Fahrerwechsel

Als derzeitiger Entwicklungschef bei Mercedes-Benz zerbricht sich Ola Källenius den Kopf, wie das Auto der Zukunft aussehen könnte. 2019 soll er Dieter Zetsche als CEO der Mercedes-Mutter Daimler nachfolgen.

„Da sind Sie hier genau an der richtigen Adresse“, ruft Ola Källenius aus. Kurz zuvor hatte er gefragt, warum wir denn ein Interview mit ihm führen wollen – und wirkte dabei fast verwundert, dass sich jemand für seine Ausführungen interessieren könnte. Gespielt oder echt: Die Bescheidenheit wirkt.
Wir sagten dem groß ­gewachsenen Schweden, der uns in hellblauem Hemd – ohne Sakko und Krawatte – empfängt, kurz zuvor, dass wir mit ihm über das Auto der Zukunft sprechen wollen. Und vermutlich ist Källenius’ Büro im deutschen Sindelfingen ein ganz guter Ort, um damit anzufangen. Das dortige Mercedes-
Werk ist eine wahre Ministadt, in der 25.000 Mitarbeiter tagein, tagaus an ebendiesen Autos der Zukunft schrauben, forschen, tüfteln. Dabei gehen nicht nur die E- und S-Klassen von Mercedes hier vom Band, der Standort beheimatet auch Entwicklung und das Design des Mutterkonzerns Daimler. Seit 100 Jahren werden hier, rund 40 Minuten südwestlich von Stuttgart, Mercedes-Fahrzeuge produziert – Sindelfingen ist wohl der traditions­reichste der Daimler-Standorte. Mittendrin: Ola Källenius. In einem Eckbüro mit Aussicht auf Produktion und Entwicklung. In einem Schaukasten steht ein Modell des Formel-1-
Weltmeisterautos von Lewis Hamilton aus dem Jahr 2008.

Ola Källenius
1969 in Schweden geboren, studierte Ola Källenius International Management in Stockholm und Finance and Accounting an der Universität St. Gallen. 1993 trat er mit 24 Jahren in die internationale Nachwuchsgruppe der damaligen Daimler-Benz AG ein. Källenius ist seit 1. Jänner 2017 Entwicklungschef von Mercedes, 2019 soll er Dieter Zetsche als Vorstandsvorsitzender von Daimler beerben. Der Schwede ist verheiratet und hat drei Söhne.

Seit Jahresbeginn ist (der Artikel stammt aus dem Sommer 2017, somit beziehen sich alle weiteren Zeitangaben ebenfalls darauf, Anm.) Källenius Entwicklungschef von Mercedes. ­Voraus gehen diesem Posten über 20 Jahre im Daimler-Konzern, die 1993 ihren Anfang nahmen. Källenius stieg mit 23 Jahren in den Konzern ein (in der internationalen Nachwuchsgruppe der damaligen Daimler-Benz AG, Anm.) und arbeitete sich über das Motoren- und Abgasmanagement und den Material­einkauf sowie die Marke McLaren zur Geschäftsführung von ­Mercedes’ High-Performance-Marke AMG hinauf. Der nächste Schritt war ein Wechsel in den Vertrieb der Marke, ab 2015 war der Manager Mercedes-
Vertriebschef und Mitglied des Daimler-Vorstands. Und nun also Entwicklungschef. Der erste Nicht-Ingenieur in der Geschichte des Unternehmens ist er, der diesen Posten bekleidet. Denn Källenius ist gelernter Betriebswirt, absolvierte sein Studium in Stockholm und an der Universität St. Gallen. Allein das ist für die so traditionsreiche und stolze deutsche Automobilbranche ein starkes Signal. Doch Källenius wird aus einem anderen Grund als eine der heißesten Personalien der Branche gehandelt. Denn es gilt als offenes Geheimnis, dass Källenius den 47-jährigen Dieter Zetsche 2019 als Vorstandsvorsitzender der Daimler-Gruppe ablöst.

