GELD VERDIENEN MIT DER REISELUST

Nach Dauerlockdowns und Reisebeschränkungen lockt in dieser Urlaubssaison eine fast grenzenlose Freiheit – und auch die Urlaubskasse scheint bei vielen noch gut gefüllt. Anleger sollten diesen Text lesen, bevor auch sie in die Ferien fliegen.

Der Sommerurlaub ist ein ­Ritual, das spätestens seit den 60ern des vorigen Jahrhunderts neben einem schon fast zwanghaften Trieb der Nord- und Mitteleuropäer, in den Süden zu reisen, auch deren Kassen in Bewegung bringt. Dieses Jahr sieht es nach zwei Jahren Coronaeinschränkungen nach einem Rekord in der Reiseindustrie aus, denn das weltweite Buchungs­volumen von Freizeit- und Geschäftsflügen liegt zum ersten Mal über dem Niveau von vor der Pandemie. Auch die Aus­gaben für Kreuzfahrten, Bus- und Zug­reisen sind in diesem Jahr deutlich gestiegen; dieses Ergebnis zeigt die Studie „Travel 2022: Trends and Transitions“ des Mastercard Economics Institute mit Einblicken in die Post-Covid-19-Reisegewohn­heiten in 37 Märkten.

Laut der Analyse werden im heurigen Jahr rund um den Globus schätzungsweise 1,5 Milliarden Passagiere mehr fliegen als im Jahr zuvor, wenn sich die beobachteten Flugbuchungstrends weiter fortsetzen. Bis Ende April 2022 überstiegen die weltweiten ­Buchungen für Freizeitflüge das Niveau von 2019 um satte 25 %; die Buchungen für Kurz- und Mittelstreckenflüge legten um 25 bzw. 27 % zu.

Auch die weltweiten Buchungen für Geschäftsflüge übertrafen im März zum ersten Mal das Niveau vor der Pandemie, wobei insbesondere die Langstreckenflüge im April zweistellig zulegten. Der Motor ­dafür war dabei die Rückkehr der Geschäftsreise.

Ein Rekordjahr der Reisebranche sehen auch andere Quellen: Statistas Mobility Market Outlook zufolge könnte das ­globale Wachstum der Reisebranche in diesem Jahr bei rund 48 % ­liegen, was einem Marktvolumen von 637 Mrd. US-$ entsprechen würde. Zu den größten Wachstumstreibern im laufenden Jahr gehört neben Kreuzfahrten (+ 180 % im Vergleich zu 2021) die Hotellerie, die um 57 % wachsen könnte. Die Aussichten sind rosig: Für das Jahr 2026 werden für die ­globale Reisebranche Erträge von rund 950 Mrd. US-$ erwartet, was im Vergleich zu 2022 einen jähr­lichen Anstieg von im Schnitt 10,5 % bedeuten würde.

Krisenbedingt höhere ­Kosten für die Fluggesellschaften haben ­übrigens zu deutlich höheren Flugpreisen für Reisende beigetragen. Bis April 2022 stiegen die durchschnittlichen Flugpreise, bereinigt um die geflogene Strecke, seit Jahresbeginn um etwa 18 %.

Wenn es um Fluggesell­schaften geht, kommt man an ­Ryanair nicht vorbei. Der irische Ultra-­Low-Cost-Carrier wurde im Jahr 1984 ­gegründet und hat seinen Hauptsitz in Swords, Dublin. Mit 152 Millionen Reisenden war ­Ryanair 2019 noch vor der Luft­hansa Group (mit 145 Millionen Passagieren) die größte Fluggesellschaft Europas. Das Unternehmen fliegt mit rund 15.000 Mitarbeitern mehr als 240 Ziele in mehr als 40 Ländern an. Im heurigen Sommer will ­Ryanair dafür mehr als 500 Flug­zeuge einsetzen; 409 davon sind Boeing 737 next Gen.

CEO Michael O’Leary, für ­markige Statements hinreichend ­bekannt und berüchtigt – so bezeichnete er 2020 den Konkurrenten Lufthansa als „Crack ­Cocaine Junkie looking for State Aid“ –, will 22 Mrd. US-$ in 210 neue Boeing-737-8200-„Gamechanger“-Flugzeuge investieren. Der 61-Jährige, der auch schon mal über Fliegen im Stehen oder Toilettengänge nur gegen Bezahlung räsonierte, brachte Ryanair seit seinem Einstieg 1988 an die Spitze, indem er das Unternehmen nach dem Vorbild der US-Fluglinie Southwest umbaute.

