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Deutschland will Cannabis noch in diesem Jahr legalisieren. In den USA sind Kifferurlaube schon jetzt eine 17-Milliarden-US-$-Industrie – die weiter Fahrt aufnimmt, denn bald werden rund 50 Prozent aller US-Touristen Millennials sein, und diese Generation entspannt gerne mal mit einem (ganz legalen) Joint. Ein Report über Amerikas Big Canna-Biz.
Adrienne, eine Make-up-Künstlerin in ihren 40ern, wuchs in den Bergen von Georgia auf. In diesem US-Bundesstaat ist Cannabis immer noch illegal – also schlug sie ihrem Mann 2018 vor, Urlaub in Kalifornien zu machen, einfach, um mal zu schauen, wie es ist, Gras ganz legal zu kaufen. „Ich war noch nie in einer Apotheke, in der uns ein Profi herumführt, wir uns zurücklehnen und all das Cannabis-Wissen aufnehmen können“, erzählt Adrienne, die mit freundlichem Südstaatenakzent spricht und seit ihrem 14.Lebensjahr Marihuana raucht. Die „Cannabis-Urlauberin“ buchte einen Ausflug mit Emerald Farm Tours, einem Unternehmen, das von San Francisco aus operiert und Cannabis-Liebhaber zu örtlichen Apotheken führt sowie private Führungen durch Anbaugebiete in der Bay Area anbietet.
Adrienne gab etwa 1.500 US-$ für ihren Cannabis-Urlaub aus – inklusive einer halbtägigen Tour, einer guten Auswahl an Gras und einem Hotelzimmer. Monate später buchte sie eine weitere Reise beim selben Veranstalter, aber dieses Mal meldeten sie und einige Freunde sich für einen Ganztagesausflug an, um eine Outdoor-Cannabis-Farm in Mendocino, drei Stunden nördlich von San Francisco, zu besuchen.
Adrienne hätte nicht zwingend den weiten Weg nach Kalifornien, zu „Amerikas Blütenkorb“, auf sich nehmen müssen, um legal Cannabis zu konsumieren – mittlerweile haben 19 Bundesstaaten und die Hauptstadt Washington Cannabis für den Freizeitgebrauch legalisiert. Weitere Bundesstaaten werden sich wahrscheinlich noch in diesem Jahr anschließen.
In dem Maße, wie sich die Legalisierung ausbreitet, hat sich auch die Stigmatisierung von Gras deutlich verringert. Laut einer Umfrage vom Mai dieses Jahres befürworten mehr als zwei Drittel der amerikanischen Wahlberechtigten (68 %) den Konsum durch Erwachsene. Die Hälfte aller Millennials (50 %) gibt an, dass der Zugang zu legalem Freizeit-Cannabis bei der Wahl eines Urlaubsziels wichtig ist – und mehr als vier von zehn Millennials (43 %) sagen, dass sie sich speziell für ein Reiseziel entschieden haben, weil Cannabis dort legal war.
Bislang wurden Cannabis-Reisen von den Tourismusverbänden und der Branche weitgehend ignoriert. Dadurch lassen Anbieter Millionen von Dollars liegen, sagt Victor Pinho, Mitbegründer von Emerald Farm Tours: „Diese Leute sind Touristen und sie kaufen ein – sie sind hier, um im Mekka des Kiffens Geld auszugeben.“ Ein typischer Kunde gebe während seines Besuchs 300 bis 400 US-$ in Apotheken aus, dreimal mehr als Einheimische.
Noch ist unklar, wie groß die entstehende Cannabis-Tourismus-Branche wird – oder wie groß ihr potenzieller wirtschaftlicher Einfluss auf die 1,2 Billionen US-$ schwere US-Tourismuswirtschaft sein wird. Die ersten Daten sind allerdings vielversprechend: Eine nationale Studie des Marktforschungsunternehmens MMGY Travel Intelligence, die im Vorfeld der Pandemie 2020 durchgeführt wurde, ergab, dass fast jeder fünfte amerikanische Freizeitreisende im Urlaub an cannabisbezogenen Erfahrungen interessiert ist. Diese Zahl steigt auf 62 %, wenn man Cannabis konsumierende Erwachsene über 21 Jahre mit einem jährlichen Haushaltseinkommen von mehr als 50.000 US-$ betrachtet.
