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Bunte Folien aus Gemüse, die das Sonnenlicht in Energie umwandeln, bioaktive Algen-Fassaden, die Wärme und Biomasse erzeugen, lichtreflektierender Beton: Die Baubranche hat in den letzten Jahren erstaunliche Materialien und Produkte hervorgebracht, zu sehen sind diese im Alltag aber eher selten. Woran liegt das – und wann kommen die Häuser der Zukunft?
Der am häufigsten verwendete Baustoff bei Gebäuden, deren Zweck nicht Wohnen ist, ist Stahlbeton – im Jahr 2020 lag sein Anteil in Deutschland laut Statistischem Bundesamt bei 29,3 %. Doch Stahlbeton bietet nicht die gewünschte Dauerhaftigkeit, dazu kommt Bewehrungskorrosion, also Aufplatzen des Betons wegen Rost. Eine vielversprechende Alternative ist Carbonbeton, dieser wird anstatt um Stahl um ein Carbongitter gegossen. Dadurch hält der Baustoff länger und ist gleichzeitig bei weniger Materialaufwand stabiler. Weniger Materialaufwand bedeutet auch mehr Platz für Menschen und Natur.
2020 wurde das Cube-Projekt gestartet, um zu zeigen, wie gut sich Carbonbeton als Baustoff eignet. Sobald es abgeschlossen ist, soll es als Referenzprojekt dienen, um die noch ausstehende Zulassung voranzutreiben. Initiiert wurde Cube im Rahmen des „Carbon Concrete Composite“-Projekts (C3) der TU Dresden, gefördert wird es vom deutschen Ministerium für Bildung und Forschung. „Anfangs wollten wir einen Würfel bauen, daher der Name. Wir haben aber ziemlich schnell gemerkt, dass diese einfache Konstruktion den Fähigkeiten von Carbonbeton nicht gerecht wird“, erklärt Matthias Tietze, Oberbauleiter des Cube-Projekts. Statt gerader Kanten ist die Decke geschwungen, große Fensterfronten warten darauf, eingesetzt zu werden. Anschließend wird die Technik eingesetzt und im September 2022 soll das weltweit erste Gebäude aus Carbonbeton fertiggestellt werden.
Neben Langlebigkeit, Stabilität und Materialeinsparung hat Carbonbeton noch einige ganz besondere Vorteile, denn Carbon leitet Strom und Wärme. „So können große Flächen beheizt werden, ohne dass man eine externe Heizung einbauen muss“, erklärt Tietze. Interessant ist das – neben Wohnraum – zum Beispiel für Flughäfen: Im Winter dürfen dort keinesfalls die Rollbahnen zufrieren; es wird viel Zeit darauf verwendet, diese von Eis zu befreien. Durch einen beheizten Untergrund könnte dieses Problem umgangen werden. Weiters könnten Carbonbeton-Wände wie Touchdisplays verwendet werden, E-Autos könnten ähnlich wie bei Induktion während des Parkens geladen werden, ohne ein Kabel anzuschließen.
Matthias Tietze schätzt die Zeit bis zur Zulassung auf zwei bis drei Jahre. Bis dahin soll die Herstellung im größeren Stil möglich sein und somit günstiger werden. Wann Carbonbeton in der Standardpraxis ankommt, bleibt offen – denn die Bauindustrie ist eine Branche, die sich nur langsam verändert. „Das liegt daran, dass es sich nicht um eine technische, sondern um eine kulturelle Transformation handelt“, erklärt Fabio Gramazio, Professor für Architektur und Digitale Fabrikation an der ETH Zürich. Er beschäftigt sich dort mit innovativen Konstruktions- und Materialisierungslösungen. Kulturelle Transformation bedeutet, dass der Wandel abhängig von den Menschen ist, die ihn tragen. Die nächste Generation der Bauarbeiter bringt also die Veränderung mit.
Schlüsselbegriff ist laut Gramazio die Digitalisierung. Der Professor meint, dass in Zukunft Roboter schleifen, verputzen und Ziegelsteinwände bauen werden, Menschen hingegen würden koordinieren, kontrollieren, nicht direkt bauen. Sensoren und Hardware werden sich in den nächsten 20 Jahren extrem entwickeln, sie werden mehr können und gleichzeitig billiger werden.
„Darüber hinaus werden Prozesse stärker wissensbasiert als kapitalbasiert sein“, so der Architekt. Durch die Verschiebung auf Wissen als Grundvoraussetzung in der Baubranche profitieren Menschen auf zweierlei Weise: Erstens kann jeder mit dem nötigen Know-how eine Software bauen, die dann auf die Roboter angewendet werden kann – Gramazio vergleicht die Baubranche hier mit der Automobilindustrie: „Im Gegensatz dazu kann nicht jeder ein neues Auto lancieren, das kostet Milliarden.“ Die Digitalisierung leitet den nächsten Industrialisierungsschritt ein „und erlaubt kleinen und mittelständischen Unternehmern, extrem kompetitiv zu sein“, so Gramazio. „Es wird keinen Grund mehr geben, warum Platzhirsche etwas zum – im Vergleich zu kleinen Unternehmern – halben Preis anbieten werden können.“
Zweitens wird es immer Nischenbereiche geben, die für Maschinen zu komplex bleiben. Gramazio: „In diesen Bereichen werden Menschen arbeiten, die extrem qualifiziert sind und gut verdienen“ – begehrte Stellen also. Dem stimmt auch Tietze zu: „Die Baubranche wird attraktiver für junge Menschen. Wir bewegen uns weg von der dreckigen Baustelle und dem schweren Arbeiten.“
Gramazio sieht Beton vor einer besonderen Herausforderung, denn aktuell gehört der Baustoff zu den größten Klimasündern überhaupt. Die Umweltschutzorganisation WWF informiert, dass Zement, also der Hauptbestandteil von Beton, 8 % der weltweiten CO2-Emissionen ausmacht. „Aktuell ist CO2 so günstig, dass es teurer ist, effizient zu planen und so den Materialverbrauch zu verringern“, meint Gramazio. Beton sollte also weniger und vor allem nur da eingesetzt werden, wo es wirklich notwendig ist. Der ETH-Professor rät von Schwarz-Weiß-Denken ab: „Es ist ein bisschen wie mit dem Erdöl:
Es geht nicht darum, diese an sich tollen Materialien und Brennstoffe zu verbieten, sondern vielmehr darum, sie nur dort einzusetzen,
wo es absolut notwendig ist.“
„Am Ende sind es Tausende
kleine Innovationen, die in einem revolutionären Prozess den Wandel herbeiführen werden“, fasst Gramazio zusammen. Es sind so viele kleine Innovationen, dass der Wandel kaum merkbar passiert – vergleichbar ist dieser Prozess damit, Kindern beim Wachsen zuzuschauen: Wenn man sie täglich sieht, merkt man nicht, wie sie älter werden – wenn man sie nur alle drei Jahre sieht, fällt es aber massiv auf.
Matthias Tietze ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Dresden. Er ist verantwortlich für die kaufmännische Geschäftsführung und die Oberbauleitung
des Cube-Projekts.
Fabio Gramazio gründete 2000 mit Matthias Kohler das Architekturbüro Gramazio Kohler Architects, mit demsie bereits verschiedene Preise gewannen. Der Architekt unterrichtet an der ETH Zürich und setzt sich mit der Digitalisierung der Baubranche sowie der Entwicklung neuer Materialien auseinander.
Text: Juli Sixel
Visualisierung: Iurii Vakaliuk, IMB, TU Dresden
Foto: Mateo Juventino
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2–22 zum Thema „Innovation & Forschung“.