Der ursprünglich als Nachfolger gehandelte Wolfgang Bernhard schied zu Jahresbeginn aus dem Konzern aus, er hatte zuvor die Sparte Trucks & Buses geleitet. Die beiden gelten als Gegenpole: Bernhard war hart und direkt, eckte an – unter anderem beim Betriebsrat. Källenius gilt als diplomatisch, höflich, ruhig. Während Bernhard also ging (oder: gehen musste), wurde Källenius’ Vertrag um fünf weitere Jahre verlängert. Es werden interessante, herausfordernde Jahre. Als Entwicklungschef verantwortet der Manager im Moment nicht weniger als die Zukunft von Daimlers bekanntester Marke – und bald noch mehr als das.
Dabei ist Källenius derzeit in einer guten Situation: Bei Mercedes läuft es seit geraumer Zeit wieder blendend. Die noch vor Kurzem altmodische, fast verstaubt wirkende Marke hat sich einer Verjüngungskur unterzogen.

Wir wollen den Weg von A nach B für den Kunden so bequem und zeitoptimiert wie möglich gestalten. Da ist viel drin.

„Wir wollen alle ­Kunden haben, egal ob jung oder ‚young at heart‘. Wir haben hier in den letzten fünf Jahren eine große Veränderung erlebt“, sagt Källenius. 2016 war ein Rekordjahr für Daimler im Allgemeinen und Mercedes-Benz im Speziellen. Während der Konzern seinen Umsatz um rund drei Prozent auf 153,3 Milliarden € steigerte und 8,8 Milliarden € Gewinn schrieb, stiegen die Absatzzahlen bei Mercedes noch kräftiger. Satte 11,3 Prozent wuchs der Absatz bei der Marke mit dem Stern, im Kalenderjahr 2016 lieferte man 2,1 Millionen Fahrzeuge aus. In Europa wuchs man um 12,4 Prozent, in China sogar um 26,6 Prozent. Nur in den USA ging es um 0,8 Prozent nach unten. Getrieben wurde die Verjüngung der Kunden – und der Marke – vor allem durch die neue Kompaktwagen-Familie von Mercedes. 2012 brachte man die neue A-Klasse auf den Markt, deren Fahrzeuge mehr einem VW Golf als klassischen Mercedes-Modellen ähnelten. Traditionelle Fans waren ob der Dimensionen skeptisch, doch der Schritt machte sich bezahlt: Frauen und vor allem jüngere Fahrer wurden plötzlich zu Mercedes-Kunden, allein 2017 verkauften sich über 600.000 Stück der Familie. Doch trotz guter Zahlen und neuer Kunden wartet auf Källenius und Mercedes ein Kampf an zahlreichen Fronten. Vier große Felder sind es, für die es Strategien braucht. Sie werden mit dem Akronym „CASE“ abgekürzt. Denn es ist nichts Neues, dass die Automobilbranche im Umbruch ist, der sich in den Bereichen Connected, Autonomous, Shared& Services und Electrification abspielt. Genug Gesprächsstoff also, wenn man sich für das Auto der Zukunft – oder die Zukunft des Autos – interessiert. Källenius sitzt uns also gegenüber – und beginnt gleich mal, nachzufragen: Ob die deutschsprachige Ausgabe von Forbes denn dem US-Magazin unterstellt sei (ja, teilweise); ob wir auch Inhalte aus den internationalen Ausgaben für unsere Ausgabe übernehmen (ja, teilweise) und worüber wir denn mit ihm sprechen wollen – wobei wir wieder am Anfang wären. Dann lehnt er sich zurück, sieht uns durch seine randlose Brille an – und wartet ab.

Allein die Tatsache, dass ein Nicht-Ingenieur Entwicklungschef wird, ist für die deutsche Automobilindustrie ein Signal.

Man hört immer wieder, dass die Menschen sich immer schneller bewegen. Die physische Mobilität steigt aber nicht wirklich – wir fliegen und fahren noch immer ungefähr gleich schnell wie vor 70 Jahren. Werden wir also schneller?
Die Anzahl der Bewegungen steigt. Mit der Erfindung des Automobils ­haben wir diese individuelle Freiheit, was Bewegung von A nach B betrifft, erweitert. Diesen Mobilitätsbedarf, sowohl für Menschen als auch Waren, sehen wir in einem steigenden Trend. Mit welcher Geschwindigkeit man sich bewegt, bestimmt jedoch die StVO (Straßenverkehrsordnung, Anm.). Die Anzahl der Bewegungen ist weltweit ein Wachstumsgeschäft.

