleiche Interessen durch NFTs entdecken. Jeder wird ein NFT-Projekt haben – so wie heute jeder einen Social-Media-Account hat“, glaubt Vaynerchuk. Er selbst nimmt nicht explizit für sich in Anspruch, dass seine Werke Kunst seien, seine Fans nennen sie gelegentlich so – und Medien taten das auch, als das Auktionshaus Christie’s kürzlich fünf Veefriends-NFTs für insgesamt 1,2 Mio. US-$ versteigerte.
Die Frage, ob das serielle Doodeln eigentlich Kunst ist, beantworten Fachleute mit einem klaren Nein. Vaynerchuk bediene sich eher einer Art Lockvogeltaktik, sagt etwa Jon Ippolito, Professor für Neue Medien an der University of Maine. Ippolito, der von 1991 bis 2006 Kurator am Guggenheim Museum in New York war, forscht zu digitaler Kunst. Vaynerchuk bediene sich einer Strategie des „Costly Signaling“, bei der man durch eine teure oder aufwendig gestaltete Verpackung den wahrgenommenen Wert des Inhalts steigert. Somit sei der Unternehmer mehr Marketingkünstler als alles andere. „Wir sehen hier sehr wenig Wert, wenn es um den primären Wert im Sinne von Kunst geht – dass Kunst uns etwa herausfordern soll, was unseren Blick auf die Welt oder unser Denken angeht. Der Wert dieser Doodles und vieler anderer NFTs liegt in ihrem sekundären Wert, dem Investitionswert.“ Daneben funktionierten Vaynerchuks NFTs als Schlüssel oder Wertmarken im eigentlichen Sinn – wie eine Eintrittskarte „in diese Gemeinschaft, die dein Leben verändern wird, weil du nun zu diesem exklusiven Club gehören kannst, zu Garys Welt, und an diesem Spezialwissen teilhaben kannst.“ Der Inhalt selbst sei jedoch nichts anderes als das, was man schon von unzähligen anderen Selbsthilfegurus kenne.
Wie die gesamte Krypto-Community sieht sich auch Gary Vaynerchuk einer zentralen Kritik ausgesetzt, die Gegner immer wieder in den Vordergrund rücken: Laut dem Branchendienst Forkast emittierte jede Transaktion auf der Ethereum-Blockchain, die Veefriends nutzt, im vergangenen Jahr 103,42 Kilogramm CO2. Das habe allein 2021 einem Gesamtvolumen von 47 Millionen Tonnen CO2 entsprochen – nicht nur, aber eben auch für das Hin- und Hersenden von Besitztiteln für Strichzeichnungen.
„Wenn die Leute den Energieverbrauch dieser neuen Technologie der Informationsaufbewahrung auf der Blockchain kritisieren, dann ist das etwas überraschend, denn wir verwenden für alles Energie, fürs Geschirrabwaschen, fürs Fliegen, fürs Videospielen“, sagt etwa David Yermack, Wirtschaftsprofessor an der New York University, im Forbes-Interview. Traditionelle Banken, die die bisherigen Währungen handelten, müssten dann ebenso für ihren Energieverbrauch kritisiert werden. Ein solches Argument hält Kunstprofessor Ippolito indessen für „klassischen Whataboutism“. Vaynerchuk jedenfalls nutzt weiter Ethereum, investiert über VaynerFund aber auch in Plattformen, die mit dem Versprechen klimafreundlicherer Blockchains an den Start gehen, etwa Immutable. Zum Start der „Veefriends Series 2“ versprach Vaynerchuk außerdem, einen Teil der Profite in Klimaschutzprojekte zu investieren, um den CO2-Ausstoß „auszugleichen“. Bei kritischen Fragen zu den umweltschädigenden Konsequenzen des NFT-Hypes verweist er auf solche Initiativen.
Dass Vaynerchuk in den vergangenen Wochen nicht auf Interviewanfragen für diesen Text einging, könnte allerdings auch einen anderen Grund haben. Kürzlich wandte sich eine Kinderbuchautorin aus Wales auf Twitter an die Öffentlichkeit und warf dem Millionär ein vermeintlich dreistes Plagiat vor. Karen Ritchies Charaktere für ihre „Treasure of Life“-Serie sehen den Veefriends tatsächlich nicht nur ähnlich, es gibt auch „Gratitude the Gorilla“ und „Determination the Dolphin“, wie es bei Vaynerchuk einen „Gratitude Gorilla“ und einen „Determination Dolphin“ gibt. Der Gorilla steht bei einem Höchstgebot von umgerechnet rund 4.800 US-$, der Delphin bei 14.700 US-$. Ihre Bücher brächten pro Stück sechs Euro, schrieb die pensionierte Krankenschwester Ritchie. Ihr Vorwurf zirkuliert bislang nur in einigen Nischenmagazinen; größere Medienaufmerksamkeit gibt es dafür nicht – und auch keine in der amerikanischen Krypto-Community.
Text: Frauke Steffens
Fotos: Vayner Media