Legales Cannabis beflügelt auch andere Wirtschaftszweige. Forbes schätzt, dass von den 25 Mrd. US-$, die im Jahr 2021 mit legalem Cannabis umgesetzt wurden, bis zu 4,5 Mrd. US-$ auf Touristen zurückzuführen sind, die weitere 12,6 Mrd. US-$ in Restaurants, Hotels, Attraktionen und andere Geschäfte sowie in die Steuerkassen der Bundesstaaten und Gemeinden spülen. Jeder Dollar, der bei einem Cannabis-Händler ausgegeben wird, hat einen Multiplikatoreffekt – zusätzliche 2,80 US-$ würden dabei in die lokale Wirtschaft fließen, sagt Beau Whitney, Gründer und Chefökonom von Whitney Economics, einem führenden Beratungsunternehmen für Cannabis und Hanf.
Von Marihuana-Farm-Besichtigungen bis hin zu „Bud & Breakfast“- Hotels: Amerikanische Reiseziele entdecken, dass ein Cannabis-Urlaub nicht mehr nur etwas für Kiffer ist.
Für viele Reiseziele ist das Geschäft mit Cannabis vor allem ein passives Einkommen, für das es fast keine lokale Werbung gibt – so etwa in Colorado, wo Cannabis für den Freizeitgebrauch seit einem Jahrzehnt legal ist und im vergangenen Jahr 423 Mio. US-$ an Steuern einbrachte. Die Website des Fremdenverkehrsamts von Colorado bietet außer allgemeinen Sicherheitstipps zu Cannabis Rechtsberatung und praktische Ratschläge.
„Cannabis ist im Vergleich zu Kategorien wie Outdooraktivitäten keine der Haupttriebkräfte für den Tourismus in unserem Staat“, sagt ein Beamter des Tourismusbüros von Colorado per E-Mail. Doch er merkt an, dass es keine Statistiken oder Berichte über das Reisevolumen oder die Einnahmen gibt. Colorado versucht zwar nicht aktiv, Touristen anzuziehen, die seine Cannabis-Kultur erleben wollen – dafür versuchen das Unternehmer.
Das Patterson Inn in Denver, ein Boutiquehotel mit neun Zimmern, wird bald die erste lizenzierte Cannabis-Konsum-Lounge der Stadt in einem Hotel beherbergen. Besitzer Chris Chiari sagt, dass sein 1.000 Quadratmeter großer Club, der „420 Suite“ heißen wird, bis Ende des Jahres für zahlende Hotelgäste geöffnet sein wird. „Ich würde sagen, es ist wie das ‚Soho House‘ mit Gras“, sagt Chiari. Derweil beginnen einige Reiseziele, den Cannabis-Tourismus für sich zu entdecken. Doch wen wollen sie anlocken? Gibt es den „klassischen kiffenden Urlauber“?
Untersuchungen zeichnen ein Bild eines Cannabis-Reisenden, das weniger wie ein stereotyper Kiffer aussieht – und mehr wie andere gehobene Urlauber. Der Anteil von Männern und Frauen ist gleich; mehrheitlich sind es Millennials oder Jüngere (63 %), sie haben einen Collegeabschluss (59 %), einen Job (82 %) und ein durchschnittliches Haushaltseinkommen von 87.000 US-$, wie ein Bericht der Cannabis Travel Association International (CTAI), einer Branchenhandelsgruppe, zeigt.