Verschnellert sich nicht vor allem die gefühlte Mobilität?
Die intelligente Vernetzung der Autos wird dazu führen, dass die Verkehrssysteme weiter optimiert werden können. Das war immer ein Thema. Bei der Vernetzung „Car-to-Cloud“, „Cloud-to-Car“ – die wir letztes Jahr mit der E-Klasse und der zugehörigen „Car-to-X“-Kommunikation eingeführt haben – haben wir primär Sicherheit im Kopf. Wenn eine E-Klasse auf der Straße fährt und es zu einem ESP-Eingriff kommt, weil der Untergrund glatt wird, kann diese Information in die Cloud gesendet und ­nachfolgenden Autos als Warnung mitgeteilt werden. Diese Vernetzung steigt. Auch mit unserem neuen Partner, wir haben ja eine Investition in den Kartendienstleister Here gemacht, geht es darum, Verkehr, Karte und Route intelligent zu vernetzen. So wollen wir für den Kunden den Weg von A nach B so bequem und zeitoptimiert wie möglich gestalten.

Anmerkung: Ursprünglich von Nokia für die hauseigenen Smartphones entwickelt, kümmert sich Here als Geodatendienst mittlerweile um die Karte der Zukunft für das Auto der Zukunft. Ende 2015 übernahmen Audi, BMW und Daimler das ­Unternehmen gemeinsam für rund 2,6 Milliarden €. Die drei deutschen Autobauer scheinen zu verstehen, dass die Konkurrenten nicht mehr nur Toyota, General Motors und Hyundai heißen, sondern auch Google und Amazon. Und intelligente Karten nun mal ein Schlüssel zum Funktionieren von selbstfahrenden Autos sind. Zudem nutzen die deutschen Unternehmen Here offenbar auch als Plattform, um weitere Verbündete an Bord zu holen: Zu Jahresbeginn gingen 15 Prozent der Anteile an den US-Chiphersteller Intel. Zudem gingen insgesamt zehn Prozent an den chinesischen Internetkonzern Tencent, den Kartendienstleister NavInfo sowie Singapurs Staatsfonds GIC. Weitere Anteilsverkäufe? Nicht ausdrücklich ausgeschlossen, wie es von offizieller Seite heißt. Während Google die Aufnahme der Bilder gänzlich selbstständig übernimmt, arbeiten Unternehmen wie Here oder das schwedische Start-up Mapillary (siehe S. 142) mit der Community.

Bei Here kann die Community Karten verbessern, indem sie Bilder beisteuert. Legen Sie die Sicherheit der Mobilität damit nicht in die Hände von Amateuren?
Nein, das sehe ich nicht so. Here ist der führende Kartenhersteller im Bereich Automotive – mit dem mit Abstand größten Marktanteil in diesem Geschäft. Dort hat man über Jahrzehnte eine „Standard ­definition map“ entwickelt, die die Welt abdeckt. Jetzt bewegen wir uns auf einer neuen Ebene in Richtung „High definition map“. Diese Karte muss noch ­exakter festhalten, wo man sich gerade befindet und welche Referenzpunkte die Umgebung bietet. Das wird professionell erfasst, man kennt diese Fahrzeuge, die mit allen möglichen Kameras ausgestattet sind. Das macht Here, das machen andere Kartenhersteller – da gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied. Was hinzukommt, ist eine Art „Learning layer“, wo Fahrzeuge parallel im Verkehr Daten sammeln. Das ist eine Art „Self-learning map“, die diese sehr robuste Basiskarte mit noch aktuelleren Informationen versieht. Hier geht es nicht um Amateure, sondern um Hightech, wo die Sensoren der Autos Informationen erfassen, die gefiltert werden. Die relevanten Informationen werden genutzt, um die HD-Karte noch aktueller zu halten.

