620 MILLIONEN GRÜNDE

Zunächst sah niemand auch nur einen Grund, warum gerade sie, eine Tochter serbischer Gastarbeiter, eine solche Karriere hinlegen sollte; allein sie selbst glaubte an sich und ihre Talente. Heute leitet Olivera Böhm das Corporate Geschäft der Uniqa.

Wenn sie mit ihrer Familie im Auto unterwegs sei, etwa in den Urlaub, bekomme die Fahrt schon mal Exkursionscharakter, sagt Olivera Böhm lachend: Viele der Firmen und Produktionsstätten, die am Fenster vorbeiziehen, habe sie nämlich selbst in Augenschein genommen, sich Herstellungsketten erklären lassen und mit den dortigen Teams von Geschäftsführung bis Produktion potenzielle Gefahren diskutiert. Diese Arbeit ist nämlich die Grundlage des sogenannten Corporate und Affinity Business, des Indus­triegeschäfts. Vom Installateur ums Eck bis zur 200 Jahre alten Brauerei oder zur Papier- und Kartonproduktion: Es scheint, als gäbe es nur wenige Wirtschafts­betriebe, die Olivera Böhm in ihrer Karriere noch nicht besucht hat.

Als Chief Corporate & Affinity Business Officer sowie Mitglied des Business Executive Board der Uniqa verantwortet Böhm 620 Mil­lionen € an Prämienvolumen im Uniqa-Konzern (200 Millionen €) und in CEE (420 Millionen €). Ge­­messen am „gesamten Kuchen“, sagt sie, mache das internationale Geschäft etwa 30 % aus, jenes in Österreich 13 %. Insgesamt be­trachtet ist das Industriegeschäft seit 2010 jährlich im Schnitt um 7 % gewachsen, und das Wachstum soll sich fortsetzen: 2022 soll das Segment Corporate & Affinity in CEE auf 605 Millionen € bzw. in Österreich auf 459 Millionen € an Prämien­volumen steigen, gesamt also auf über eine Milliarde €; für 2025 sind 742 Millionen € in CEE und 494 Millionen € in Ös­terreich geplant. Dass Böhm sowohl für das Österreich- wie auch das internationale Geschäft zuständig ist, sei eher die Ausnahme im Konzern und ihren beruflichen Wurzeln – internatio­nale und österreichische Aufgaben – ge­schuldet, sagt sie.

Der Konzern selbst zählt aktuell 15,5 Millionen Kunden in 18 Ländern sowie 23.500 Mitarbeiter. In Österreich ist die Uniqa die zweitgrößte Versicherung nach der Vienna Insurance Group (VIG), das Konzernergebnis 2020 lag bei 57,1 Millionen € vor Steuern – ein Ergebnis, das ­(coronabedingt) ­positiv überraschte. Wider Erwarten können 2021 Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet werden, heißt es im Geschäftsbericht. Mit einem Prämienwachstum von 3,6 % habe vor allem aufgrund des gebremsten Neugeschäfts sowie des stark reduzierten Kundenverkehrs der wichtigsten strategischen Partner, etwa der Raiffeisen-­Bankengruppe, niemand wirklich ­gerechnet – auch, weil bestehende sowie potenzielle neue Kunden nicht physisch getroffen und daher kaum Neugeschäfte abgeschlossen werden konnten.

„Ich durfte Uniqa in mehreren Ländern aufbauen und bin bis heute stolz, dass ich das in der Region machen durfte, aus der meine Familie stammt.“

Manches Mal, das sagt auch Olivera Böhm auf ihren Bereich bezogen, konnte man sich mit Videotelefonie weiterhelfen. Dass sich das Geschäft durch Corona nach­haltig verändert habe, bestätigt sie: „Wir nutzen jetzt einfach alle Wege, um mit unseren Kunden in Kontakt zu treten.“ Und naturgemäß haben einige Bereiche Veränderungen gezeigt: „Während der Lockdowns ist der Straßenverkehr beinahe zum Erliegen gekommen, es gab deutlich weniger Unfälle. Produktionsstandorte wurden ruhend gestellt, gerade hier war die digitale Kommunikation essenziell, um für unsere Kunden und Partner durchgehend da zu sein.“

