Die Wohlfühlbanker

Werte sind wichtiger als Rendite, und ein gutes Gewissen ist die schönste Art der Gewinnmaximierung: So sieht es jedenfalls die Alternative Bank Schweiz, seit 35 Jahren eine Rebellin unter den eidgenössischen Finanzinstituten. Einst wurde sie verlacht, heute profitiert sie nicht zuletzt vom grünen Zeitgeist.

„Es ist eine gute Idee – die nie funktionieren wird.“ Diesen Satz sagte Nicolas Bär, Verwaltungsratspräsident der Privatbank Julius Bär, zu den Gründern der ABS, der Alternativen Bank Schweiz. Ein Geldinstitut, das sich allein dem ­Gemeinwohl verpflichtet statt der Gewinn­maximierung? Schöne Spinnerei, aber kein tragfähiges Geschäftsmodell. So sahen das wohl alle Schweizer Topbanker, als sich 1990 eine Gruppe von Aktivisten aus dem linksgrünen Milieu zusammenschloss, um die ABS zu gründen. Heute weiß man: Topbanker Bär irrte.

Aktivisten aus dem Öko-Milieu, ­darunter Greenpeace, WWF, die Grüne Partei, aber auch die Sozialdemokraten, das Hilfswerk Heks, ­Aktion Finanzplatz Schweiz (AFP) und andere gründeten 1990 den Trägerschaftsverein Alternative Bank ABS. Heute sind mehr als 9.100 Ak­tionärinnen und Aktionäre in der Bank investiert, 43.000 Kunden vertrauen auf ihre Dienste; die Bilanzsumme liegt bei mehr als 2,3 Mrd. CHF.

Seit fast 35 Jahren beweist die Alternative Bank Schweiz somit, dass ein nach eigener Aussage politisch links stehendes Geldhaus erfolgreich sein kann. Wobei der Erfolg ja ohnehin nicht in Gewinn und Dividendenhöhe gemessen wird – das Geschäft der ethischen Banker ist der Einsatz für das Gemeinwohl. Ihre Investitionen richten sich nach strengen ethischen und ökologischen Richtlinien.

„Das Ziel war nie, in Schönheit zu sterben. Wir sind keine NGO, wir wollten von Anfang an zeigen, dass wir als Bank stabil sein können“, sagt Verwaltungsratspräsidentin Anita Wymann, 57. Die Gründer der ABS waren ihrer Zeit voraus, was Skeptiker wie Nicolas Bär nicht glauben konnten. Heute dominiert ein grüner Zeitgeist, der auch den wirtschaftlichen Mainstream erfasst hat.

Ethische und soziale Alternativbanken wie die ABS sind zunehmend gefragt. Weltweit gibt es 77 Banken, die sich auf soziale und nachhaltige ­Finanzierungen konzentrieren und ein Vermögen von rund 200 Mrd. US-$ verwalten.

In Europa gehört zu diesem Kreis eine bunte Schar von Geldinstituten, die mit ihrem Geschäft gegen das klassische Banking rebellieren. Die kleinste Alternativbank ist die deutsche Ethikbank aus Sachsen, die in ethische, soziale und ökologische Fonds investiert. Zu den ­Großen der Branche gehört die Bochumer GLS Bank, eine Genossenschaftsbank, die in den 70er-Jahren aus dem anthroposophischen Geist entstand, heute 350.000 Kunden betreut und sogar mehrere Filialen hat. Die Umweltbank ist hingegen eine Aktiengesellschaft, die sich auf die Finanzierung von Umweltprojekten konzentriert.

In den kommenden Jahren sollen hohe ­Summen in ethische Unternehmen investiert werden, daher wollen die Banken enger ­zusammenarbeiten. Die Triodos Bank, Europas größte Alternativbank, hat daher mit der ABS eine Vereinbarung zur gemeinsamen Finanzierung nachhaltiger ­Unternehmen unterzeichnet. In den kommenden Jahren soll in erneuerbare Energien, nachhaltige Immobilien, ökologische Landwirtschaft sowie den Gesundheits- und Bildungssektor investiert werden – vor allem in den Niederlanden, ­Belgien und Deutschland. Die Triodos Bank will bis zu 300 Mio. € in Projekte mit positiver Wirkung ­investieren.