Welche Kompetenzen wollen Sie in Zukunft im eigenen Haus behalten – und wo muss Mercedes mit Partnern zusammenarbeiten?
Die Bestandteile, die wir für das autonome Fahren Level 4 (fast autonom, Fahrer kann Kontrolle über das Auto abgeben, kann – und muss, in bestimmten Situationen – noch selbst fahren, Anm.) oder Level 5 (völlig autonom, das Auto muss kein Lenkrad oder Pedale haben, Anm.) benötigen, das fängt mit der Sensorik an, da arbeiten wir mit Partnern zusammen. Wir haben eine strategische Partnerschaft, um Ressourcen zusammenzulegen und gemeinsam ein sehr sicheres System zu entwickeln.

Im zweiten Punkt brauchen wir eine extrem große Rechenleistung, die wir auch räumlich im Fahrzeug unterbekommen. Die nächste Generation an Chips steigert die Rechenleistung pro Packagevolumen erheblich. Da sind wir mit den kompetentesten Herstellern unterwegs. Dann gibt es die Herausforderung, die Software zu entwickeln, die es für die Bilderkennung und die Fahrerentscheidungen braucht. Diese Software programmieren wir teilweise selbst – und teilweise mit unseren Partnern. Wenn es dann darum geht, wie sich das Fahrzeug verhält – das wollen wir können. Und der letzte Teil ist eben die HD-Karte.

Die anstehenden Veränderungen lassen sich mit dem Akronym CASE (Connected, Autonomous, Shared & Services, Electrification, Anm.) zusammenfassen. Das beinhaltet ein großes Feld – welches Unternehmen sehen Sie da als Konkurrenten?
Wir haben in der Automobil­industrie einige gute Wettbewerber, die wir sehr ernst nehmen. Und es kann sein, dass auch andere Unternehmen, die bisher vielleicht nicht in der Automobilindustrie dabei waren, jetzt den Schritt wagen – das muss man sehen. Aber wir haben eine eigene Strategie. Gleichzeitig blicken wir optimistisch in die Zukunft, dass die Transformation, in der wir uns befinden, eine Chance für uns ist. Wir waren immer schon ein Innovations- und Technologieunternehmen. Der Gründerspirit, unsere DNA, ist Disruption. Gottlieb Daimler und Carl Benz waren die „Original Disruptors“. Die haben das Pferd als Transportmittel für Menschen und Waren herausgenomemn. Diese Gründermentalität haben wir immer noch. Jetzt erfinden wir im Rahmen von CASE das Auto und die individuelle Mobilität neu und da wollen wir vorne mit dabei sein.

Wir sind noch immer Menschen, die in einem physischen Fahrzeug bewegt werden.

Heutzutage denkt beim Begriff „Original Disruptors“ vermutlich aber niemand mehr an traditionelle Automobilhersteller. Noch mal ganz konkret: Wen aus der Gruppe Google, Tesla und Amazon nehmen Sie ernster – selbst, wenn Sie alle ernst nehmen?
Bitte haben Sie Verständnis, dass ich individuelle Wettbewerber nicht kommentiere. Wir beobachten natürlich, was die tun. Gleichzeitig ist es aber wichtig, eine eigene Strategie, eine eigene DNA, ein eigenes Markenversprechen zu haben. Auf dem Weg zum autonomen, emissionsfreien Fahren und auch zu mehr Mobilitätsdienstleistungen im Shared-Bereich oder Connected Cars: Es sind die traditionellen Stärken, die man braucht. Wir sind noch immer Menschen, die in einem physischen Fahrzeug bewegt werden. Das heißt: Ästhetik, Design, Fahrwerk, Sitze, Geräuschniveau, das sind alles Mosaiksteinchen. Wir müssen also traditionelle Stärken mit neuen Technologien verbinden. Wenn man das richtig gut macht, gewinnt man dieses Spiel. Und da denken wir, dass wir gute Chancen haben.

