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Am Horizont der Stadtentwicklungsprojekte leuchtet ein neuer Stern: Kigali revolutioniert unser Verständnis einer Smart City, indem die ostafrikanische Metropole mit ihrem Masterplan auf Funktionalität statt auf neuartige technologische Features setzt, Nachhaltigkeitsdimensionen zusammenbringt und die Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Im sattgrünen Hügelland Ruandas sprießen neue Bauprojekte wie Pilze aus dem Boden. Die Hauptstadt Kigali ist eine der größten wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten Afrikas. Mit dem Bruttoinlandsprodukt wächst auch die Bevölkerungszahl. Bis 2050 werden 3,8 Millionen Menschen Kigali ihre Heimat nennen – eine Herausforderung, der man mit dem Kigali Masterplan begegnen möchte, Kigalis ganz individuellem Pfad zur Smart City der Zukunft. Wer nun an schwebende Hochgeschwindigkeitszüge denkt, der irrt. Smartness in den Augen der Stadtplaner*innen, betont Donna Rubinoff, die als Sustainability Consultant wesentlich an der Konzeption und Implementierung des detaillierten Plans 2013 beteiligt war, ziele nicht primär auf den technologischen Aspekt ab. Technologie sei vielmehr Mittel zum Zweck: der Entwicklung einer nachhaltigen, energieeffizienten Stadt, die im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen steht. Smart, das heiße auch das menschliche Maß nicht aus den Augen zu verlieren. Die Entwicklung von Städten sei ein fließender Prozess des Dialoges mit ihren Einwohner*innen, in dem Bedürfnisse kommuniziert und spezifische Lösungen gefunden werden.
Eine Stadt für die Menschen
„Kigali ist nicht Singapur“, lautete die klare Botschaft der Bevölkerung, als die Handschrift der singapurischen Berater*innen, die von der ruandischen Regierung engagiert wurden, im Masterplan immer sichtbarer wurde. Ein Weckruf, der Wirkung zeigte. Heute rühmt sich Kigali eines der inklusivsten Stadtentwicklungsprojekte zu sein. Urbanisierung würde, so Donna Rubinoff, nicht als das bloße Aufstellen eines Gebäudes, sondern vielmehr als lebendes, atmendes Konstrukt verstanden werden. Lebendig wird Stadtentwicklung durch die beteiligten Menschen – Architekt*innen, Umweltwissenschaftler*innen und nicht zuletzt die Einwohner*innen, für deren Ideen und Bedenken Raum geschaffen werden muss. Hierin steckt die Stärke des Kigali Masterplans: Es ist kein über allem erhabener Plan, der jede Kritik abperlen lässt, sondern vielmehr ein Projekt, welches sich laufend an neue Erkenntnisse und Bedürfnisse anpasst. So wurde aus dem 2007 vorgestellten konzeptionellen Masterplan 2013 ein detaillierter Plan, gefolgt von einer erneut überarbeiteten Version im Jahr 2020. Diese neueste Fassung des Masterplans trägt den Namen Kigali Yacu - Unser Kigali und unterscheidet sich grundlegend von ihren Vorgängern, indem sie sich durch einen inklusiven und inkrementellen Zugang zu Stadtentwicklung auszeichnet.
In Kigali wurden mit unterschiedlichen Ministerien und internationalen Organisationen möglichst viele Stakeholder in die Planung mit eingebunden. Einerseits, um von einem möglichst großen Expert*innenkreis zu profitieren, andererseits, um Anstrengungen zu bündeln und ein Verantwortungsgefühl zu schaffen. Und doch verschlossen sich lange Zeit die Ohren der Entscheidungsträger*innen vor einer viel kritisierten Thematik: dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Aus diesem Grund initiierte Donna Rubinoff im Jahr 2012 eine von der Europäischen Union finanzierte Studie des kigalischen Wohnungsmarkts, deren Ergebnisse auf dem Tisch des ruandischen Präsidenten Paul Kagame landeten. Die Zahlen sprechen für sich: 78% der Nachfrage nach neuem Wohnraum kam aus dem untersten Quartil, das heißt von jenen Menschen, die unter der Armutsgrenze leben und auf voll subventioniertes Wohnen angewiesen sind. Bis zu diesem Zeitpunkt wären lediglich knapp 13% der Neubauprojekte sozialem Wohnbau gewidmet worden – eine deutliche Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage, zwischen arm und reich. Das Forscherteam erarbeitete daraufhin eine Wohnraumtypologie, die auf die Bedürfnisse des ärmsten Teils der Bevölkerung zugeschnitten ist. Eine Parzelle mit grundlegender sanitärer Ausstattung, umfasst von einer Mauer und mit einem einfachen Dach, das vor Umwelteinflüssen schützt – so sollten den Wissenschaftler*innen zufolge über 50% der Wohnbauprojekte der kommenden 10 Jahre aussehen. Die Architektin Fatou Dieye hat hierfür mit Unterstützung der Schweizer Regierung ein modulares Wandsystem entwickelt, das durch den Einsatz von regionalen Tonziegeln kosten- und ressourceneffizient ist. Eine 3-Zimmer-Maisonettewohnung wäre bei Anwendung dieses Systems bereits ab rund 10.000 Euro realisierbar. Diese Konstruktion hat wenig mit den modernen Wolkenkratzern und ihren hochtechnologischen Features zu tun, die sich tief in unserer Vorstellung von Smart Cities verankert haben, und doch illustriert sie, dass Smartness keine Frage des Designs, sondern vielmehr eine Frage der Funktionalität ist.