Die Aktie des Unternehmens stieg während der letzten drei ­Jahre um mehr als 20 % – und Analysten erwarten noch deutlich mehr: In den seit Anfang Mai ausschließlich positiven Bewertungen sticht das US-Investmenthaus Goldman Sachs heraus, das dem Ryanair-­Papier ­einen Anstieg von 73 %, gemessen am aktuellen Kurs von rund 12 €, zutraut (alle Zahlen wie immer Stand Redaktionsschluss).

Zwar senkte Goldman Sachs die Schätzungen für den Billig­flieger ein ­wenig – Gründe dafür waren ­höhere Treibstoffkosten und ungünstige Wechselkurse –, die Passagierzahlen und die Preise stützten aber unverändert die These einer profitablen Erholung nach der Covid-19-Pandemie und die Kauf­empfehlung der Goldmänner.

Auch die Schweizer Großbank UBS mag die Iren und hat das Kursziel für Ryanair von 18,90 auf 19,20 € angehoben und die Einstufung auf „Buy“ belassen. Der Billigflieger sei für den erwarteten Ansturm der Fluggäste in der an­stehenden Sommersaison gut posi­tioniert, so ­Analyst Jarrod Castle; das Kursziel der UBS steige wegen eines ­neuen Bewertungszeitraums. Ryanair ­dürfte im Fall einer Rezession im ­Vergleich zur Konkurrenz gewinnen und (sofern es nicht zu größeren ­menschen- oder naturgemachten Ereignissen komme) über mehrere Jahre hinweg Passagierwachstum verzeichnen.

Das Engagement der Iren beim Konkurrenten Boeing ­beobachtet man beim europäischen Flugzeugbauer Airbus mit ­Argus­augen, ist es doch bis dato nicht ­gelungen, ­Ryanair auch nur eine ­einzige ­Maschine zu verkaufen. Jene 29 Airbus 320, die in der ­Flotte auftauchen, stammen von der im Jahr 2020 übernommenen ­Lauda Air.

Nichtsdestotrotz ist Airbus Europas größter Luft- und Raumfahrt- sowie (nach BAE Systems) zweitgrößter Rüstungskonzern und mit einem Umsatz von rund 52 Mrd. € im Jahr 2021 und weltweit rund 127.000 Mitarbeitern auch das drittgrößte Luft- und Raumfahrtunternehmen der Welt.

Mit Konkurrent Boeing ­liefert man sich eine harte Schlacht um verkaufte Stückzahlen, bei der die Europäer während der ­letzten ­Jahre die Oberhand gewannen. So ­lieferte Airbus im Jahr 2021 insgesamt 611 Flugzeuge aus; Boeing, noch gezeichnet vom 737-800-Max-­Debakel, kam im selben Jahr nur auf 340 Maschinen.

Dafür gibt es bei den Finanzexperten während der letzten Monate ausschließlich „Daumen hoch“, wenn es um die Aktie geht: In einer brandaktuellen Analyse hat die US-Bank JP Morgan die Einstufung für Airbus auf „Overweight“ mit ­einem Kursziel von 180 € belassen. ­Sollte keine weitere bedeutende Covid-19 Variante mehr grassieren, ­rechnet der JPM-Experte bis Ende 2022 mit einem starken Anstieg des welt­weiten Flugverkehrs.

Auch Deutsche Bank Research hat die Einstufung für Airbus nach Auslieferungs- und Auftragsdaten für den Monat Mai auf „Buy“ (mit ­einem Kursziel von 142 €, Kurs zuletzt 100 €) belassen. Die Zahlen seien nicht sonderlich gut, aber sein Jahresziel von 720 Auslieferungen dürfte der ­Flugzeugbauer dennoch erreichen, so die Frankfurter.

Reisen ist heute ohne die zugehörigen Plattformen kaum noch vorstellbar. Hier hat Booking Holdings, gegründet 1998 als Price­line, die Nase weit vorn. Das Geschäftsmodell des Weltmarktführers in der Sparte der digitalen Reise­vermittlung mit rund 19.000 Mit­arbeitern ist ebenso einfach wie erfolgreich: Von jeder Buchung, die über die Bookingplattform getätigt wird, erhält der US-Konzern eine Provision.

Die Gewinnmargen sind hoch. Selbst im ersten Coronajahr 2020, in dem ein deftiger Umsatzeinbruch um 55 % auf 6,8 Mrd. US-$ verzeichnet wurde, gelang ein Überschuss von 59 Mio. US-$. Branchenexperten rechnen damit, dass der Umsatz bei Booking Holdings in Connecticut im Gesamtjahr 2022 auf im Mittel 17,5 Mrd. US-$ ansteigen wird. Die Aktie konnte mit rund 1.950 € pro Stück während der letzten drei Jahre rund 25 % zulegen.

Illustration: Valentin Berger

Reinhard Krémer

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