Anmerkung: Die Abkürzung CASE zeigt bereits, dass die Herausforderungen mannigfaltig sind. Google und Amazon arbeiten am selbstfahrenden Auto – und haben gegenüber klassischen Autoherstellern wie Mercedes beziehungsweise Daimler den Vorteil, dass sie bereits seit Langem an Cloud­lösungen forschen. Im Bereich elektrische Autos ist Tesla derzeit das heißeste Gesprächsthema. Doch auch Mercedes will nicht mehr nur auf den Verbrennungsmotor setzen – auch wenn dieser laut Källenius nicht aussterben wird. 2019 geht mit dem Mercedes-Benz EQC das erste E-Auto aus dem Hause Daimler in den Verkauf. Bis 2025 werden – so rechnen die Stuttgarter – 15 bis 25 Prozent aller PKW, die Mercedes-Benz absetzt, mit einem rein elek­trischen Antrieb unterwegs sein. Und auch hinter Sharing steht großteils noch ein Fragezeichen. Daimler startete bereits früh mit dem eigenen Angebot Car2Go, das mit weltweit 2,6 Millionen Nutzern Marktführer im vollflexiblen Carsharing ist. Fast zehn Prozent der insgesamt 14.000 Fahrzeuge sind mit elektrischem Antrieb unterwegs. Doch ob sich der klassische Mercedes-Fahrer wirklich um seinen Besitz bringen lässt, nur weil es effizienter oder umweltfreundlicher ist (obwohl beides umstritten bleibt)?

Es ist aus heutiger Sicht eine offene Frage, ob sich Sharing durchsetzt und die Menschen auf das Grundprinzip des Besitzes beim Auto verzichten wollen. Glauben Sie, dass das Sharing- Konzept sich langfristig durchsetzen wird? Und wenn ja: Basteln Sie an neuen Geschäftsmodellen dafür?
Für die meisten Kunden geht es um Convenience. Die Mobilitätsdienstleistungen bringen zusätzliche Convenience und wir sind Mitgestalter dieser Welt. Wir sind mit den ersten Beispielen wie Car2Go und MyTaxi / Hailo erfolgreich auf dem Markt aktiv. Zudem machen wir gerade ein Pilotprojekt mit Peer-to-Peer-Sharing in München und Berlin (private Autovermietung names Croove, Anm.). Mobilitätsdienstleistungen sind also ein Wachstumsgebiet, in das wir investieren. Wir glauben jedoch nicht, das Ownership verschwindet. Im Rahmen der CASE-Strategie bereiten wir alle unsere Fahrzeuge so vor, dass sie nahtlos in Mobilitätsdienstleistungen eingesetzt werden können. Das ist ein klarer Bestandteil unserer Zukunftsstrategie.

Sie bauen das Werk in Kamenz aus, in dem Batterien produziert werden. Ist die Idee, Batterien gänzlich selbst herzustellen? Oder werden diese in Zukunft weiterhin zugekauft?
Unsere Hauptstrategie für Batterie­systeme und -module ist „Make“, also selbst bauen. Ich schließe aber nicht aus, dass wir in Zukunft auch mit kompetenten Systemlieferanten zusammenarbeiten werden. So, wie wir heute ­Rohbauten teilweise selbst machen – und in manchen Fällen von Lieferanten produzieren lassen. Für Batteriezellen haben wir uns wiederum entschieden, mit Partnern zusammenzuarbeiten. Da ist technologisch sehr viel Bewegung drin und hier braucht man enorm große Skaleneffekte, damit sich das wirtschaftlich lohnt. Aus unserer Sicht müssen wir also weiterhin tief in der Entwicklung stecken, bis auf die Forschungs-, also die Chemieebene, damit wir auf Augenhöhe mit den Zelllieferanten sprechen können. Aber die Zellen selbst kaufen wir aber zu.

Regional gesehen läuft es in China gut …
Sehr gut.

… doch hinter den zukünftigen Wachstumsraten der chinesischen Wirtschaft steht ein Fragezeichen. Das spürt auch die Automobil­branche. Haben Sie Angst davor?
Wir haben in China in den ­letzten Jahren ein extrem dynamisches Wachstum erlebt. Auch die ersten fünf Monate 2017 waren für uns fantastisch. Im Vorjahr betrug der chinesische Gesamtmarkt über 22 Millionen Fahrzeuge. Damit ist das Land mit Abstand der größte Automarkt der Welt – und auch für Mercedes seit zwei Jahren der größte Markt. Wir sehen China langfristig nach wie vor als ­unsere größte Wachstumschance in den nächsten fünf bis sieben Jahren. Selbstverständlich kann es im Markt Bewegungen nach oben und unten geben. Doch der langfristige Trend zeigt nach oben. Die Fahrzeugdichte pro Tausend Menschen ist – im Vergleich zu Deutschland oder den USA – in China nach wie vor auf sehr niedrigem Niveau.