Das destruktive Potential unkontrollierter Urbanisierung
Die Relevanz dieser Erkenntnis wird insbesondere mit Blick auf aktuelle Wachstums- und Urbanisierungsraten deutlich. Afrikas Stadtbevölkerung soll sich in den nächsten 40 Jahren mehr als verdreifachen, Kigalis jährliches Bevölkerungswachstum liegt bei 4% pro Jahr. Eine derart rasant voranschreitende Urbanisierung birgt umwelttechnische, aber auch gesellschaftliche Risiken. Geringverdiener*innen werden aufgrund von hohen Lebenshaltungskosten aus dem Stadtzentrum Kigalis verdrängt, die wirtschaftliche Elite bleibt in Gated Communities unter sich. Diesem Problem zugrunde liegt, dass dem jährlichen Bedarf an 30.000 leistbaren Immobilien, lediglich 2.000 realisierte Wohnbauprojekte gegenüberstehen. Die Folge ist ein drastischer Anstieg informeller Siedlungen, da von den Bürger*innen selbst Hand angelegt wird, um die unbefriedigte Nachfrage nach leistbarem Wohnraum zu erfüllen. Diese Entwicklung ist insofern problematisch, als dass jene informellen Nachbarschaften häufig über keine grundlegende Sanitärausstattung und Trinkwasser verfügen. Konsequenz dieser auch lagebedingten Ungleichheit ist soziale Segregation, die im Lichte des Genozids von 1994 besonders destruktives Potential in sich birgt und der Versöhnungspolitik der Regierung zuwiderläuft. Diese hat es geschafft, dass Täter und Opfer des Völkermordes heute weitestgehend friedlich zusammenleben, nicht selten Tür an Tür. Es ist das Zusammengehörigkeitsgefühl von lebendigen Nachbarschaften, das Brücken baut – zwischen sozialen Schichten und von der Vergangenheit traumatisierten Stadtbewohner*innen. Unkontrollierte Urbanisierung droht dieses empfindliche soziale Gerüst zum Einstürzen zu bringen.
Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit müssen ganzheitlich betrachtet werden
Mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, welche bis 2030 umgesetzt werden sollen, gibt es auch einen Leitfaden für neuere Projekte der Entwicklungszusammenarbeit und einen ganzheitlich gedachten Nachhaltigkeitsbegriff. Wie die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit miteinander interagieren, wird besonders bei der Planung von einzelnen Stadtteilen in Kigali deutlich. Diese sollen so gestaltet sein, dass für die Bewohner*innen des Viertels die wichtigsten Anlaufstellen des täglichen Bedarfs wie Märkte, Schulen und Arbeitsplatz in wenigen Minuten erreichbar sind. Diese Bedingung mag simpel wirken, hat jedoch erhebliche Auswirkungen.
Einerseits sorgt die Ausstattung eines Viertels mit derartiger Infrastruktur dafür, dass es entwicklungstechnisch nicht hinter wohlhabenderen Stadtteilen zurückbleibt und Versorgungssicherheit gewährleistet wird. Andererseits hat eine solche Planung auch große ökonomische Auswirkungen. Lange Wege für die Besorgung von Gütern des täglichen Bedarfs werden überflüssig. Diese Zeit- und Geldersparnis kurzer Wege kann laut Rubinoff dazu führen, dass mehr Menschen einer erwerbsmäßigen Beschäftigung nachgehen können: “Schätzungsweise könnte durch die Planung guter Nachbarschaften eine Steigerung von 10% des Bruttoinlandsprodukts realisiert werden.” Eine wirtschaftliche Steigerung, die den ohnehin beeindruckenden Wachstumszahlen Ruandas zusätzlichen Aufschwung geben könnte.
Letztlich bedeuten kurze Distanzen auch, dass mehr Wege zu Fuß, mit dem Rad oder per Motorrad-Taxi zurückgelegt werden können. So werden weniger Emissionen verursacht und langfristig kann sich die Stadt von einem “Automobilzentrismus” zugunsten von nachhaltigeren und effizienteren Alternativen lösen.
Kigali - nicht nur Vorbild für Städte des Globalen Südens
Kigali bricht mit der westlichen Dominanz an Best-Practices in der Stadtentwicklung - Wien, München oder Barcelona sind bekannte Beispiele -und dient aufgrund ähnlicher Herausforderungen als Vorbild für viele afrikanische Städte. Von Kigalis Pionierarbeit in der Konzipierung des Plans können nicht nur afrikanische, sondern alle Großstädte weltweit etwas lernen. Technologische “Smartness” einer Stadt sollte kein Selbstzweck sein, sondern immer seinen Bewohner*innen dienen. Für europäische Stadtplanung wirft der Masterplan die Frage auf, wie “Smartness” mit alltäglichen, sich wandelnden Bedürfnissen verbunden werden kann. Kigali zeigt, dass es für “Smartness” nicht unbedingt USB-Ladestecker an jeder Parkbank braucht, sondern vielmehr Stadtviertel, die eine effiziente, dezentrale Versorgung garantieren, Nachhaltigkeitsdimensionen zusammenbringen und zum Leben erwecken.
Text: Livia Morscher und Timo Nothdurft
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Fotos: Paul Schwarzmann, Daniel Wyss, Fatou Dieye, Isaac Rudakubana
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