Im Gespräch mit der Mana­gerin wird schnell deutlich, dass sie ihr Geschäft wie ihre Westentasche kennt. Sie hat es aus allen Perspek­tiven und von der Pike auf gelernt. Begonnen hat Böhms Laufbahn im Versicherungsgeschäft mit einer Lehre – da war sie 15 Jahre alt. „Ich komme aus einer Gastarbeiter­familie, und es war klar, dass ich
mit einer Lehre sehr rasch in die Arbeitswelt eintauchen werde. Dass es die Versicherungsbranche geworden ist, war aber reiner Zufall.“

Sie durfte in den drei Lehr­jahren in vielen Abteilungen Erfahrungen sammeln, sodass für Böhm mit 18 Jahren feststand: Es sollen die Unternehmen, zunächst KMU-­Betriebe, sein. Da wollte sie mehr machen. „Allerdings hatte ich nach zwei Jahren das Gefühl, alle Standardprodukte für diese Betriebe zu kennen. Ich habe nach neuen Herausforderungen gesucht, wollte die ganz großen Betriebe sehen und Produktlösungen entwickeln. Das hat man mir als junger Frau aber nicht zugetraut“, so die Managerin rückblickend. „Ich habe mich dann sehr rasch entschlossen, mich neu zu orientieren und mir selbst meinen Weg zu suchen“, sagt Böhm.

Olivera Böhm
...,Jahrgang 1975, leitet seit 2010 das Corporate-Geschäft von Uniqa International, seit 2016 auch in Österreich. Ihr Einstieg in die Uniqa-Gruppe erfolgte im Jahr 2000, 2004 wurde sie zur Abteilungsleiterin für die Produktentwicklung aller Versicherungssparten für Privat- und Firmenkunden. 2006 wurde Böhm Country Manager für Serbien und Montenegro, seit 2008 ist sie in der Geschäftsführung der Uniqa-International-Versicherungsholding. Olivera Böhm ist Mutter einer Tochter.

Viel Risiko war damals aber nicht dabei, erinnert sie sich, da sie nur für sich selbst verantwortlich war und noch zu Hause bei ihren Eltern wohnte. Ihre beruflichen Ambitionen konnte ihre Familie damals nicht vollumfänglich nach­vollziehen, sagt sie. Es folgten Stationen in der Schweiz und London im angestrebten Indus­trie- und Versicherungsbereich, bevor es 2000 wieder zurück nach Österreich ging, zurück zur Uniqa.

Nach ein paar Jahren als Country Manager für Serbien stieg Böhm 2008 mit nur 33 Jahren in die Geschäftsführung der Uniqa International auf und entwickelte die Wachstumsstrategie des Unternehmens in CEE weiter. „Ich durfte Uniqa in mehreren Ländern auf­bauen und hatte die Möglichkeit, Arbeitsplätze zu schaffen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihren Entwicklungen zu begleiten und ihnen Perspektiven zu bieten. Darauf bin ich bis heute stolz, be­sonders, weil ich das in der Re­gi­on tun durfte, aus der meine Familie stammt“, so Böhm, die bis dahin in Serbien nur ihre Familienmitglieder gekannt hatte. Der Job habe sie ihren Wurzeln näher gebracht.

Bei all den selbst erzielten Erfolgen und der vielen Arbeit dahinter ist Böhm doch am Boden geblieben. Sie ist bescheiden und will mit dem Erreichten vor allem anderen Frauen Mut machen, es ihr und ihren Kolleginnen gleichzutun. „Manchmal ist es auch wichtig, ins kalte Wasser zu springen und etwas zu riskieren“, sagt sie. Denn letztlich sei auch sie nicht allein auf weiter Flur: „Vor allem international haben wir auch großartige Frauen im Vor­stand und erfolgreiche Generaldirektorinnen in Ungarn, Kroatien, Serbien, in der Ukraine, in Monte­negro oder Bosnien.“

Sichtbarkeit sei wichtig, sagt Böhm – nur so werde der Weg für ­andere talentierte Frauen in Führungspositionen geebnet. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Durchmischung auf Führungsebene auch in Österreich größer werde, so Böhm weiter: „Mehr Diversität führt zu besseren Entscheidungen, und letztendlich müssen sich auch all unsere Kundinnen und Kunden mit uns identifizieren können.“

Text: Heidi Aichinger
Fotos: Gianmaria Gava

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 8–21 zum Thema „Women“.

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.