Anmerkung: In China betrug das Wachstum von Mercedes 26,6 Prozent – alleine im Land der Mitte gingen über 472.000 Einheiten an die Kunden. Damit liegt Mercedes-Benz zwar noch immer hinter Audi und BMW auf Platz drei der deutschen Premiumhersteller, ist aber in Reichweite der Konkurrenten gerückt. Und beim Wachstum geht es Mercedes deutlich besser als den anderen: Audi verkaufte in China 2016 516.335 Fahrzeuge – ein Wachstum von 11,3 Prozent. Die Volkswagen-­Tochter Audi bleibt (noch) an der Spitze: 591.554 verkaufte Einheiten, doch nur 3,6 Prozent Wachstum.

Auch in anderen Märkten wie Indien haben Sie nach einer Durststrecke wieder mehr Erfolg. Einer der Gründe war, dass die Kundenstruktur jünger wurde. Sprechen Sie bereits die Kundenschichten an, die Sie haben wollen?
Wir wollen alle Kunden ansprechen, ob jung oder „young at heart“. Wir haben in den letzten fünf Jahren eine große Veränderung erlebt. Diese neue Strategie – und auch das Ansprechen von Kundengruppen, die wir noch nicht im Portfolio hatten, – ist im großen Stil mit der neuen Kompaktwagenfamilie losgegangen. Als wir 2012 die neue A-Klasse einführten, war das eine Revolution, die viele überrascht hat. Die durchschnittliche Eroberungsrate unserer Kompaktwagen ist über 50 Prozent, wir haben viele Menschen kennengelernt, die wir noch nicht in der Mercedes-Familie hatten. Beispielsweise in Europa ist das Durchschnittsalter der A-Klasse-Kunden um 13 Jahre gesunken. Wir haben hier viel verändert und es kommen noch mehr Modelle dazu. Lassen Sie sich überraschen.

Anmerkung: Immer wieder schimmert der Verkäufer in Ola Källenius durch. Nicht der klassische Verkäufer, kein Vielredner, der seine Zuhörer mit Informationen erschlägt. Viel eher lässt der Schwede Fakten sprechen, um seine Message im Anschluss an den Gesprächspartner zu bringen. Das macht es umso schwieriger, ihm zu widersprechen, ihn auf Unwahrheiten festzunageln, denn der Mann scheint zu wissen, wovon er spricht. Und formuliert ausreichend interessant, dass man ihm zuhören will – gleichzeitig aber diplomatisch genug, um sich nicht zum Abschuss freizugeben. Das zeigt sich auch bei der allerletzten Frage, die wir ihm stellen. Denn am Weg zum Mercedes-Werk fragten wir unseren Taxifahrer, was er den Mercedes-Entwicklungschef fragen würde, wenn er denn könnte. Seine Frage: Warum die Autos nicht mehr wie vor 20 oder 30 Jahren gebaut werden, als sie jahrzehntelang hielten und man so gut wie nie in die Werkstatt musste? Källenius lächelt und antwortet in der ihm eigenen Art: Fakten – dann Verkauf. „Ich würde sagen: Das stimmt nicht. Wir haben die besten Qualitätswerte, seit wir Messungen machen. Er kann sich mit ruhigem Gewissen eine E- oder C-Klasse kaufen – und das Taxi wird ihm Geld bringen.“

Ob denn das gewinnende Auftreten, die diplomatische Art und zwei Jahrzehnte Erfahrung im Konzern letztendlich wirklich für den Stuhl ganz oben als Nachfolger von Dieter Zetsche reichen? Aus heutiger Sicht scheint es fast sicher. Ob Källenius das Unternehmen mit seinen fast 300.000 ­Mitarbeitern dann auch erfolgreich in die Zukunft führt? Etwas weniger sicher, aber dennoch nicht unwahrscheinlich – vor allem aber schwer einzuschätzen. Vermutlich ist es somit am besten, dem Rat von Mercedes’ Entwicklungschef zu folgen: „Lassen Sie sich überraschen.“

Dieser Artikel ist in unserer Sommer-Ausgabe 2017 „Keep it movin'!“ erschienen.

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