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Kim Egger ließ sich vor anderthalb Jahren ein Chip Implantat einsetzen – eines, mit dem sie bargeldlos bezahlen kann. Klingt nach alberner Spielerei, könnte aber die Zukunft sein.
Wenn Kim Egger einkaufen geht, muss sie an der Kasse keine Geldbörse oder Karte zücken. Die 26-Jährige begleicht ihre Rechnungen, indem sie ihren Unterarm 20 Zentimeter vor das Lesegerät hält. Die Liebe zum bargeldlosen Bezahlen geht bei der Hanseatin unter die Haut.
Die Mitarbeiterin beim NDR hat sich einen Biopolymer-NFC-Chip implantieren lassen, der nicht viel größer ist als ein Streichholzkopf. Auf dem Datenträger sind die Zahlungsdaten einer Debit-Geldkarte gespeichert. Per Nahfeldkommunikation, im englischen Original mit NFC abgekürzt, kann sie somit drahtlos Daten übertragen – und eine Zahlung tätigen.
„Ich war schon immer technikaffin – und bei mir war es auch Neugier. Es gibt Menschen, die sehr trendbewusst leben und Spaß an körperlichen Veränderungen haben“, sagt Egger. Vor zwei Jahren ließ sich die Frau den Datenträger von einem Düsseldorfer Spezialisten einsetzen. Kosten: Rund 400 € – für die Operation und das Implantat. Die Reaktionen waren eher ablehnend: „Meine Freunde wollten es nicht glauben und hielten mich zum Teil für verrückt“, sagt die Redaktionsassistentin.
„Modden“, also Verändern, nennt man in der Biohacking-Szene den Trend zur Technisierung des Körpers. Cyborgs kennt man nach wie vor nur aus Science-Fiction-Filmen, doch schon heute entsteht eine Industrie, die sich mit der technischen Aufrüstung und Modifizierung des menschlichen Körpers befasst. Im Jahr 2020 wurde die Größe des globalen Biohacking-Markts auf 15,42 Mrd. US-$ geschätzt – und dieser wachse bis 2028 durchschnittlich um 19,4 %, wie die Marktforscher von Grand View Research aus San Francisco ermittelten. Davon machten Implantate jedoch nur einen kleinen Teil aus.
In Deutschland ist die Firma Digiwell ein führender Anbieter. Gründer und Geschäftsführer ist der Biohacker Patrick Kramer, der selbst mehrere Implantate unter der Haut trägt. Er sagt: „Ich bin überzeugt davon, dass der gegenwärtige Stand der Digitalisierung gerade mal die Spitze des Eisbergs darstellt.“ Technologie und Biologie würden weiter verschmelzen und den Menschen selbst verändern. Was heute auf der Haut getragen wird, etwa Wearables, werde man bald ganz selbstverständlich unter der Haut tragen. Was heute noch ein Hack sei, werde Normalität – wie
der Besitz eines Smartphones.
Eggers Reise in die Welt der Cyborgs begann mit einer Bachelorarbeit im Studiengang Marketing & Digitale Medien am Hochschulzentrum Essen. Ihr Thema: „Die Akzeptanz von NFC-Handimplantaten im Zahlungsverkehr“. Für die Recherche besuchte sie auch einen Marketingvortrag von Patrick Kramer und sah, wie sich während der Veranstaltung ein Teilnehmer einen Mikrochip unter die Haut setzen ließ. Egger fand heraus, dass weltweit mehr als 200.000 Menschen mindestens ein NFC-Implantat unter der Haut tragen. Auch weil sich immer mehr Menschen für die Technologie interessieren, untersuchte das Stockholmer Karolinska-Institut in diesem Jahr Implantate, deren Fähigkeiten und Nutzen. Werte wie die Körpertemperatur erfassten die Chips exakt und verursachten kaum Beschwerden. Kim Egger hingegen nutzt Implantate nicht für medizinische Zwecke: Auf der App Vimpay sind die Daten ihres Girokontos hinterlegt, die App tauscht Daten mit dem Körperchip aus. Drei Versionen des Miniprogramms sind kostenlos, für drei weitere werden - monatlich - zwischen zwei bis acht Euro berechnet. Allerdings bezahlt Kim Egger inzwischen nur noch selten per Unterarm: Die geringe NFC-Sendeleistung zwingt sie zu Verrenkungen an der Supermarktkasse. „Manchmal reiche ich nicht weit genug um die Coronatrennwände herum“, erzählt sie. Wirklich praktisch ist der Chip im Alltag also (noch) nicht.
Kim Egger (26)
...stammt aus Hamburg und trägt ihre Geld- und Visitenkarten unter der Haut – als Chip-Implantate. Die Mitarbeiterin in der Redaktionsassistenz des Norddeutschen Rundfunks (NDR) hat bereits in ihrer Studienzeit zu Handimplantaten und drahtlosem Zahlungsverkehr geforscht.
Noch hat die Zukunftstechnologie unter Eggers Haut eine eher geringe Halbwertszeit. Nach fünf Jahren muss der Fremdkörper entfernt oder ausgetauscht werden; auch, weil die Technologie schnell voranschreitet. Manche Mediziner sehen die Eingriffe kritisch: Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen Pigmentstörungen, eine bleibende Narbe, eine Infektion oder eine allergische Reaktion – denn im Chip stecken natürlich Metalle und chemische Substanzen.
Bei Kim Egger blieb es nicht bei einem Chip, ihr zweiter Eingriff folgte gleich eine Woche nach der ersten Operation. Sie ließ sich ihre Instagram-Kontaktdaten auf einem Implantat von der Größe eines Reiskorns zwischen Daumen und Zeigefinger einsetzen – als eine Art digitale Visitenkarte. Ihr Traum wäre es, per NFC Kontaktdaten mit neuen Bekanntschaften auszutauschen. „Ein nettes Gimmick“, meint sie.
Doch solange die Technologie nicht in der Masse angenommen wird, wird das schwierig. Auch zieht die Hamburgerin insgesamt ein nüchternes Fazit: Sie würde sich keine weiteren Implantate einsetzen lassen. Ihr Ratschlag an alle, die sich chippen lassen wollen: Lieber noch warten, bis die Implantate extrem klein und kaum mehr spürbar sind.
Fotos: Andreas Weiss