„Bis 2025 werden 50 % der Reisenden in den USA Millennials sein“, sagt Brian Applegarth, der Gründer der Organisation. „Und Ihr Verhältnis zum Cannabis-Konsum hat sich weitgehend normalisiert.“ Todd Aaronson, CEO von Visit Modesto, dem Kongress- und Fremdenverkehrsbüro für das landwirtschaftliche Zentrum im kalifornischen Central Valley, stimmt zu: „Hundeliebhaber sind Canna-Nutzer, Feinschmecker sind Canna-Konsumenten“, sagt er. „Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Cannabis-Reisenden und jedem anderen Reisenden.“
Letztes Jahr ging Modesto eine Partnerschaft mit Cultivar ein, einem von Applegarth gegründeten Unternehmen für Cannabis-Tourismus-Strategie. Dabei wurde der „Motown Cannapass“ eingeführt, ein Belohnungsprogramm im Stil eines Reisepasses. Dieser hilft Besuchern, Restaurants, Aktivitäten und Cannabis-Einzelhändler in der Gegend zu entdecken. „Wir wollten die Möglichkeit bieten, zu sagen: ‚Hey, wenn Cannabis dein Ding ist und du hier bist, haben wir legale Einzelhandelsgeschäfte‘“, sagt Aaronson. „Und wir haben Erfahrungen, die man genauso genießen kann, wie wenn man in eine Brauerei oder eine Weinbar geht. Sie sind alle gleich reguliert. Man sollte für alle einen Fahrer mitnehmen. Jeder Besucher ist willkommen. Lassen Sie Ihr Geld hier“, erzählt Aaronson. Der „Motown Cannapass“ ist laut ihm ein großer Erfolg – er habe einen sofortigen Anstieg der Besucherzahlen bei den lokalen Cannabis-Händlern (um 11 %) und auch der Übernachtungsgäste in Modesto bewirkt. „Ich bereue nichts“, sagt er. „Das ist ein bedeutendes Ergebnis.“
Da die Landkarte des legalisierten Cannabis in den USA immer noch einem Flickenteppich ähnelt, hat sich Kalifornien als Zentrum des Cannabis-Tourismus etabliert. Eine Handvoll anderer Reiseziele im Golden State hat kürzlich ihre eigenen Programme gestartet: vom neuen Oakland Cannabis Trail, der Besucher auf eine Reise durch das Marihuana-Erbe der Stadt mitnimmt, bis zum Großraum Palm Springs, dessen Tourismus-Website das Wohlbefinden durch seine Einzelhändler, Hotels, Spas und Touren hervorhebt. Die Los Angeles Times bezeichnete das trendige Viertel West Hollywood kürzlich als „das Amsterdam des Fernen Westens“, dank vieler Abgabestellen; darunter einige, die von Stars wie Jay-Z und Woody Harrelson unterstützt werden.
Doch auch andernorts sind – in mitunter überraschenden Gegenden – Cannabis-Tourismus-Programme entstanden. Im Mittleren Westen hilft der Michigan Cannabis Trail Besuchern, das Beste aus dem legalen Cannabis in der Region zu machen; in Kentucky, wo Cannabis für den Freizeitgebrauch weiter illegal ist, zelebriert der Hemp Highway die CBD-haltige Pflanze.
In Zukunft könnte sich Florida als Mekka des Canna-Tourismus der Ostküste etablieren. Nach Kalifornien ist der Sunshine State der zweitgrößte US-Staat bezüglich Tourismus, Florida hat 2019 Besucherausgaben in Höhe von 99 Mrd. US-$ verzeichnet. Der Bundesstaat verfügt außerdem über den größten Markt für medizinisches Marihuana des Landes mit einem Jahresumsatz von einer Mrd. US-$. Doch bisher sind die Bemühungen um die Legalisierung von Freizeitkiffen auf den Widerstand der Regierung gestoßen.
Einer, der ein Auge auf den Tourismus geworfen hat, ist Kim Rivers, CEO und Mitbegründerin von Trulieve, einem der größten Cannabis-Unternehmen des Landes mit einer Präsenz in elf Bundesstaaten. „Die Chance wird enorm sein“, sagt Rivers über Florida. „Wir haben 21 Millionen Einwohner und 130 Millionen Touristen. Von einem Markt für den Gebrauch durch Erwachsene würde unser Geschäft extrem profitieren.“
Rivers hat viele der Trulieve-Apotheken strategisch positioniert, nämlich an Orten, die für Urlaub und den Tourismus stehen: Orlando, Key West und in der Nähe des berühmten Daytona International Speedway. Obwohl bisher alle Versuche, Cannabis-Konsum für Erwachsene in Florida zu legalisieren, gescheitert sind, ist Rivers zuversichtlich, dass sich der Markt des Bundesstaats verändern wird, sobald die Legalisierung kommt.
Wie groß könnte der Cannabis-TourismusMarkt in Florida sein, wenn der Staat das Kiffen legalisieren würde? Eine Studie über die finanziellen Auswirkungen schätzt, dass Florida 2019 zusätzliche 190 Mio. US-$ an Umsatzsteuer eingenommen hätte – „als Ergebnis dieser Verkäufe und einer damit einhergehenden Zunahme des Tourismus“. Bei einem Umsatzsteuersatz von 6 % wäre man vor drei Jahren sogar von einem potenziellen Markt von 3,2 Mrd. US-$ ausgegangen – nicht schlecht für eine aufstrebende Industrie.
Text: Will Yakowicz und Suzanne Rowan Kellerher
Infografik: Valentin Berger