Doch so ethisch denken nicht alle Anleger. Abseits der Ökobanken werde Geld weiterhin ­anders betrachtet als etwa Essen oder Mode, wo Verbraucher verstärkt auf das Ökolabel achten, sagt Rico Travella, Mitglied der Geschäftsleitung der ABS. Er meint: Menschen wollen lokale Biokost und Fashion aus nachhaltigem Baumwollanbau, der Umwelt und sich selbst zuliebe, nur beim Thema Geld sieht das anders aus – ob ihre Anlagen der Gesellschaft schaden, interessiert die meisten (noch) kaum. Travella wünscht sich daher, dass mehr Menschen Geld auch als Rohstoff betrachten, der sauber sein kann; und dass nicht nur die ABS und ihre Kunden darauf achten, dass Investitionen eine positive Wirkung entfalten.

„Das Ziel war nie, in Schönheit zu sterben. Wir sind keine NGO – wir wollten von Anfang an zeigen, dass wir als Bank stabil sein können.“ -Anita Wymann

Wie könnte eine positive Wirkung also aussehen? Dazu, so Travella, müsse man sich nur die Kunden ansehen, die mit Krediten der ABS versorgt werden. Zu jenen zählen unter anderem die Jenni ­Liegenschaften AG, bekannt für nachhaltigen Wohnungsbau mit 100 % Solarenergie, Kulturpunkt GR, ein Bistro mit interkulturellem Treffpunkt in der Churer Altstadt, Serbeco, ein Recycling-Familien­betrieb aus Genf, ein Händler von nachhaltigem Biokaffee oder Voltiris SA, ein Start-up aus Lausanne für Gewächshäuser und Photovoltaikanlagen. Auch eine Asyl-Organisation, die sich für Zusammenführungen von Flüchtlingsfamilien einsetzt, wird unterstützt.

ABS ist eine klassische Anlage-, Spar- und Kreditbank. Auf Investmentbanking, ­Eigenhandel mit Wertpapieren und Börsenspekulation ver­zichtet man – also auf jene Geschäftsfelder, die zuverlässig Geld bringen, aber nicht den besten Ruf haben. Auch bekommt die konventionelle Landwirtschaft kein Geld von der ABS.

Ob die Alternative Bank Schweiz ihre Grundsätze einhält, prüft eine unabhängige ­externe Ethik-Kontrollstelle – so halten es die ­Statuten der Bank fest. Für dieses Kontrollorgan wurde die Bank kürzlich mit dem Ethik-Preis der Universität Neuenburg ausgezeichnet.

Besonders gewürdigt wurde das hohe Maß an Unabhängigkeit der Ethik-Kontrollstelle. Der externe Dienstleister Ethix darf seine ­Meinung frei äußern und legt den Aktionärinnen und ­Aktionären auf der Generalversammlung auch ­kritische Kommentare über die Bank und ihre Aktivitäten vor; ein Modell, das „eine breite Anerkennung und Nachahmung in der Schweiz, Liechtenstein und vielleicht darüber hinaus verdient“ habe, meinte die Jury.

Doch welche Anlage ist zu 100 % grün und nachhaltig, und welche tut nur so? Oder: Sind die Richtlinien zu streng? Wer genügt den hohen Anforderungen der Bank? Wie groß kann überhaupt der Impact sein, wenn man vor allem die (noch kleine) eigene Nische bedient, und das ­eigene ­Milieu? Auch diese komplexen Fragen gilt es im Alltag der ABS immer wieder abzuwägen.

Nicht nur das Produkt, auch die sozialen und ökologischen Geschäftsumstände eines potenziellen Kunden durchleuchten die Banker. „Wir sind nicht nur grün, wir sind rot-grün“, sagt Wymann. Der Biokaffeehändler, der das Wohl der Farmer in den Vordergrund stellt, bekommt also seinen Kredit; der Händler, der die Schweiz mit Biokiwis aus Neuseeland versorgt, eher nicht: Zu weite und emissionsintensive Transportwege, ­erklärt die Bankerin.

Natürlich will die ABS auch bei der eigenen Arbeitskultur eine Vorreiterin sein. Die Bezahlung ist transparent (Wymann verdient als Verwaltungspräsidentin für ein 40-%-Pensum zwischen 80.000 und 90.000 CHF), es gilt Geschlechtergleichheit; Teilzeitarbeit und Job­sharing sind bis in die Geschäftsleitung möglich. Es gibt sogar mehr Kundinnen als Kunden, die den größten Teil des Vermögens stellen – auch das dürfte in der Bankenbranche eine Seltenheit sein.

Verwaltungsratspräsidentin Wymann wird im kommenden Jahr neun Jahre im Amt sein – ein Rekord. 2025 will sie sich daher aus dieser Position verabschieden. Die Präsidentin arbeitet seit 2004 im ABS-Verwaltungsrat mit und hatte zuvor den Kreditausschuss geleitet. Sie ist außer­dem Teilhaberin des Beratungsunternehmens Wymann und Friedrich GmbH und doziert unter anderem an einer Fachhochschule, dem Kompetenzzentrum für Banking CYP und an der KV Business School. Ihre Fachgebiete sind Wirtschaft und Recht.

Für eine Bankerin ungewöhnlich ist auch Wymanns Werdegang: Politisiert wurde sie in der Umweltschutzbewegung, sie protestierte Ende der 80er-Jahre gegen das Waldsterben. ­Später war sie auch in der LGBTQI-Bewegung ­aktiv und ging im Kampf für mehr Gleichberechtigung auf die Straße. Der Weg von der Protest­lerin zur ­Topbankerin begann mit ­einer Lehre als Bankkauffrau, eine eher unübliche Ausbildung in ­diesem Milieu.

Wymanns Werte und Mission änderten sich nicht mit dem Einstieg in die Finanzbranche. Sie wollte auch in der Geldwirtschaft dafür sorgen, dass es den Menschen und der Natur besser geht und ihre Arbeit einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat. So beschreibt sie ihre Mission bis heute und sagt: „In der ABS habe ich eine Heimat gefunden.“

Wymann ist als Verwaltungsratspräsidentin eine Ausnahme – in der Schweiz besetzt meist ein Mann dieses Amt. Die ABS hat unter den Schweizer Banken den höchsten Frauen­anteil im Verwaltungsrat. Über die Hälfte des ABS-Teams sind Frauen, auch in der Geschäftsleitung sind zu gleichen Teilen beide Geschlechter ­vertreten.

Neben der realisierten Gleichstellung sind Wymann und Travella besonders stolz auf die Work-Life-Balance ihres Personals. ­Überstunden sind bezahlt, wobei die Mitarbeiter der ABS ohne­hin lieber ihre freie Zeit genießen, statt mit harten Extraschichten zu protzen, wie es bei anderen Banken üblich und erwünscht ist. Selbst Geschäftsleiter haben genug Zeit und Muße, um neben dem Bankjob Fahrradläden zu betreiben oder Wein anzubauen.

Die sehr alternative Arbeitskultur der ­Alternativbank scheint sich positiv ­auszuwirken: Die Dienste der Bank sind weiter sehr gefragt, vielleicht sogar mehr denn je, das zeigt das zunehmende Interesse der Kunden. Viele ­wollten bewusst mit der Bank zusammenarbeiten, heißt es – weil das Image des Geldhauses offenbar ­ausstrahlt und Kreditnehmern eine Art ­grünes Siegel verpasst.

Ökologisch, nachhaltig und zu 100 % ­politisch korrekt: Das ist das Versprechen der Wohlfühlbanker aus dem Kanton ­Solothurn. ­Genauso wie Banker Bär hat die ABS auch ­Bertolt Brecht widerlegt. Der ließ Mackie ­Messer in der „Dreigroschenoper“ fragen: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Wobei der Dramaturg beides als verbrecherisch erachtete.

Brecht konnte natürlich noch nicht ahnen, dass Jahrzehnte später alternative Banken entstehen würden, die nur für das Gemeinwohl wirtschaften.

„In der Alternativen Bank Schweiz habe ich eine Heimat gefunden.“ -Anita Wymann

Text: Reinhard Keck
Fotos: beigestellt

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